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Massives E-Learning und die Sinnkrise der Universität

Nicht der Hörsaal, sondern die Bücher müssen sich ändern

Es ist schick geworden, Videoaufnahmen von Vorlesungen ins Internet zu stellen. MOOCs (Massive Open Online Courses) sind der letzte Schrei an den Universitäten. Protzten Hochschulen früher damit, dass bei ihnen wenige Studenten pro Professor im Hörsaal saßen, sind sie heute sehr stolz darauf, dass ein Kurs von 10.000 Studenten und mehr "besucht" wird. Bildungspolitiker reiben sich die Hände: Man könnte ja gewaltig sparen, wenn die Vorlesungen nun von Harvard bzw. Princeton geliefert würden und nur noch ein paar Tutoren einzustellen wären.

Ich kenne die Bestie, weil ich in ihrem Bauch lebe. In Berlin haben wir bereits 1999 in der Informatik damit angefangen, Vorlesungen aufzunehmen und ins Internet zu stellen.

Wir haben mit unterschiedlichen Varianten experimentiert. Einerseits wurden die Vorlesungen mit einer einfachen Videokamera aufgenommen. Andererseits wurden die Vorlesungsinhalte in kleine "Kapseln" aufgeteilt, die dann individuell und getrennt aufgenommen wurden. Wir haben Videos erstellt, bei denen nur das Tafelbild zu sehen war, während die Stimme des Dozenten aus dem Off kam. Oder wir haben den Dozenten semitransparent auf das Tafelbild eingeblendet.

Nach mehreren Jahren des Experimentierens war ich mit den Ergebnissen immer noch unzufrieden. Es ist mir nach und nach bewusst geworden, wie teuer und aufwendig eine sehr gute Videoproduktion sein kann (zum Beispiel braucht man in der Regel mehrere Kameras) und wie schwer es ist, gute Kameraleute zu finden, die das Wesentliche, das Inhaltliche, und nicht das Nebensächliche filmen. Es ist mir vor allem klar geworden, dass ich nicht den Studenten, der Filme am Bildschirm konsumiert, sondern den Studenten aus Fleisch und Blut im Hörsaal helfen wollte.

Eine gute Vorlesung ist immer ein soziales Ereignis. Man muss dabei sein -- man muss es "live" erleben. Es ist wie im Konzert: Was würde man von einem Pavarotti denken, der in der Oper einfach seine DVD in den Player schiebt? Die lebendige Vorlesung, wenn sie richtig vorbereitet und durchgeführt wird, ist nicht mit einem Video zu vergleichen. Ein guter Lehrender ist wie ein Bühnenkünstler und die Vorlesung eine "Performance".

Ich wurde damals mit noch einem weiteren Problem konfrontiert. Wenn wir Vorlesungen aufnehmen möchten, dann von wem? Nicht jeder Dozent ist, sagen wir mal vorsichtig, kamerareif. Zu meiner Zeit als Student habe ich Vorlesungen in Berlin und anderswo besucht, die man lieber verdrängen möchte. An eine erinnere ich mich noch sehr gut: Sie war über Kant, mit 200 Studenten im Hörsaal. Der Professor hat 90 Minuten lang aus seinem Manuskript vorgelesen und es gab im ganzen Semester keine einzige Frage. Als Film wäre eine solche Vorlesung eine Zumutung.

Ich bedauere heute, dass immer weniger Studenten bei den Vorlesungen mitschreiben. Es ist natürlich gut, wenn man kritisch auf die Tafel aufpasst. Manchmal hat man aber das Gefühl, dass angenommen wird, dass schon alles Wesentliche in Wikipedia stünde. Von Euklid wird überliefert, dass König Ptolemaios von ihm die Geometrie im Schnellverfahren lernen wollte, worauf Euklid anmahnte, in der Geometrie gäbe es keinen Königsweg. Heute scheinen Wikipedia und die MOOCs der moderne Königsweg für vieles geworden zu sein.

Wenn dann in diesen Zeiten der "neuen Unübersichtlichkeit" sogar die Präsidentin von Harvard die moderne Universität am Kreuzpfad angekommen sieht und über eine "crisis of purpose" [1] redet, dann deswegen, weil wir langsam nicht mehr so recht wissen, wie wir in Zukunft zu lehren und zu lernen haben.

