Massen-Demos zum Schutz der Demokratie: Wie rechts ist der Status Quo?
80.000 Menschen gingen in Wien auf die Straße: Ziel: Verteidigung der Demokratie. Dabei zeigten sich Bruchlinien. Eine Reportage.
Wer in Wien lebt und Faschismus für falsch hält, wird regelmäßig auf die Straße gerufen. Die ist dann auch meist gut gefüllt. Mal spielen Konstantin Wecker und die Toten Hosen, mal ist es nur eine jener Empörungsbekundungen, die durch die rechtsextremistischen Deutungsmuster in der österreichischen Politik nötig wurden.
Wenig später gibt es dann die nächste Wahl und FPÖ hat wieder hinzugewonnen – beziehungsweise die ÖVP, die längst ähnliche Erklärungsmuster bedient. Zugleich sind sich alle Parteien ein wenig unsicher, ob sie es beim Thema Migration und Flucht tatsächlich wagen dürfen, einmal in die andere Richtung zu steuern.
Wie kurz ist der Weg in die Diktatur?
Durch die Aufdeckung der Potsdamer Pläne deutscher und österreichischer Rechtsextremer, die schon sehr dezidiert Massendeportation durchbuchstabierten, hat die Demokratiekrise in den Augen vieler Menschen eine neue Dimension erreicht.
Sollten jene, die sich anschicken, die nächsten Wahlen in Deutschland und auch in Österreich zu gewinnen, tatsächlich längst mit der Aufhebung elementarer Grundrechte planen und Menschen trotz erworbener Staatsbürgerschaft ausweisen, dann beendet dies Rechtsstaat und Demokratie.
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Dann droht eine rassistische Diktatur, in der rechte Eliten sagen, wer dazugehören darf und wer nicht. Es scheint eine ganze Menge Menschen in Wien zu geben, die dies für fatal halten.
Organisator sieht Republik nah am Abgrund
Am frühen Abend des 26. Januar 2024 füllt sich die Straße vor dem Parlament in Wien schnell mit einer immer größeren Menschenmenge. Der Organisator der Demo, Erich Fenninger, Bundesgeschäftsführer der Volkshilfe Österreich, gibt Telepolis eine kurze Lageeinschätzung.
Demonstration in Wien am 26. Januar 2024 (14 Bilder)
Das Zusammenwirken von Finanzkapital und Rechtsextremisten in Potsdam sei sehr wohl ein Schock für ihn gewesen. Es gelte nun ein Signal durch Mobilisierung zu setzen, denn so nah am Abgrund sei Österreichs zweite Republik noch nie gewesen.
Kritik auch am Versagen in der Sozialpolitik
Die Alltagsmeinung habe sich verschoben. Dazu habe die ÖVP unter Sebastian Kurz viel beigetragen, aber auch die Sozialdemokratie sei zu passiv. Für den Abend wünschte er sich, es solle fett und groß werden. Eine Beteiligung von weniger als 10.000 Menschen wäre enttäuschend. Es werden dann bis zu 80.000, die sich bei teils strömendem Regen versammeln, aber das weiß er zu diesem Zeitpunkt noch nicht.
Auch Fenninger ist vorsichtig in der Einschätzung, wie viel das Signal bringen kann. Viele im Land seien zu Recht vollkommen verärgert, sagt er. Die Zivilgesellschaft die nun aufsteht, muss auch die Lebenswelt derer bedenken, die unter Inflation und Verarmung stöhnen.
Wer tief enttäuscht ist, geht überhaupt nicht mehr wählen. Es müsse auch deutlich werden, dass die FPÖ in der Sozialpolitik völlig versagt habe. Die Rechten haben keine Lösungen.
Viel Polit-Prominenz und Instagram-Bilder
Bei Plakaten und Banner dominieren an diesem nasskalten Abend die Farben Rot und Grün. Die Fraktion der Grünen erscheint mit ihrer Ministerriege und hat auch die neue EU-Spitzenkandidatin Lena Schilling dabei. Der SPÖ-Vorsitzende Andreas Babler schießt eigenhändig Bilder für seinen Instagram-Kanal und macht, auf einem Steinquader stehend, eine 360-Grad-Aufnahme der Demonstration.
