Medien über Krieg und Frieden: Nur noch gute Nachrichten?

Reuters-Studie: 36 Prozent umgehen Nachrichten bewusst. Nachrichtenvermeider interessieren sich kaum für Top-Themen der Medien. Über eine große Kluft in der Vermittlung der Wirklichkeit, besonders des Ukraine-Kriegs.

Wiederholt belegen Studien zum Journalismus, dass Vertrauen in etablierte journalistische Medien sinke, dass Nachrichtenmüdigkeit wachse, ebenso wie Nachrichtenvermeidung. Viele Menschen seien, so ein Befund, der massenhaft negativen Meldungen überdrüssig. Sie wünschten sich mehr "gute" Nachrichten.

Gegenwärtig wird in solchen Kontexten dann immer wieder auf den "konstruktiven Journalismus" gleichsam als Allheilmittel verwiesen und gesetzt. Dabei thematisiert man zumindest einen großen Elefanten im Raum erst gar nicht.

"Die News vom Ende her denken", so wirbt der Medienbranchen-Dienst kress dieser Tage für seine neue Journalismus-Werkstatt "Konstruktiver berichten". Versprochen werden "Rezepte gegen Nachrichtenmüdigkeit". Der Autor des Werkstatt-Heftes, Jonathan Widder, wird mit den Worten zitiert:

Eine der für mich erstaunlichsten Beobachtungen der vergangenen Jahre war, dass nicht nur Menschen aus meinem Bekanntenkreis aufhörten, Nachrichten zu lesen, zu hören oder zu schauen, sondern auch Journalistinnen und Journalisten selbst.

Doch lasse sich solche – auch hier als allgemein behauptete – Nachrichtenmüdigkeit zumindest lindern, wenn Berichterstattung insgesamt konstruktiver werde und sich journalistisch Tätige neben Problemen auch mit möglichen Lösungen beschäftigten.

Dann also schnell diese angepriesene Therapie als Lösung, ohne sich weiter diagnostisch mit den Problemen beschäftigen zu müssen?

Die Frage sei erlaubt: Woher kommt diese mittlerweile viel beschworene Nachrichtenmüdigkeit mit dem verbundenen Symptom der Nachrichtenvermeidung?

Dafür seien hier insbesondere einige Aspekte (der Vermittlung) von Krieg und Frieden diskutiert.

"Nachrichtenvermeider"

36 Prozent der Befragten weltweit geben laut der aktuellen Auflage der Medienstudie des Reuters-Journalismusinstitutes an der Universität Oxford an, Nachrichten oft oder manchmal ganz bewusst und aktiv zu umgehen.

Wie die Studie ausführt, gibt es vor allem hinsichtlich der "Top-Themen des Tages" (Big stories of the day) große Unterschiede in der Nutzung. Also bei den Themen, die insbesondere die Leitmedien ganz oben auf die Tagesordnung setzen.

Quelle: Medienstudie des Reuters-Journalismusinstitutes an der Universität Oxford. Grafik: TP

Während fast zwei Drittel (62 Prozent) jener Menschen, die in der Studie als "Nicht-Vermeider" von Nachrichten markiert werden, angeben, sie seien an den leitmedial angebotenen "großen Themen des Tages" interessiert, scheinen das von den "Vermeidern" nur 35 Prozent zu sein, also etwa halb so viele, damit lediglich ein gutes Drittel der Gesamtheit der "Nachrichtenvermeider".

Man könnte erwarten, dass dieser Unterschied zwischen Viel-Nutzern von Nachrichten und Nachrichten-Skeptikern tatsächlich sogar noch deutlich größer sein mag, wenn die Studie insgesamt (selbst-)kritischer angelegt wäre mit Blick auf journalistische Leitmedien.

Die Therapie

Aber nehmen wir an, diese Studien-Zahlen entsprechen relativ gut der Wirklichkeit, und schauen, was die Studie als Therapie vorschlägt, um wieder mehr Medien-Nutzende zurück ins mainstream-kompatible Nachrichten-Boot zu holen: Laut Studie kommen Themen wie der Krieg in der Ukraine oder die jeweilige nationale Politik bei regelmäßigen Nachrichtennutzern gut an, stoßen aber gleichzeitig "weniger interessierte Nutzer" ab.

