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Medien in Afghanistan: Lobbyismus oder Journalismus?

Tolo TV ist in Afghanistan der Mainstream-Sender und wurde wie andere Sender mit US-Hilfe gegründet

Vor einiger Zeit sprengte sich ein Attentäter der afghanischen Taliban mitten auf der bekannten Dar-ul-Aman-Straße in Kabul in die Luft. Sieben Menschen wurden bei dem Anschlag getötet, mindestens dreißig weitere wurden verletzt. Das Ziel der Aufständischen waren allerdings weder Soldaten noch Polizisten, sondern Journalisten. Der Angriff galt einem Bus der Mediengruppe Moby, die vor allem für den lokalen Mainstream-Sender Tolo TV [1] bekannt ist. Bei den Opfern handelte es sich um junge Medienschaffende, also um junge Männern und Frauen, die sich eine positive Zukunft erhofft hatten und gleichzeitig ihre Familien ernährten.

Nun sind sie allesamt tot und viele Menschen fragen sich ein weiteres Mal, wie ein Land, in dem Journalisten auf der Straße regelrecht massakriert werden, für Akteure wie die deutsche Bundesregierung weiterhin als sicher gelten kann. Warum greift eine extremistische Gruppierung wie die Taliban die Mitarbeiter eines Fernsehsenders auf diese brutale Art und Weise an?

Laut eigenen Angaben ist für die Taliban die Moby-Gruppe, vor allem Tolo TV, ein militärisches Ziel. Dies wurde in den letzten Monaten immer wieder hervorgehoben, während gleichzeitig anderen Medien versichert wurde, dass sie sicher seien. Laut den Taliban ist Tolo TV ein Fernsehsender, der gezielt Desinformationen, Propaganda und Lügen verbreitet und im andauernden Krieg, der nun seit fünfzehn Jahren in Afghanistan herrscht, immer wieder einseitig Partei ergriffen habe.

Parteiergreifung bedeutet zum Beispiel laut Taliban-Sprecher Zabihullah Mujahed eine Berichterstattung, die der afghanischen Armee, der NATO oder lokalen Kriegsfürsten zugutekommt. Des Weiteren werfen die Extremisten dem Sender vor, die afghanische Gesellschaft mit "unislamischen Sendungen" - etwa ausländischen Seifenopern, in denen es vor allem um Liebe, Sex und Intrigen geht - zu verseuchen.

Screenshot der Homepage von Tolo TV

In politischer Hinsicht hat sich der Sender spätestens seit der kurzzeitigen Taliban-Eroberung der Provinzhauptstadt des nördlichen Kunduz im vergangenen September Feinde gemacht. So berichtete unter anderem auch Tolo TV, dass Taliban-Kämpfer kurz nach der Einnahme der Stadt durch die Straßen gezogen und gezielt geplündert und vergewaltigt hätten. Dies wurde allerdings nicht nur von Taliban-Seite dementiert, sondern auch von Einwohnern der Stadt.

Der afghanische Rupert Murdoch

Tatsächlich ist Tolo TV in Afghanistan der Mainstream-Sender schlechthin und gehört gegenwärtig zum führenden privaten Fernsehkanal im Land sowie in zahlreichen afghanischen Haushalten weltweit. Bekannt ist der Sender vor allem für Unterhaltungsformate wie diverse Quiz-Shows, Seifenopfern oder "Afghan Star", einer afghanischen Version von "Deutschland sucht den Superstar". Besonders präsent ist der Sender auch durch seine täglichen Nachrichtenformate, die oftmals von jungen Männern mit - so scheint es manchmal zumindest - zu engen Anzügen und zu viel Gel in ihren Haaren präsentiert werden.

In Sachen Nachrichten verfolgt Tolo TV seit Sendebeginn im Jahr 2004 eine ganz klare Linie, die vor allem zugunsten der US-Politik im Land ist. Dies wurde unter anderem dadurch deutlich, dass in der Vergangenheit aufgedeckte Kriegsverbrechen vom Sender kaum oder gar nicht behandelt wurden, während sie in westlichen Medien teils für Schlagzeilen sorgten. Als etwa im vergangenen Jahr der CIA-Folterbericht veröffentlicht wurde, wurde er von mehreren führenden US-amerikanischen und europäischen Medien ausführlich analysiert. Währenddessen scherte man sich bei Tolo TV kaum darum - obwohl ein bedeutender Teil des Berichts Afghanistan behandelte, speziell das Foltergefängnis in Bagram. Selbiges betrifft auch die alltäglichen Opfer von US-amerikanischen Drohnen-Angriffen im Land, die in der Onlinepräsenz von Tolo TV regelmäßig als "mutmaßliche Extremisten" oder "Taliban-Kämpfer" bezeichnet werden, ohne jegliche Beweise zu liefern.

Saad Mohseni. Bild [2]: David Shankbone/CC-BY-SA-3.0 [3]

Die einseitige Berichterstattung des Fernsehsenders hat auch einen Grund. Das Grundkapital von Saad Mohseni, dem Gründer und Vorsitzenden der Moby-Gruppe [4], wurde während der Gründung des Unternehmens hauptsächlich durch die sogenannte USAID (United States Agency for International Developement) aufgestockt. USAID ist de facto ein politisches Machtinstrument des Weißen Hauses, weshalb sie immer wieder in Kritik steht. Die staatliche Behörde ist bekannt dafür, im Ausland - vor allem in Entwicklungsländern - als Entwicklungszusammenarbeit getarnte Lobbyarbeit zu betreiben. Laut Andrew S. Natsios, einem früheren Sekretär der USAID, ist die Behörde das am "häufigsten eingesetzte Instrument, wenn die Mittel der Diplomatie nicht mehr ausreichen und die Anwendung militärischer Gewalt zu riskant erscheint".