Coursera und edX

Über Weihnachten habe ich die Schulbank wieder virtuell gedrückt. Die Initiatoren von Coursera (die Lernplattform, die in Stanford gestartet wurde) kenne ich persönlich. Mit der Lernplattform edX von Harvard, MIT, und anderen Universitäten war ich nicht sehr vertraut. Vorlesungen in YouTube und iTunes habe ich hingegen immer wieder durchstöbert, manchmal mit Gewinn, manchmal nicht. Deswegen wollte ich wissen, ob mittlerweile die Mängel der ersten Online-Experimente behoben worden sind und ob die neuen Plattformen eine viel bessere Lernerfahrung vermitteln können. Ich habe mich also für verschiedene Kurse registriert und gespeicherte Vorlesungen aufgespielt. Bei einigen habe ich für die Videos Quiz und Testat ausgefüllt. Ich wurde ein MOOC-Junkie.

Es hat sich jedoch bestätigt, was ich aus meinen früheren Erfahrungen geahnt hatte. Ich habe sehr mäßige Vorlesungen (z.B. über Statistik) erlebt, wo der Lehrende seine PowerPoint-Slides mit je 20 oder mehr Zeilen mechanisch durchspielt. Es gibt auch Vorlesungen, bei denen der Lehrer die Zuschauer mit Sicherheit nach 15 Minuten in den Schlaf schickt. Es gibt noch zu wenige Vorlesungen über manche Gebiete. In der Mathematik zum Beispiel scheint kaum jemand Lust zu haben, online Vorlesungen zu produzieren. In der Physik ist das Angebot auch sehr begrenzt. Es gibt Kurse aus der Informatik (da die Initiatoren der Plattformen meistens aus dieser Ecke kommen) und aus den Sozialwissenschaften. Diese sind aber sehr speziell.

Ich habe gewiss einige ausgezeichnete Vorlesungen gefunden, wie die von Prof. Sandel in Harvard, der gekonnt über "Gerechtigkeit" in 24 Videos doziert. Es ist eine großartige Leistung und verdient, gefilmt zu werden. Aber da erkennt man schon, wie teuer es wird, wenn man es richtig macht: Im Hörsaal (der eigentlich ein Theater ist) gab es vier Videokameras und für jede einen Kameramann. Die Videos wurden sorgfältig editiert und alles Überflüssige wurde weggeschnitten, womit jedes Kapitel auf etwa 25 Minuten reduziert wurde. Längere Videos verträgt der Zuschauer kaum. Ich schätze den Personalaufwand für die Produktion auf mindestens fünf bis sechs Personen pro Vorlesung, die Prof. Sandel geholfen haben (die Tutoren nicht mit eingerechnet). Er ist ein Superstar der Rechtsphilosophie und Harvard konnte sich des Erfolgs der Produktion im Voraus sicher sein. Jedoch wird bei anderen Dozenten nicht so viel Aufwand getrieben und die Vorlesungen wirken deswegen flach und nicht so gelungen.

Aber sogar bei solchen exzellenten Vorlesung gibt es ein Problem: Sandel hat das Lehrbuch dazu geschrieben und die Vorlesung orientiert sich sehr nah an der schriftlichen Vorlage. Als fleißiger MOOC-Teilnehmer habe ich das elektronische Buch gekauft und in zwei Tagen gelesen. Dann war aber die Magie weg. Ich wusste bei den weiteren Videos bereits, was er sagen wollte und in welche Richtung er die Diskussion zu lenken versuchte. Die Videos wurden schlicht und einfach langweilig. Aus der Lethargie wäre ich nur aufgewacht, wenn ich im Auditorium gesessen und an den Diskussionen hätte teilnehmen können. Außerdem waren Quiz und Testate so lahm (um die vielen Tausenden von Betrachtern nicht sofort davonzujagen), dass ich nach der Lektüre des nicht so umfangreichen Lehrbuches alle Fragen sofort beantworten konnte.

