Medienskandal um Streeck: Wenn aus Analogien Antisemitismus wird
Ein Virologe spricht über Ausgrenzung in der Pandemie. Seine Worte lösen einen Mediensturm aus. Was der Fall Streeck über den Zustand des Journalismus verrät.
Immer wieder stellt sich in den Medien die Frage: Was ist der Unterschied zwischen einem Vergleich und einer Gleichsetzung? Ein aktuelles Beispiel: Der mediale Aufruhr um die Aussagen von Virologe Hendrik Streeck und die daraus resultierenden Schlagzeilen. Es geht um unterstellten Antisemitismus – und die politische Rolle von Journalisten.
Vorweg: Ein Vergleich ist keine Gleichsetzung. Parteizuneigung muss keine Parteinahme sein. Und wer die "fünfte Gewalt" im Staat bildet, ist noch offen. Ein Blick auf Mediendebatten der vergangenen Tage.
Für heftige Empörung hat mal wieder das Unvermögen mancher Journalisten gesorgt, einen Vergleich von einer Gleichsetzung und einer Analogie zu unterscheiden. Aus einem Interview des Focus machte der Spiegel die Schlagzeile: "Virologe Streeck vergleicht Corona-Ungeimpfte mit Juden".
Doch was hatte der Bonner Virologe gesagt?
Wir, als Gesellschaft, sind mit Menschen, die sich nicht impfen lassen wollten, nicht gut umgegangen. Man hat sie zum Teil ausgegrenzt, diffamiert, diskreditiert. Man hat ihnen die Schuld an dieser Pandemie gegeben. Das war einfach falsch. Da ist man mit einem Anteil der Bevölkerung, rund 20 Prozent, nicht gut umgegangen. Es wurden Schuldige gesucht, wie es bei der Pest mit den Juden gemacht wurde und bei HIV mit den Homosexuellen. Wir haben aus unserer Geschichte nicht gelernt. Der wahre Feind ist doch das Virus, nicht der Mensch.
Hendrik Streeck zum Focus
Was ist ein Vergleich?
Wenn Streeck hier etwas verglichen haben sollte, wie der Spiegel behauptet, dann müsste es ein Ergebnis dieses Vergleichs geben. Und nur über dieses könnte man dann diskutieren, nämlich ob es faktisch richtig ermittelt ist. Schließlich kann und darf man alles miteinander vergleichen, auch die sprichwörtlichen Äpfel und Birnen.
Die journalistische Erregung kann daher nur darin gründen, mit "vergleichen" tatsächlich "gleichsetzen" zu meinen. Aber hat Streeck Juden und Corona-Ungeimpfte" gleichgesetzt?
Auch das natürlich nicht. Vermutlich geht dem HIV-Forscher alleine schon der Ethnizismus ab, alle Juden ausnahmslos für geimpft zu halten. Tatsächlich stellt Streeck eine Analogie der Ausgrenzung auf. Es ging ihm um einen politischen und gesellschaftlichen Mechanismus.
Der Spiegel ordnet stattdessen ein:
Wer nicht geimpft war, durfte während der Coronapandemie zwischenzeitlich nicht in Restaurants, Kinos und andere öffentliche Einrichtungen. Auch für private Treffen gab es während der Lockdowns Einschränkungen. Im Zuge der Pest wurden Juden dagegen verfolgt: Der "Jüdischen Allgemeine" zufolge wurden zwischen 1348 und 1351 etwa in Straßburg Hunderte Juden ermordet, weil ihnen die Schuld an der Seuche zugeschrieben wurde. Auch andernorts gab es Pogrome.
Spiegel.de
Streecks Punkt ist die Suche nach Schuldigen – nicht, wie konkret mit ihnen in welcher Situation verfahren wurde.
Nach seinem speziellen Sprachverständnis hätte der Spiegel auch die Schlagzeilen "Streeck vergleicht Corona-Ungeimpfte mit Homosexuellen" und "Streeck vergleicht Juden mit Homosexuellen" bringen können.