Ein derartiges Ergebnis ist unter anderem auch in Afghanistan zu betrachten. Saad Mohseni, früher lediglich ein australisch-afghanischer Unternehmer, gehört gegenwärtig zu den mächtigsten Personen im Land. Viele Menschen betrachten ihn als "Rupert Murdoch Afghanistans". Mohsenis Moby-Gruppe ist allerdings nicht nur in Afghanistan aktiv. Im Jahr 2009 gründete das Unternehmen den Fernsehsender Farsi1, dessen Zielgruppe vor allem Persisch sprechende Menschen im Nahen Osten und in Westasien sind. 2014 ging Moby mit LANA TV auch im Irak an den Markt. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt umfasst das Unternehmen ein weit gestricktes Netzwerk, welches von Südasien bis zum Nahen Osten reicht.

Gezielte Lobbyarbeit

Neben Tolo TV gibt es am Hindukusch allerdings auch andere Medien, die in einer ähnlichen Art und Weise agieren. Ein weiteres Medium, was in dieses Schema fällt, ist Radio Azadi [5], früher auch bekannt als Radio Free Afghanistan. Der Radiosender, der auch eine starke Internetpräsenz hat, ist der afghanische Ableger von Radio Free Europe/ Radio Liberty (RFE/RL), einem weltweit agierenden Mediennetzwerk, welches vom US-Kongress gefördert wird.

In diesem Kontext muss man sich generell die Frage stellen, inwiefern Medien, die in Afghanistan nach dem Einmarsch der NATO entstanden sind und gefördert wurden, tatsächlich ernsthaften Journalismus betreiben oder lediglich Machtinstrumente verschiedener Akteure sind und deren politische Interessen vertreten.

Auffällig ist diesbezüglich auch die Tatsache, dass viele Journalisten, Korrespondenten und Redakteure aus einschlägigen Kreisen stammen oder teils miteinander verwandt sind. Während zum Beispiel Lotfullah Najafizada der Chefredakteur von Tolo TV ist, nimmt dessen Verwandter Harun Najafizada eine führende Position beim persischen Ableger von BBC, der ebenfalls eine wichtige Rolle in Afghanistan spielt, ein. Währenddessen ist ein weiteres Familienmitglied, Shoib Najafizada, der Afghanistan-Korrespondent des Spiegel. Letztgenannte fielen in der Vergangenheit vor allem durch ihr nahes Verhältnis zum Kriegsfürsten und ehemaligen Vizepräsidenten des Landes, Abdul Rashid Dostum, auf. Auch andere Journalisten, vor allem jene, die für ausländische Medien tätig sind, pflegen fragwürdig nahe Verhältnisse zu Militärs und Politiker und übernehmen in ihren Berichten deren Aussagen oftmals ohne jegliches Hinterfragen.

Screenshot der Homepage von Nunn.Asia

Mittlerweile lassen sich allerdings auch derartige Medien auf der "anderen Seite" finden. Das Online-Medium Nunn.Asia [6], welches vor allem in den Landessprachen Dari und Paschto publiziert, zählt auf Facebook mittlerweile über 220.000 Abonnenten. Laut eigenen Angaben ist das Nachrichtenportal "frei und unabhängig" sowie frei vom Einfluss jeglicher politischer oder religiöser Gruppierungen. An der Gründung im Jahr 2011 sollen Lehrer, Studenten und ein Team aus jungen Journalisten beteiligt gewesen sein.

In letzter Zeit wird Nunn.Asia jedoch des Öfteren unterstellt, ein "Taliban-Medium" zu sein. Kritiker sind überzeugt, dass zumindest eine gewisse Nähe zu den Aufständischen vorhanden ist. Dies hat allerdings nicht nur damit zu tun, dass oftmals auf deren Webseite einschlägiges Insiderwissen oder sympathisierende Zeilen zu finden sind, sondern auch mit der Tatsache, dass hier stets regierungs- und Washington-kritisch berichtet wird.

Bei all der berechtigten Kritik an Medien wie Tolo TV sind sich allerdings die meisten Medienschaffenden, egal welcher Couleur, im Land einig, dass Probleme in der Berichterstattung nicht mit Gewalt gelöst werden können - vor allem nicht mit einem derartig blutigen Massaker, wie es vor Kurzem stattfand. "Wenn die Taliban ein Problem mit unserer Berichterstattung haben, gibt es verschiedene Wege, um darauf aufmerksam zu machen", meinte eine langjährige Tolo-Journalistin in einem Interview. "Diese sieben Menschen zu ermorden, war keiner davon", fügte sie hinzu.


URL dieses Artikels:
https://www.heise.de/-3378253

Links in diesem Artikel:
[1] http://www.tolo.tv/
[2] https://commons.wikimedia.org/wiki/Category:Saad_Mohseni#/media/File:Saad_Mohseni_2011_Shankbone.JPG
[3] http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/deed.de
[4] http://www.mobygroup.com/
[5] http://www.azadiradio.org/
[6] http://www.nunn.asia/