Man darf mich nicht falsch verstehen. Die Vorlesungen von Prof. Sandel sind großartig, aber das Ganze wurde verdünnt und verkürzt, um es in das MOOC-Korsett einzuzwängen. Es gibt keine langen zusätzlichen erforderlichen Lektüren, keine schwierigen Fragen, keine Hausarbeiten sind notwendig, um den Kurs zu absolvieren. Es wurde bewusst auf die Maximierung des "Ratings" (die Zuschauerzahlen) hin gearbeitet. So konnte ich z.B. bei einem MOOC über Dinosaurier das Zertifikat der Universität Alberta in ganze sieben Tagen nebenbei erwerben. Das ist nicht, was ich aus den USA/Kanada kenne, wo ich vor Jahren auch Vorlesungen belegt habe. Normalerweise ist das Tempo mörderisch und das zu bewältigende Material ziemlich umfangreich. Beim edX steht deswegen im Kleingeschriebenen:

Universities do not currently offer formal academic credit for edX coursework and do not certify that MOOC students have met the same requirements as matriculated students taking the original course on which the MOOC is based.

Vorlesungen ohne Hörsaal

Über Weihnachten habe ich also viele Videos aus allen möglichen Disziplinen über mich ergehen lassen. Ich wollte vor allem wissen, was gute Dozenten tun, um mir vielleicht ihre Technik oder Kniffe zunutze zu machen. Dabei konnte ich feststellen, dass beliebte Lehrende eine fast angeborene Ausstrahlung besitzen. Nach fünf Minuten weiß man schon, ob die Vorlesung interessant oder grausam wird.

Es ist wie bei der legendären Astronomie-Vorlesung aus Berkeley, die seit 2000 jedes Jahr als Webcast ins Netz gestellt wird. Die Videos hatten damals nicht so gute Auflösung, aber der Dozent hat so viel Enthusiasmus und Energie, dass es auch ohne Bilder sehr interessant wird. Je mehr die Rhetorik des Dozenten im Mittelpunkt steht, desto besser kommt die Vorlesung an. Deswegen ist es auch so schwer, Mathematik-Vorlesungen ins Netz zu stellen, die auf die Echtzeit-Entwicklung an der Tafel angewiesen sind. Wie bei der sokratischen Dialektik muss man in der Mathematik Formeln und Theoreme im Gespräch aus den Studenten heraus kitzeln. PowerPoint und Ähnliches sind dafür nicht geeignet.

Die beste Vorlesung, die ich bei meiner Exkursion in Coursera und edX gefunden habe, war eigentlich eine, die bewusst und fast militant "ohne Klassenraum" durchgeführt wird. Es geht um Neurobiologie. Die Vorlesung wurde in Themen aufgeteilt und die einzelnen Videos basieren auf aufgenommenen Experimenten, Animationen, Besuchen im Museum, usw. Die Autoren sagen, sie wollten das echte Leben und die echte Forschung draußen beschreiben. Der Kurs ist in Wirklichkeit deswegen eine Art Dokumentarfilm von höchster Qualität, mit speziell dazu vorbereiteten Texten und Bildern, mit virtuellen und echten begleitenden Experimenten. Eine Firma liefert per Post Geräte und Tiere (Invertebraten) für die Experimente an die Kursteilnehmer.

So eine Veranstaltung kostet in dieser Qualität sicherlich Millionen von Dollar. Das Format passt weder in die gegenwärtige Coursera- noch in die edX-Schiene und wird deswegen auf einer externen Webplattform angeboten. So sollte man es eigentlich machen, gewissermaßen à la BBC, dazu sollten anspruchsvolle Fragen und Testate entworfen werden und die experimentelle Verbindung sollte auch nicht fehlen. Dann ist aber das Endprodukt kein MOOC: Das Ergebnis ist eine Art digitales Buch. So eine teure Produktion zeigt deshalb, wie das interaktive Buch der Zukunft einmal aussehen wird.

An Bildung sparen

Im Jahr 2001 -- so früh waren wir schon dran an diesen Themen -- haben wir unsere Aufnahmeplattform für Vorlesungen bei der CEBIT vorgestellt. Der Wirtschaftssenator von Berlin hat uns beim Berlin-Stand die Ehre gemacht und war sofort begeistert. Er rief seinen Mitarbeitern zu: "So brauchen wir weniger Professoren!"

