Medien und Gewalt von Schülern

Beim Massaker an der US-Schule spielen Internet und Computerspiele eine prominente Rolle

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Mit dem Massaker an der Columbine High School, gegenwärtig Topthema in allen US-Medien, geht auch wieder die Suche nach den Ursachen der Gewalt einher. Dieses Mal scheinen das Internet und Computerspiele neben der Popkultur eine prominente Rolle zu spielen - und irgendwie auch eine Verbindung zum deutschen Faschismus, denn die beiden Jugendlichen, die sich offenbar lange auf ihren "Auftritt" vorbereitet und in der Serie der Massenmorde an Schulen einen neuen "Rekord" eingestellt haben, führten ihren Anschlag am 110. Geburtstag von Adolf Hitler aus. Auch der Internet-Skandaltratscher Matt Drudge spielte wieder ein Rolle. Er versandte eine Email, die behauptete, daß die "Trenchcoat Mafia" das Massaker schon vor der Tat angekündigt hatte.

Erst letzte Woche verklagten Eltern von Schulkindern, die 1997 bei einem ähnlichen Massaker in Paducah, Kentucky, getötet wurden, die Produzenten des Films "The Basketball Diaries". Leonardo Di Caprio spielt hier die Rolle eines Schülers, der davon träumt, seine Lehrer und Mitschüler zu erschießen. In den Traumszenen, in denen er dies ausführt, trägt er übrigens einen langen und schwarzen Trenchcoat, ein "Markenzeichen" auch der Gruppe, der Dylan Klebold (17) und Eric Harris (18) angehörten. Im kürzlich angelaufenen Film The Matrix schießen sich übrigens auch die beiden Helden mit langen schwarzen Trenchcoats durch die Welt. Die Anklage stützt sich auf eine Aussage des Attentäters Michael Carneal, der sagte, daß sein Entschluß zum Töten auch von dem DiCaprio-Film herührte. Die Eltern klagten überdies Seagram und Sony als Produzenten von gewalttätigen Computerspielen an. Bei der Klage um die möglicherweise von Medien ausgelösten Schäden geht es um einen Streitwert von 78 Millionen Dollar.

Dylan Klebold und Eric Harris hatten natürlich einen Computer zuhause und einen Internetzugang. Die Computer wurden von der Polizei beschlagnahmt, die Dateien, die Harris auf seiner Website hatte, wurden von AOL sichergestellt, vom Netz genommen und dem FBI übergeben. Angeblich hatte Harris sich bei AOL ein Nutzerprofil gegeben, in dem er sein Hobby als "professioneller" Ersteller von Programmen für das blutrünstige Computerspiel Doom bezeichnete und das so endete: "Shut up and shoot it. - Quit whining, it's just a flesh wound - Kill Em AALLL!!!!" Offensichtlich waren beide Massenmörder leidenschaftliche Doom- und Quake-Spieler, die wegen ihrer realistischen Gewaltdarstellungen bekannt und in Deutschland indiziert sind. In einem AOL-Chatroom soll Harris am Morgen vor der Tat die Mitteilung gepostet haben, daß heute sein letzter Tag auf der Erde sein werde.

Auf der Website von Harris fanden sich auch Texte der "deutschen", aber seit Jahren in den USA lebenden Gruppe KMFDM (Keine Mitleid für die Mehrheit). Sie reagierte prompt und setzte eine Mitteilung auf ihre Website, in der sie sich gegen die Beschuldigung zur Wehr setzt, Propaganda für Nazis, Rassismus oder Gewalt betrieben zu haben. Gleichfalls am 20. April hatte sie ihr neues Album mit dem Namen "Adios" auf den Markt gebracht.

Harris soll von allem angetan gewesen sein, was mit den Nazis und dem Zweiten Weltkrieg zu tun hatte. Beide Täter sollen auch gerne deutsch gesprochen haben. Klebold und Harris wird überdies eine Nähe zur sogenannten schwarzen Gothic-Popkultur nachgesagt (Gothic Net). Auf der Website von Harris befanden sich Zeichnungen mit teufelsähnlichen Figuren, die man jetzt als Gewaltdarstellungen interpretiert. Offenbar waren die beiden Attentäter wie die übrigen Mitglieder der "Trenchcoat Mafia" als Außenseiter der amerikanischen Mainstream-Kultur, die daraus auch einen Kult machten. Im Jahrbuch der Schule schrieben die Mitglieder der Gruppe: "Wer sagt, daß wir anders sind? Wahnsinn ist gesund! ... Bleibt lebendig, bleibt anders, bleibt verrückt." Die Revolte der Jugendlichen aus der Mittelschicht gegen die weiße Kultur des Erfolgs scheint sich nicht mehr im symbolischen Widerstand einer Jugendkultur ausleben zu lassen, sondern in Gewalt gegen die verordnete Normalität zu explodieren. Und daß die Schulen als Übergangsinstitutionen dabei eine wichtige Rolle spielen, ist nicht verwunderlich.

Das Internet spielt möglicherweise bei dem Massaker noch eine weitere Rolle, denn die Täter haben vielleicht die Anweisungen zur Herstellung der Rohrbomben aus dem Internet bezogen. Forscher vom Simon Wiesenthal Center haben angeblich eine Datei von Harris im Internet gefunden, in der er sagte, wie leicht es sei, Rohrbomben herzustellen, die "eine der leichtesten und tödlichsten Möglichkeiten sind, eine Gruppe von Menschen zu töten." Anleitungen zur Herstellung von Bomben im Internet können in den USA wegen des Grundrechts auf freie Meinungsäußerung nicht verboten werden.

Waffen lassen sich vermutlich über das Internet unter Umgehung der Gesetze viel einfacher erwerben. Websites von Anbietern wie gunsforsale.com oder gunsamerica.com gibt es ebenso zahlreich wie Auktionsseiten, beispielsweise auctionarms.com oder sellguns.com. Hier läßt sich vermutlich am einfachsten eine Waffe erwerben, denn man wird nur gefragt, ob man die gesetzlichen Bestimmungen akzeptiert. Der Rest findet zwischen Käufer und Verkäufer statt - und das Alter muß man ja nicht richtig angeben. eBay hatte vor kurzem Versteigerungen von Waffen wieder aus dem Angebot herausgenommen, weil die juristischen Probleme zu schwierig zu lösen seien.

Und kurz nach dem Bekanntwerden des Massakers haben viele bei AOL ihre Selbstbeschreibungen so verändert, daß in ihnen "Trenchcoat Mafia" vorkommt: ein gutes Mittel, um Aufmerksamkeit zu finden.