Auf die Idee, dass solche Nutzerinnen und Nutzer durchaus "mehr interessiert" sein mögen an anderen Themen oder zumindest an anderen Perspektiven (als jener der jeweiligen Regierung oder sonstiger Eliten) auf Themen wie den Ukraine-Krieg, auf diesen Gedanken kommen die Studienverfasser anscheinend leider nicht.

Ihnen ist vielmehr Folgendes wichtig: "Selektive Nachrichten-Vermeider" seien deutlich mehr an "positiven oder lösungsorientierten Nachrichten" interessiert.

Diese beiden Antwort-Möglichkeiten aus dem vorgegebenen Spektrum liegen laut Studie bei den "Vermeidern" mit 55 Prozent bzw. 46 Prozent klar vorne.

Nachrichten mögen bitte "etwas weniger deprimierend" sein

Die Studien-Verantwortlichen interpretieren dies als "oft geäußerten Wunsch", Nachrichten mögen bitte "etwas weniger deprimierend" und dafür "etwas leichter zu verstehen" sein.

So heißt es im Digital News Report ("We can interpret this as an oft-stated desire for the news to be a bit less depressing and a bit easier to understand"), und man fragt sich: Ernsthaft? Wird hier die Nutzerschaft so wenig ernst genommen?

Der Elefant im Raum

Denn der sprichtwörtliche "Elefant im Raum" ist zwar kaum zu übersehen, wird aber ignoriert: Dieser Elefant heißt im journalistischen Feld "(zu) einseitige Berichterstattung", was Themensetzung und Kommentierung angeht.

Dieses Unübersehbare ist sogar in der Studie enthalten, bleibt aber doch im relativ Verborgenen: Es geht um die Vermittlung des Themas "Krieg in der Ukraine". Weltweit gilt auch laut Studie dieses Thema mit 39 Prozent als Negativ-Spitzenreiter auf der Liste der am meisten abstoßenden Themen, mit Blick auf die Nachrichten-Vermeider.

In einigen Ländern, die geographisch nahe am Kriegsgebiet liegen, werde gerade dieses Thema weit überdurchschnittlich gemieden (Finnland: 75 Prozent, Tschechien: 60 Prozent, Deutschland: 52 Prozent, Slowakei: 50 Prozent). In den USA hingegen nur von 32 Prozent der News-Skeptiker.

Die Studien-Daten deuteten allerdings nicht auf mangelndes Interesse am Krieg in der Ukraine hin, sondern eher auf einen Wunsch, "die psychische Gesundheit vor den sehr realen Schrecken des Krieges zu schützen".

Es könnte auch sein, heißt es, dass sich die Publika vor allem in dem Krieg nahe liegenden Ländern (wie Deutschland) "bereits gut genug über die Ukraine informiert fühlen, da über alle Kanäle, einschließlich der sozialen Medien, ausführlich und detailliert berichtet" werde. Und wieder erhebt sich die Frage: Nicht Euer Ernst, oder?

Voreingenommenheit

In der auf Deutschland bezogenen Fassung der Reuters-Oxford-Studie im Jahr 2022 war eine der acht vorgegebenen inhaltlichen Antwort-Möglichkeiten, warum man Nachrichten zumindest manchmal meide, diese Kritik: "Die Nachrichten sind nicht vertrauenswürdig oder voreingenommen."

Leider war keine Antwort-Möglichkeit z.B.: "Die Nachrichten sind (zu) einseitig". Aber die vorgegebene Version mit dem Kritikpunkt "Voreingenommenheit" kam solcher Kritik doch relativ nahe – und landete immerhin auf Rang vier im Ranking der Studie, mit 23 Prozent der Nennungen von Nachrichten-Skeptikern. In der veröffentlichten Fassung von 2023 finden sich diese Aspekte interessanterweise gar nicht mehr.

Dass gerade solche mutmaßliche Einseitigkeit der Kriegsberichterstattung ein wichtiges Thema bleibt, machte die umfassende empirische Journalismus-Studie von Marcus Maurer und Team Anfang dieses Jahres deutlich, die unter dem Titel "Die Qualität der Medienberichterstattung über den Ukraine-Krieg" resümmierte:

Die meisten deutschen Leitmedien haben in den ersten drei Monaten des Ukraine-Krieges überwiegend für die Lieferung schwerer Waffen plädiert und diplomatische Verhandlungen als deutlich weniger sinnvoll charakterisiert.

