Medien im Tunnelblick: Warum bestimmte Mehrheiten skandalisiert, andere ignoriert werden
Probleme einer ungeregelten Migration werden in Gut-und-Böse-Schemen gepresst. Journalistische Meinungen werden zu Tatsachen. Was auf der Strecke bleibt.
Die gemeinsame Abstimmung von Union und AfD am 29. und 31. Januar 2025 [1] beschÀftigt die Medien weiterhin.
In dem mit 348 Ja- zu 344 Nein-Stimmen angenommenen "EntschlieĂungsantrag" wurde die Regierung unter anderem aufgefordert, Grenzkontrollen einzufĂŒhren, illegale Einreiseversuche zu unterbinden, vollziehbar Ausreisepflichtige nicht "auf freiem FuĂ" zu lassen, die LĂ€nder beim "Vollzug der Ausreisepflicht" stĂ€rker zu unterstĂŒtzen und das Aufenthaltsrecht fĂŒr StraftĂ€ter und GefĂ€hrder zu verschĂ€rfen.
In der Berichterstattung zu dieser Parlamentsabstimmung ist seitdem nachrichtlich von einem "Tabubruch [2]" die Rede, weil die AfD hierbei als Mehrheitsbeschafferin fungierte.
Allerdings stellt sich die Frage, wo dieses "Tabu" kodifziert sein soll, um als Tatsache gelten zu können anstatt als Meinung von Abgeordneten und Pressevertretern.
Was ist ein Tabubruch?
Im Newsletter des Medienmagazins Ăbermedien bemĂŒht sich Redakteurin Lisa KrĂ€her auszuloten, wann ein Tabubruch vorliegt und wann nicht, wenn andere Parteien gemeinsam mit der AfD abstimmen.
Denn verschiedentlich wurde, auch im öffentlich-rechtlichen Rundfunk (z.B. Moma [3]), darauf hingewiesen, dass auch andere Parteien als die Union schon mit der AfD fĂŒr oder gegen etwas gestimmt haben.
So haben im Kreistag Weimarer Land fĂŒnf Mitglieder der Fraktion "Linke/ GrĂŒne" gemeinsam mit der AfD gegen eine Klage der LandrĂ€tin [4] gestimmt, an das Land ThĂŒringen rund zwei Millionen Euro zurĂŒckzahlen zu mĂŒssen. Denn die LandrĂ€tin selbst hatte darauf hingewiesen, "dass der Rechtsstreit aus Sicht der Verwaltung keine Aussicht auf Erfolg hat". Die Klage wĂŒrde allerdings 29.523 Euro kosten.
KrĂ€her sieht in dieser gemeinsamen Abstimmung [5], mit der die Klage zurĂŒckgenommen werden musste, keinen Tabubruch.
Es ist ein Unterschied, ob eine Partei Stimmen der AfD in Kauf nimmt bzw. damit kalkuliert, um ihre eigenen politischen Ziele durchzusetzen, oder ob Parteien, wie im Fall in Apolda (Kreisstadt Weimarer Land, Anm. d. Verf), gegen ein Gesetz oder einen Beschluss (der hier ja auch noch aus der Verwaltung kam) stimmen â und die AfD eben auch. Es wĂ€re absurd, wenn Linke oder GrĂŒne fĂŒr den Beschluss gestimmt hĂ€tten, obwohl sie dagegen sind, nur weil die AfD auch dagegen stimmt.
Lisa KrĂ€her, Ăbermedien
Zu den Abstimmungen im Bundestag hatte der CDU-Vorsitzender Friedrich Merz allerdings Ăhnliches erklĂ€rt [6]: "Was in der Sache richtig ist, wird nicht falsch, wenn die Falschen zustimmen."
Wenig Beachtung fand, dass in dem von der AfD unterstĂŒtzten EntschlieĂungsantrag eine deutliche Positionierung gegen die AfD steht:
Wer die illegale Migration bekĂ€mpft, entzieht auch Populisten ihre politische Arbeitsgrundlage. Die AfD nutzt Probleme, Sorgen und Ăngste, die durch die massenhafte illegale Migration entstanden sind, um Fremdenfeindlichkeit zu schĂŒren und Verschwörungstheorien in Umlauf zu bringen.
Sie will, dass Deutschland aus EU und Euro austritt und sich stattdessen Putins Eurasischer Wirtschaftsunion zuwendet. All das gefÀhrdet Deutschlands StabilitÀt, Sicherheit und Wohlstand. Deshalb ist diese Partei kein Partner, sondern unser politischer Gegner.
Bundestags-Drucksache 20/14698 [7]
Sicherlich macht es einen Unterschied, ob eine Entscheidung nur wegen des Abstimmungsverhaltens der AfD fĂ€llt, oder ob deren Stimmen dafĂŒr unerheblich sind. Wo die Tabu-Linie verlĂ€uft, ist damit aber noch nicht gesagt. Auch KrĂ€her kann sie nicht klar benennen.
Wann spricht man von einer Zusammenarbeit mit der AfD? Was genau soll Brandmauer bedeuten? Auf diese Fragen gibt es wahrscheinlich unterschiedliche Antworten, weil es sich dabei nicht um eindeutige Kategorien handelt â und die Brandmauer im kommunalpolitischen Alltag möglicherweise manchmal gar nicht der RealitĂ€t entspricht. Medien tĂ€ten gut daran, diese Fragen detailreich und unaufgeregt zu diskutieren.