Dass er nicht der einzige war und ist, der so denkt, zeigt das Beispiel aus den USA. Dort haben einige finanzschwache Universitäten angefangen die Vorlesungen von Coursera und edX unter Lizenz zu nehmen. Die Vorlesung über Gerechtigkeit aus Harvard wurde zum Beispiel Mitte 2013 in der San Jose State University zum Politikum. Die Professoren dort haben zu Recht vermutet, dass damit Dozenten eingespart werden sollten. Nicht einmal die Juristen oder Philosophen sollten die Betreuung der MOOC-Studenten als Aufgabe übernehmen, sondern Mitarbeiter aus der billigeren Abteilung für Englisch. Die Professoren der Universität haben angemahnt, dass nicht nur Studenten von Harvard das Recht haben sollten, einen lebendigen Professor im Hörsaal zu erleben. In einem offenen Brief an Sandel beklagten sie, Professoren sollten nicht "durch billige Online-Ausbildung" überflüssig gemacht werden.

Dass auch die Dozenten von Coursera sich ihre Gedanken über solche Entwicklungen machen, wurde vor kurzem klar, als sich Mitchell Duneier, Soziologie-Professor aus Princeton und einer der Stars der MOOC-Bewegung, entschied [2], auszusteigen. Er wollte nicht dafür verantwortlich sein, dass an anderen Institutionen, wie angekündigt, Dozenten eingespart würden. Er weigerte sich, seinen Kurs an andere Universitäten auf Lizenzbasis zu übertragen.

Als ich gerade dies schreibe, verfolge ich weiterhin die Vorlesungen, bei denen ich bei Coursera und edX "immatrikuliert" bin. Es ist manchmal interessant, häufig langweilig. Zuschauen schadet nie, es ist eine Art Weiterbildung. Vor allem kann ich aber beobachten, wie andere Personen heute lehren. Mittlerweile bin ich der Meinung, dass weniger als 10% der Vorlesungen an einer Universität es wirklich verdienen, aufgenommen zu werden. Bei den restlichen 90% sind die Qualitätsunterschiede zu variabel und das Videoformat erschlägt den Lernenden. Ich weiß nicht so richtig warum, aber als Videokonsument ist man viel passiver und unkonzentrierter als bei einer echten Vorlesung.

Ein gutes Buch ist immer noch, in den meisten Fällen jedenfalls, besser als ein MOOC. Man muss die Disziplin aufbringen, das Buch von Anfang bis Ende zu lesen. Das gelingt jedoch nicht immer. Einstein zum Beispiel hat seine Vorlesungen geschwänzt und lieber direkt aus den Büchern von Maxwell und anderen berühmten Physikern gelernt. Für andere wie mich, für Normalsterbliche also, ist es viel besser, in einer eingeschworenen Gruppe zu lernen. Die Vorlesungen sind soziale Happenings, wo man Gleichgesinnte kennenlernt, um dann in der Gruppe den Stoff aufzuarbeiten.

Lernen in einer Gruppe, wenn möglich durch exzellente Präsenzlehre motiviert, das ist, was Universitäten ermöglichen sollten. Studenten lernen vor allem von Studenten. Das ist die inhärente Sozialität, die eine Universität prägt. Und auch wenn Videos als zusätzliche Weiterbildungsmaßnahme viel Gutes bewirken können, für eine solche soziale Verbindung der Lernenden gibt es keinen Ersatz.

Forschung, Lehre und Bologna

Ich kenne kein anderes Land, das sein sehr gutes Ausbildungssystem so grundlegend demontiert hätte wie Deutschland. Durch die Einführung der Bologna-Reformen, durch die Ausdünnung und die Beschleunigung des Studiums wurde das erreicht, was auch gewollt war: Längere Studienzeiten sind heute die Ausnahme. Die Studenten werden wie in der Pipeline durchgeschleust und es gibt mehr und mehr Bachelorabsolventen in immer kürzeren Zeiten. In vielen Fächern macht nicht mal die Hälfte davon weiter mit dem Master, so dass wir diese Absolventen aus der Universität mit vielleicht nicht mal 50% dessen, was früher für das Diplom gelernt wurde, entlassen. Vor allem haben sie kaum noch Kontakt mit der aktuellen Forschung.