Auch die empirische Studie unter Federführung von Harald Welzer deutete sowohl auf Einseitigkeiten in journalistischen Leitmedien als auch auf Repräsentationslücken zwischen öffentlicher und veröffentlichter Meinung beim Thema von Krieg und Frieden hin.

Die immer schnellere Lieferung immer schwererer Waffen an die Führung der Ukraine wurde und wird bis heute nicht nur von einflussreichen Politikerinnen und Politikern, sondern nicht zuletzt von wichtigen Medienschaffenden gefordert.

Wenn es Kritik gibt an der Regierungslinie, dann journalistisch in Leitmedien vor allem im Sinne von "noch schneller, noch mehr, noch schwerere Waffen".

Das mag nun sogar, in gewisser Hinsicht, auch als "lösungsorientierter" oder "konstruktiver" Journalismus gelabelt werden.

Aber: dass "positive" oder "lösungsorientierte" Nachrichten mit Blick auf den Krieg um die Ukraine zumindest auch solche sein sollten (oder müssten), die diplomatische Lösungsmöglichkeiten stärker thematisieren und womöglich meinungsbetont auch befürworten, sollte sich journalistisch von selbst verstehen. Es passiert aber kaum.

Obwohl lösungsorientierter Journalismus ja gerade nicht die eine Lösung präsentieren und propagieren sollte (zum Beispiel Waffenlieferungen an die Ukraine bis zum Sieg-Frieden), sondern dem Publikum im Sinne journalistischer Vielfalt und Objektivierung verschiedene, auch gegensätzliche Lösungsvorschläge vermitteln sollte.

Im Friedensjournalismus gibt es Konzepte dafür.

Friedensjournalismus und Deeskalation

Friedensjournalismus hat gerade im deutschsprachigen Raum eine mehr als 100 Jahre lange Tradition. Dieses Konzept lässt sich theoretisch und praktisch durchaus mit neueren Journalismus-Konzepten von "lösungsorientiert" oder "konstruktiv" verbinden.

Der Journalistik-Expertin Sigrun Rottmann zufolge ist Ausgangspunkt von Friedensjournalismus die Annahme, dass Medien in Konflikten und Friedensprozessen maßgeblich sowohl zu einer Eskalation als auch zu Deeskalation und Konfliktlösung beitragen können.

Für den Journalismus wird der Anspruch formuliert, über Konflikte besonders sorgfältig zu berichten und mit ihrer Berichterstattung die Prävention von Konflikten sowie Friedens- und Versöhnungsprozesse zu unterstützen.

Der Journalistik-Experte Thomas Hanitzsch bezeichnet Friedensjournalismus als eine "Sonderform des sozial-verantwortlichen Journalismus" und als "Programm der journalistischen Berichterstattung, das einen Beitrag zur friedlichen Konfliktaustragung leistet.".

Der norwegische Friedens- und Konfliktforscher Johan Galtung, der maßgeblich zur Entwicklung von sozialwissenschaftlichen Konzepten wie "Nachrichtenfaktoren" oder auch "strukturelle Gewalt" beitrug, gilt als einer der Begründer und bis heute Befürworter von Friedensjournalismus.

Angesichts dieser friedensjournalistischen Traditionen und Bezugspunkte bleibt die Frage, warum gerade jetzt, in diesen Zeiten von Krisen, Konflikten und Kriegen, hierzulande so wenig zu spüren ist von Friedensjournalismus.

Dabei kommt es doch derzeit wahrscheinlich mehr denn je darauf an, sich nicht um die Flaggen von Imperium, Nationalstaat und Krieg zu scharen. Aber wie schrieb Thomas Mann bereits 1938, vor dem Beginn des Zweiten Weltkrieges, in seinem Text Vom kommenden Sieg der Demokratie?

Krieg ist nichts als Drückebergerei vor den Aufgaben des Friedens.

Damit ließe Kriegsjournalismus sich beschreiben als Sich-Drücken vor Aufgaben eines Friedensjournalismus. Das wäre dann vielleicht keine einfach "gute Nachricht" – aber sicher eine "konstruktive", weil an möglichst friedlichen Lösungen orientierte.