Auf der Bühne spielt der Burgschauspieler Cornelius Obonya eine flammende Rede. So viel rhetorische Fähigkeit bekommt man wohl nur in Wien geboten. Trotz gewissem Brimborium muss ihm attestiert werden, nahezu jedes seiner Worte ist wahr.
Kundgebungsredner: Ohne Migration wird es nicht gehen
Obonya macht in seiner Rede den Bezug zur Klimakatastrophe deutlich und spricht aus, was die Politikprofis weniger gerne sagen: Es wird Migration geben. Und sie wird stärker werden. Nur sollte diese eben "geordnet" vor sich gehen.
Wenn Teile des Planeten ausgetrocknet sind und in Flammen stehen, dann müssen die Menschen dort weg. Das ist tatsächlich eine der größten Herausforderungen unserer Zeit. Der Festungsbau, den die "identitär Beeinträchtigten" sich wünschen, wird hier keine Lösung sein. Nur gemeinsam kann die Menschheit diese Katastrophe abwenden.
Plurales Österreich spiegelt sich in Demo-Reden
Die Redebeiträge der Demo sind ein wenig zweigeteilt. Nachdem die Promis vom Volkstheaterdirektor, über die Nobelpreisträgerin Elfriede Jelinek, die einen eigens geschrieben Text verlesen ließ, bis hin zu den Vorsitzenden großer NGO mit ihren Redebeiträgen durch sind, wird es eigentlich interessanter, weil die unmittelbar von den rassistischen Verhältnissen betroffenen Personen zu Wort kommen.
Ramazah Yildiz von der NGO Zara (Zivilcourage und Anti-Rassismus-Arbeit) spricht erfrischend deutlich aus, dass der Rassismus ein Instrument ist, um die gesellschaftlichen Verhältnisse in Österreich aufrechtzuerhalten.
Adaoru Ofuedu von der "Schwarze Frauen Community" hat einen simplen Praxistipp parat. Wenn sich jemand bei Ihnen bewirbt und einen ungewöhnlichen, fremdländische Namen hat, geben Sie dieser Person eine Chance. Aber passiert dies? Oder stellt man doch lieber Maximilian Gruber an, auch wenn der weniger qualifiziert ist? Das muss sich das Publikum fragen lassen.
Zwischenfälle mit Nahost-Bezug und Polizei-Beteiligung
Beim Vortag der Vertreterin von Amnesty International, Shoura Zehetner-Hashemi, steht plötzlich eine aufgeregte Demonstrantin auf der Bühne. Atemlos ruft sie ins Publikum, wie es sein kann, dass auf einer Demo gegen Rassismus die Polizei eine Gruppe von People of Color einkesselt.
Die Wiener Polizei ist im Racial Profiling geübt und hat einiges auf dem Kerbholz, von verprügelten farbigen Diplomaten bis hin zu Scheinhinrichtungen an Asylwerbern. Am Freitagabend liegt die Sache aber komplexer.
Später sagt gegenüber Telepolis der Vertreter der JÖH – Jüdische Österreichische Hochschüler:innenschaft (der bezeichnenderweise nicht namentlich genannt werden will), dass es am Rande der Demo eine pro-palästinensische Gruppe gegeben habe.
Nationalflaggen waren eigentlich verboten
Fünf jüdische Pensionisten hätten eine israelische Flagge gezeigt, um ein "Gegengewicht" zu bieten. Diese beiden Gruppen wurden von der Polizei getrennt. Ein Kessel sei dies nicht gewesen.
Nun waren Nationalflaggen auf Wunsch der Veranstaltungsleitung verboten; und beiden Seiten kann – bei allem Verständnis für das quälende Leid der Beteiligten – nicht unbedingt Weisheit attestiert werden, wenn sie trotzdem Nationalflaggen zeigen. Aber auch dieser Konflikt ist eben präsent. Ebenso waren ukrainische Flaggen vom Platz komplimentiert worden. Es ist einfach gerade sehr schwierig in dieser Welt
Wie kommen Identitäre auf das Dach der Demokratiewerkstatt?
Ein Aufschrei geht durch die Menge. Auf dem Dach des nahegelegenen Palais Epstein hissen Rechtsextremisten ihr bereits mehrfach eingesetztes Banner "Für Remigration". Die in den Farben der Identitären gestaltete gelbschwarze Fahne ist allerdings bald entfernt.