Die Humboldtsche Universität wurde ausgerechnet in Deutschland erfunden, d.h. eine enge Verbindung von Lehre und Forschung. Man kann beides nur durch Projektarbeit verbinden und das nimmt manchmal viel Zeit in Anspruch, Zeit, die die heutige gehetzte Generation von Studierenden nicht mehr hat. Bildungspolitiker werden es nicht gerne hören, aber eigentlich trauere ich dem Langzeitstudenten von damals nach, dem Studenten, der etwas Tiefgründiges lernen wollte, der im Labor ein Wochenende verbracht hat, nicht wegen der Note, sondern allein um eine Herausforderung selbst zu bewältigen.

In unsere Projekte haben wir damals Studenten aufgenommen, die sich im dritten, fünften oder zehnten Semester befanden. Keiner wurde zurückgewiesen: Studenten wurden von Studenten ausgebildet und jede neue Generation wurde mitgezogen. Und warum wollte man das Problem lösen? Because it's there. Heute ist dass zum größten Teil Vergangenheit und nur mit Mühe und Not gelingt es uns noch, Lehre und Forschung zu verbinden.

MOOCs sind in ihrer jetzigen Form eine weitere Drehung an der Schraube der ökonomischen Rationalität bzw. der akademischen Irrationalität. Wenn im Hörsaal 500 Studenten sitzen, ist die wirkliche Lösung, mehrere Parallelkurse anzubieten und nicht, die Hälfte der Studenten in Videozuschauer zu verwandeln. Die Illusion, dass MOOCs aus Deutschland die Ratings aus den USA erreichen könnten, ist nur eine Illusion. Die Sprachbarriere ist einfach zu groß für den Rest der Welt.

Man könnte denken, dass die echte Aufgabe von MOOCs ist, Bildung in arme Regionen der Welt zu bringen. Das kann ich einsehen und als positiv bewerten. Für Deutschland zieht das Argument aber nicht. Dafür sind die deutschen Universitäten (trotz Bologna und trotz allen gegenteiligen Anstrengungen der Bildungsministerinnen seit Frau Buhlman) noch immer gut. Man kann bestenfalls berühmte Professoren im Vorlesungsraum in Aktion sehen, aber selbst da wird man häufig enttäuscht. Vor Jahren wurde im Fernsehen einer der letzten noch lebenden Studenten von Einstein interviewt. Die Vorlesungen in Berlin waren sicherlich sehr aufregend, wollte der Journalist wissen. Der Student hat dann berichtet, dass Einstein nur eine Einführungsstunde hielt und sich dann bis zur Klausur am Ende des Semesters verabschiedete. So kann es beim berühmten Forscher gehen.

Was also tun? Ich denke, keiner weiß es so richtig. Die Erfindung des Buchdrucks hat die Universitäten nicht entschwinden lassen, obwohl theoretisch jeder für seine Ausbildung nur in die Bibliothek zu gehen braucht. Die Informatisierung der Gesellschaft hat aber zu tiefgreifenderen Umbrüchen geführt, die heute an den Universitäten nur noch nach und nach reflektiert werden.

So haben wir das Paradoxon, dass wir vor 15 Jahren noch sicher wussten, wie eine Vorlesung abzuhalten sei. Heute wissen wir es nicht mehr und deswegen tappen wir im Dunkeln. Der Vorlesungsraum ist heute mehr denn je ein Ort der Unsicherheit, ein Ort, wo wir jeden Tag von Neuem das Lehren und Lernen erfinden müssen. Die Initiatoren der MOOC-Bewegung verdienen Respekt und Anerkennung, vor allem weil sie das Thema aufgegriffen haben und ihre Produktionen manche "life long learners" helfen. Es ist aber noch nicht das letzte Wort gesprochen worden.

Meine Vermutung ist, dass wir nicht so sehr den Hörsaal, sondern die Bücher ändern müssen. Die Universität sollte weiter der Ort sein, wo Sozialität ausgelebt wird, wo die Präsenzlehre wesentliche Impulse liefert, wo Lehre und Forschung sich persönlich treffen. Das Buch dagegen sollte auf die Höhe der Zeit gebracht werden.


URL dieses Artikels:
https://www.heise.de/-3363519

Links in diesem Artikel:
[1] http://www.nytimes.com/2009/09/06/books/review/Faust-t.html
[2] http://chronicle.com/article/A-MOOC-Star-Defects-at-Least/141331/