Auf der Grundlage einer falschen Behauptung wie vom Spiegel drehen dann die Leser das Ganze noch etwas weiter.
Pandemie-Schutzmaßnahmen für Ungeimpfte mit der Verfolgung jüdischer Menschen zu vergleichen, verharmlost Antisemitismus & die Schrecken der Geschichte. Millionen verdanken der Corona-Impfung ihr Leben. Solche Vergleiche sind geschichtsvergessen & unwürdig.
Janosch Dahmen, MdB, Die Grünen
Hendrik Streeck sah sich zu einer Klarstellung veranlasst, verbunden mit einer Entschuldigung, sollte er Gefühle verletzt haben.
Das ist im Nachgang zu solchen Medienskandalisierungen zwar obligatorisch, aber auch recht wirkungslos. Und man fragt sich, was weniger utopisch klingt: sich sorgfältigeren Journalismus zu wünschen (der im Zweifelsfall auch mal nachfragt, statt vor sich hin zu interpretieren) oder mehr Lesekompetenz in der Gesamtbevölkerung.
Die fünfte Gewalt
Journalismus als "vierte Gewalt" zu bezeichnen ist, auch wenn es selbst Presserechtler mitunter tun, reichlich irreführend. Er hat zum einen nichts mit den drei Staatsgewalten (Gesetzgebung, Regierung und Rechtsprechung) zu tun, zum anderen bildet er keinerlei Organisation, sondern ist ein gesellschaftliches Geflecht, zu dem von Schülerzeitung bis Blog alles Mögliche gehört.
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Aber weil "vierte Gewalt" ganz knackig klingt, werden gerne auch weitere Gewalten erfunden. Für Platz fünf wird seit langem der Lobbyismus gehandelt.
Aber auch die sozialen Medien oder gleich der ganze Mob werden vorgeschlagen.
Arnd Diringer von der Hochschule für öffentliche Verwaltung und Finanzen Ludwigsburg sieht konkret X (Twitter) als entstehende fünfte Gewalt, "die auch die sog. vierte Gewalt kontrolliert".
Was man geradezu als gönnerhaft lesen kann - schließlich dürfte sich auch die Wissenschaft um diesen Titel bewerben.
Grüne Journalisten
Diese Wissenschaft hat jedenfalls etwas beizusteuern zu einer Debatte, die vor allem in der "vierten Gewalt" selbst immer wieder geführt wird: nämlich zur vermuteten oder tatsächlichen Parteiensympathie unter Journalisten.
Eine Befragung hat nun ergeben: 30 Prozent der Journalisten (von befragten 525) glauben, dass ihre Kollegen von den im Bundestag vertretenen Parteien am ehesten den Grünen nahestehen. Nach ihrer eigenen Parteineigung gefragt, gaben denn auch 41 Prozent die Grünen an. Womit ihre Vermutung validiert wird.
Der Aussage "Journalistinnen und Journalisten neigen dazu, in ihrer Berichterstattung überwiegend die Positionen der Partei zu übernehmen, der sie am ehesten nahestehen" stimmten nur 37 Prozent nicht zu.
Im November 2020 hatte eine Umfrage unter Volontären bei ARD und Deutschlandradio ergeben, dass 57% dieses journalistischen Nachwuchses die Grünen wählen würden. Danach tobte die Debatte über die Belastbarkeit und Aussagekraft dieses Wertes.
Doch dass Journalisten weiter links und näher an den Grünen stehen als der Bevölkerungsdurchschnitt, ergeben auch andere Studien.
Wie problematisch oder unproblematisch das ist, sollte man immer unter dem größeren Schlagwort der Diversität verhandeln. Denn entweder schlagen die persönlichen Lebensumstände einschließlich Geschlecht und Herkunft auf die Berichterstattung durch oder sie spielen aufgrund professioneller Arbeitsweisen keine Rolle.
Denn das beispielsweise die sexuelle Orientierung Einfluss auf die journalistische Arbeit hat, die parteipolitische Orientierung hingegen nicht, dürfte schwer zu begründen sein.