Viele werden Demonstranten werden es nicht einmal bemerkt haben. Die interessante Frage ist allerdings wie es einem Haufen Identitären gelingen konnte, sich auf das Palais Epstein zu schleichen. Die dort befindliche "Demokratiewerkstatt" ist nur für wenige jenseits der Öffnungszeiten zugänglich, ebenso die dortige Parlamentsbibliothek.
Hat vielleicht jemand von der FPÖ-Fraktion einen Schlüssel zum Palais? Eine wüste Spekulation, denn schließlich gilt in Wien, wie überall: "Nobody stops a guy with a ladder" und die Rechtsextremisten werden sich sicherlich illegal Zugang verschafft haben.
Blinde Flecken: Rassistische Realpolitik
Eine der stärksten Reden des Abends kommt von der Vertreterin der Organisation "SOS Balkanroute" Sigi Spenger. Sie kann authentisch von ihrer Arbeit mit Geflohenen sprechen und legt den Finger in die Wunde:
Denn es sind nicht nur die Rechtsextremen, die ihre kranken Allmachtsfantasien und ihren Rassismus ausleben. Es sind die schwarzen und türkisen [Anmerkung: die Parteifarben der ÖVP] Komplizen, die menschenverachtenden Balkanroutenschließer-Eliten, die an den Außengrenzen am Balkan mit österreichischem Steuergeld rechtsfreie Räume züchten und unsere Polizisten mit Orbans Grenzjägern auf Menschenjagd schicken.
Tagtäglich sehen wir die Verletzungen der Menschen, tagtäglich helfen wir an den EU-Außengrenzen gegen den Wahnsinn, den sie Festung nennen.
Sigi Spenger, SOS Balkanroute
Rassismus und Ausgrenzung sind längst gängige Praxis. In Österreich und in Europa. Die Remigration stützt sich auf ein längst etabliertes Model, in dem zwischen offenkundig höherwertigen und minderwertigen Menschen unterschieden wird.
Welche Wirkung wird das Signal haben?
Der Witz wäre deshalb nun wirklich etwas zu ändern. Den Rechten und Rechtsextremen, aber auch der wankelmütigen gesellschaftlichen Mitte sollte deutlich gemacht werden, dass die Sorge vor "Umvolkung" und des Verlustes der "eigenen Kultur" Hirngespinste sind, mit denen die Menschen gegeneinander aufwiegelt werden.
Wo Kultur ist, da ist auch Wandel. Da werden ununterbrochen fremde Einflüsse einverleibt und zu den eigenen gemacht. Wer dies verhindern will, sehnt sich nach nichts anderem als der Todesruhe, die bereits Erich Fromm sehr richtig als das eigentliche Ziel des Faschismus ausgemacht hat. Die Toten liegen auf dem Friedhof in Reih und Glied, da brauch man sich vor keinen Änderungen mehr fürchten.
Gerechtigkeit und Rechtssicherheit für alle Menschen?
Die Asylgesetzgebung in Österreich zeigt seit Jahren, wie systematisch Rechtssicherheit aufgebrochen wird, indem ununterbrochen verschärft wird. Auch damit wurde der Boden für Remigration-Fantasien bereitet.
Es sind nicht nur rechte und rechtsextreme Parteien, die Straftäter "konsequent" abschieben wollen. Damit wird strenggenommen eine Form der Apartheid installiert, weil ausländische Mitbürger nicht nur mit dem allgemeinen Strafkatalog bestraft werden können, sondern auch der Strafandrohung "Abschiebung" ausgesetzt sind. Die kann, je nach Weltregion, einer Todesstrafe gleichkommen.
Wie tief der Rassismus in den Knochen der österreichischen Politik steckt, zeigen Ideen wie jene der "qualifizierten Migration". Dieser Deal mit dem globalen Süden meint letztlich, Ingenieure und Ärzte dürfen kommen, die Verbrecher schicken wir euch zurück. Damit werden globale Ungleichheiten verstärkt und das ist leider bereits der halbe Weg zur Remigration.
Es wird nicht die letzte Demonstration dieser Art in Wien gewesen sein.