Lisa KrĂ€her, Ăbermedien
Ăbrigens gab es schon in der vorherigen Legislaturperiode wenigstens eine Gesetzesinitiative, die sogar von der AfD mit eingebracht wurde, gemeinsam mit allen anderen Parteien des Bundestags: nĂ€mlich im Corona-Jahr 2020, die AbgeordnetenvergĂŒtungen nicht automatisch anzuheben [8].
Persönliche Wertungen der Journalisten
Ein wesentliches Problem der Berichterstattung dĂŒrfte hier wie so oft sein, dass Journalisten ihre persönlichen Wertungen des Weltgeschehens fĂŒr allgemein verbindlich halten.
Dass kaum ein Journalist groĂer Medien selbst der AfD nahesteht [9] oder dies auch nur von Kollegen vermutet, schlĂ€gt sich dabei wohl nieder.
Der Blickwinkel des nach derzeitigen Umfragen [10] etwa ein FĂŒnftel der WĂ€hler zĂ€hlenden Bevölkerungsanteils kommt kaum vor, obwohl das möglich sein sollte, ganz gleich, wie Berichterstatter selbst zu der Partei stehen.
WĂ€hrend bei der AfD als faktische Grundlage stets die EinschĂ€tzung von Verfassungsschutzbehörden [11] herangezogen wird (ungeachtet der Frage, wie politisch unabhĂ€ngig der Verfassungsschutz arbeitet [12]), wird in manch anderen FĂ€llen komplett auf eine BegrĂŒndung der als faktisch eindeutigen Weltsicht verzichtet.
Trump ist das Böse
Besonders deutlich [13] wird dies stets bei Berichten ĂŒber den US-PrĂ€sidenten Donald Trump. Analog der AfD-Einordnung gilt er quasi als "gesichert populistisch [14]". Womöglich werden demnĂ€chst auch einzelne Parteien als "gesichert wirtschaftsfeindlich" oder Firmen als "gesichert klimaschĂ€dlich" vorgestellt, entsprechende Parameter dĂŒrften jedenfalls zu finden sein.
Im kĂŒrzlich veröffentlichten Deutschlandfunk-Podcast "Nach Redaktionsschluss [15]" war es fĂŒr die drei GesprĂ€chspartner Sara Sievert (t-online), Stephan Weichert (Medienwissenschaftler) und Stephan Beuting (DLF) gar keine Frage, wie Trump einzuschĂ€tzen sei.
Entsprechend wurde auch nicht im Ansatz erörtert, wieso eine Mehrheit der US-amerikanischen WÀhler ihn ein zweites Mal an die Staatsspitze gesetzt hat. Stattdessen ging es um die Frage, ob Trump in deutschen Medien zu viel Aufmerksamkeit bekommt.
Etwas, das auch immer wieder im Zusammenhang mit der AfD [16] debattiert wird.
Dabei sollte es doch weniger um die Menge an MedienprÀsenz gehen, als vielmehr um die vermittelten Inhalte. Manches mag in wenigen SÀtzen oder Sekunden hinreichend erörtert sein.
Die von CDU/ CSU mit ihrem EntschlieĂungsantrag aufgeworfenen Fragen zur Migration [17] sind sicherlich nicht ganz so schnell zu beantworten â hierfĂŒr dĂŒrfte es deutlich mehr als die vom Parlament knapp angenommenen zwei A4-Seiten brauchen.
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[1] https://www.telepolis.de/features/Weimar-2-0-CDU-wiederholt-historische-Fehler-10268668.html
[2] https://www.tagesschau.de/inland/innenpolitik/bundestag-debatte-migration-102.html
[3] https://x.com/annaninii/status/1886827924613161470
[4] https://weimarerland.ratsinfomanagement.net/vorgang/?__=UGhVM0hpd2NXNFdFcExjZUnS7g89HpFyuwwY3fmAOq0
[5] https://www.berliner-zeitung.de/politik-gesellschaft/skandal-in-thueringen-gruene-und-linke-stimmen-mit-bjoern-hoeckes-afd-li.2292810
[6] https://www1.wdr.de/nachrichten/bundestagswahl-2025/merz-cdu-afd-abstimmung-brandmauer-100.html
[7] https://dserver.bundestag.de/btd/20/146/2014698.pdf
[8] https://dip.bundestag.de/vorgang/gesetz-zur-aussetzung-des-anpassungsverfahrens-gem%C3%A4%C3%9F-11-absatz-4/261321
[9] https://www.journalismusstudie.fb15.tu-dortmund.de/wp-content/uploads/2024/09/2024-Journalismusbefragung_Journalismus-und-Demokratie.pdf
[10] https://www.wahlrecht.de/umfragen/
[11] https://www.tagesschau.de/inland/innenpolitik/afd-ovg-verdachtsfall-100.html
[12] https://www.deutschlandfunkkultur.de/kommentar-verfassungsschutz-afd-steinke-100.html
[13] https://www.telepolis.de/features/Fake-News-von-oben-Wie-serioese-Medien-die-Wahrheit-verzerren-9961483.html
[14] https://www.baks.bund.de/de/arbeitspapiere/2017/donald-trump-populist-im-weissen-haus-hintergruende-und-perspektiven
[15] https://www.deutschlandfunk.de/trump-auf-allen-kanaelen-wie-redaktionen-und-publikum-damit-umgehen-koennen-100.html
[16] https://uebermedien.de/102558/hoert-auf-die-afd-in-talkshows-einzuladen/
[17] https://www.telepolis.de/features/Migration-Schluessel-fuer-die-Wirtschaft-Herausforderung-fuer-den-Sozialstaat-10190261.html
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