Mathematik: "Modell für Alles" soll komplexe Systeme entschlüsseln

Das Modell basiert unter anderem auf Ansätzen der Spieltheorie

(Bild: Andrew Berezovsky/Shutterstock.com)

Ein chinesisch-amerikanisches Forscherteam hat ein revolutionäres Modell entwickelt. Es soll eine Vielzahl komplexe Systeme entschlüsseln können. Wie funktioniert das ganze?

Ein internationales Team von Mathematikern unter der Leitung des renommierten chinesisch-amerikanischen Mathematikers Yau Shing-Tung hat ein Modell entwickelt, das eine Vielzahl komplexer Systeme vereinfachen könnte, indem es ihre Muster und Wechselwirkungen aufzeigt, berichtet die South China Morning Post.

Spieltheorie, Verhaltensökonomie und statische Mechanik

Das von der Zeitung so genannte "Modell für alles" findet Anwendungen von der Mikrobiologie bis zu den Wirtschaftswissenschaften und könnte in Zukunft entscheidend zur Entwicklung von Behandlungsmethoden etwa gegen Krebs oder zur Vorhersage von Klimaveränderungen beitragen.

Die Forschungsergebnisse wurden in der renommierten Fachzeitschrift "Proceedings of the National Academy of Sciences" veröffentlicht.

Das Modell, das aus der Zusammenarbeit von Wissenschaftlern des Beijing Institute of Mathematical Sciences and Applications, der Tsinghua University, der Pennsylvania State University und der Creighton University School of Medicine hervorgegangen ist, stellt laut Hauptautor Wu Rongling einen universellen Schlüssel dar, um verborgene Muster in einer Vielzahl von Szenarien aufzudecken.

Die Autoren stellen mit ihrer Forschung eine Verbindung zwischen evolutionärer Spieltheorie, Verhaltensökologie und statistischer Mechanik her.

Das daraus resultierende Modell erlaubt es, hochkomplexe Netzwerke, sogenannte Supernetworks, zu konstruieren, die nicht nur paarweise Interaktionen, sondern auch höhergradige Wechselwirkungen zwischen den Elementen eines Systems erfassen können.

"Interaktionen auf höherer Ebene sind der Kern komplexer Systeme", erklärt Wu. Bestehende Netzwerkmodelle konzentrierten sich hauptsächlich auf paarweise Interaktionen, bislang fehle ein universelles Modell, das diese komplexeren Beziehungen abbilden kann. Genau da setze die Forschergruppe an.

Von Mikroben bis zur Marktwirtschaft

Das Modell ist in der Lage, Szenarien wie das Zusammenspiel von Darmmikroben, die Entzündungen auslösen, den Einfluss von CO2 und Schadstoffen auf die globale Erwärmung oder Konkurrenz und Kooperation in der Wirtschaft zu analysieren.

In der Medizin könnte das Modell helfen, Medikamente zu entwickeln, die zum Beispiel Krebszellen ihre kooperative Basis entziehen und damit das Wachstum abnormaler Zellen verhindern.

Die Forscher bezeichnen ihr Modell als mechanistisch, da es die evolutionäre Spieltheorie und die Verhaltensökologie in einem einzigen statistischen Mechanismus integriert.

Wu verwendet das Beispiel zweier Katzen, die sich entscheiden müssen, ob sie im Kampf um Futter konkurrieren oder kooperieren. Ähnlich verhalten sich Zellen in Tumoren, die entweder um Nährstoffe konkurrieren oder sich zusammentun, um zu wachsen.

Die Anwendbarkeit des Modells wurde bereits in Zusammenarbeit mit Biologen getestet. So konnte das Modell vorhersagen, dass zwei Arten von Darmmikroben im Zusammenspiel Entzündungen im Verdauungstrakt verursachen – eine Hypothese, die durch Experimente mit Mäusen bestätigt wurde.

In der Wirtschaft könnte das Modell eingesetzt werden, Szenarien von Konkurrenz und Kooperation zu analysieren.

Die Forschungsgruppe plant, ihren Ansatz auf andere medizinische Bereiche auszudehnen, einschließlich der Traditionellen Chinesischen Medizin (TCM). Wu berichtet von einer Zusammenarbeit mit einem TCM-Team, um die TCM zu standardisieren und ihre Anwendung und Anerkennung weltweit zu fördern.

KI-Entwicklung mit mathematischem Kern

Die mathematischen Grundlagen des Ansatzes könnten auch die Entwicklung künstlicher Intelligenz vorantreiben, die der des menschlichen Gehirns ähnelt. Im Unterschied zu Large-Language-Modellen (sogenannten LLMs), auf denen die meisten KI-Systeme basieren, soll das Modell eine transparente und nachvollziehbare Lösungsfindung aufzeigen können.

Wu sieht in dem neuen Modell das Potenzial, die Kommunikation der Neuronen im menschlichen Gehirn genau nachzubilden. Dies könnte zu einer effizienteren Datenverarbeitung und genaueren Ergebnissen führen.

Das "Modell für Alles" könnte die Grenzen unseres Verständnisses der komplexen Natur unserer Welt erweitern. Mit seiner Hilfe könnten Wissenschaftler und Fachleute über Disziplingrenzen hinweg die verborgenen Muster und Zusammenhänge entschlüsseln, die unsere natürliche und soziale Umwelt prägen.