zurück zum Artikel

Mehr "America First" und genug Konfliktstoffe

Was die Midterm-Wahlen in den USA für Europa und Deutschland bedeuten und warum wir uns warm anziehen müssen. Interview mit dem Politikwissenschaftler Christian Hacke.

Herr Hacke, das Ergebnis für die Parlamentswahlen in den USA wies zuletzt auf einen Patt im Senat hin. Im Fall des Abgeordnetenhauses waren die Republikaner indes schon deutlich in Führung. Was bedeuten diese Zwischenwahlen für das parlamentarische System der USA?
Christian Hacke: Die Republikaner hatten geglaubt, es würde eine rote Welle geben, mit Trump als großem Sieger. Er hatte ja noch vor einigen Tagen angedeutet, er würde am 15. dieses Monats vermutlich dann seine Kandidatur für 2024 öffentlich machen.
Das erscheint heute mehr als fraglich, vielmehr könnte er am 15. den Versuch unternehmen, die Schuld an der Niederlage auf andere abzuwälzen. Aber der Fanatismus und die Lügen von Donald Trump und seinen Maga-Anhängern werden die USA weiter polarisieren.
Maga, also: Make America Great Again.
Christian Hacke: Jemand, der nicht zu dieser Strömung gehört, ist der große Sieger unter den Republikanern, Ron DeSantis aus Florida. Er könnte nun zum neuen Star der Republikaner avancieren, der Donald Trump nicht nur die Schau stiehlt, sondern auch 2024 als Präsidentschaftskandidat in Frage kommen könnte. Kein Wunder, dass Donald Trump aktuell weniger über die Demokraten herzieht und stattdessen immer stärker DeSantis angreift.
Noch hat Trump die Partei im Griff. Aber in den kommenden Monaten könnten das Lager um DeSantis die Oberhand bekommen. Innerparteilich werden die Auseinandersetzungen bei den Republikanern ansteigen, Schlammschlachten und Selbstzerfleischung nicht ausgeschlossen.
DeSantis wird mitunter etwas gehässig als "Trump mit Hirn" bezeichnet. Wie würden sich die Republikaner unter seinem wachsenden Einfluss verändern?
Christian Hacke: Er könnte fordern, dass es keinen Sinn mehr macht, mit Lügen, Betrug und Aufforderungen zu Gewalt zu handeln. Oder dass politische Attentate wie der Angriff auf den Mann von Nancy Pelosi inakzeptabel sind, wie auch hämische Kommentare dazu. Vielleicht gelingt ihm eine Veränderung des politischen Stils, der politischen Auseinandersetzung? Das wäre großartig.

"Die Mauern der Demokratie stehen noch"

Und was zeigt das Ergebnis der Midterms für die Demokraten?
Christian Hacke: Sie haben sich wacker geschlagen angesichts des Gegenwinds aus den Medien, die sich im Alarmismus überschlagen haben und auch unter Berücksichtigung der eigenen Schwäche: ein alter Präsident und eine angeknackste Wirtschaftsbilanz.
Aber Joe Biden hat es trotzdem gerissen! Dafür sind meiner Meinung nach zwei Dinge ganz entscheidend gewesen. Erstens hat das Abtreibungsverbot den Demokraten viele Frauen und auch viele junge Wähler in die Arme getrieben. Und zweitens hat der Appell Bidens, der sinnbildlich gesagt hat "It’s now or never" für die Demokratie, die Amerikaner wohl mehr bewegt, als wir gedacht haben.
Die Mauern der Demokratie stehen noch, das kann man mit Erleichterung feststellen. Aber die Polarisierung bleibt und erst die nächsten Tage und Wochen werden zeigen, ob Trump und seine Leute die Wahlen anerkennen oder weiter das Pferd der Wahllüge reiten wollen. Aber ich hoffe, sie reiten dann mittlerweile ein totes Pferd.

"Dieser Mann ist manisch"

Donald Trump hat selbst gesagt, es würde am 15. November ein "very big announcement" geben. Was erwarten Sie für diesen Tag?
Christian Hacke: Das ist schwierig zu sagen, aber mein Instinkt sagt mir, dass er seine Kandidatur für 2024 nicht bekannt geben wird. Ich glaube, er wird diesen Termin nutzen, um weiter gegen die Demokraten zu hetzen und Wahllügen zu verbreiten. Dieser Mann ist manisch.
Und er wird voraussichtlich versuchen, die Schuld an dem für seine Partei ernüchternden Ergebnis anderen anzuhängen. Im Visier steht da klar Kevin McCarthy, der Führer der Republikaner im Repräsentantenhaus. Trump wird ihm möglicherweise vorwerfen, dass er die falsche Strategie gefahren hat. Und so wird er versuchen, sich herauszureden.

Der Alarmismus in den Medien

Führende deutsche Leitmedien waren gestern sichtlich bemüht, das Ergebnis kleinzureden. Sie hatten in einem Vorgespräch zu diesem Interview noch eine andere Kritik an der Presse gehabt …
Christian Hacke: Ich war zum Teil irritiert durch den Alarmismus in den deutschen Medien, die Trump und seine "Maga"-Fraktion als Sieger dargestellt und schon so getan haben, als ob die amerikanische Demokratie zusammenbrechen würde. Da war schon viel Sensationsgier dabei. Nach dem Resultat werden aber auch einige Medien vielleicht vorsichtiger werden und mehr Zurückhaltung walten lassen.
Denn das wichtigste Ergebnis dieser Zwischenwiederwahl ist die Stärkung des liberalen Selbstbewusstseins. Wir sehen jetzt viele junge Kandidaten, auch Frauen bei den Demokraten, die die Partei attraktiver machen. Nun wäre es an der Zeit, dass Nancy Pelosi abtritt und den Jüngeren den Vortritt lässt.
Die Mauern der Demokratie stehen noch, haben Sie gesagt. Was bedeutet das denn mittel- und langfristig für die USA?
Christian Hacke: Nach wie vor müssen wir sagen, Amerika ist tief gespalten. Das liberale Amerika, das können wir sagen, atmet aber noch, ja atmet wieder stärker! Und es kann optimistisch in die nächste Runde der Auseinandersetzung gehen. Aber das Land bleibt zerrissen.
Man kann nur hoffen, dass die Auseinandersetzung zivilisierter stattfindet und dass die innerparteiliche Auseinandersetzung bei den Republikanern dazu führt, dass diese Partei sich auf den liberal-demokratischen Konsens zurückbesinnt.
Das trifft auf die Republikaner im Moment nicht zu. Ein großer Teil sind Gegner der Demokratie, sind Leugner der Wahlergebnisse. Und wir wissen daher auch noch nicht, inwieweit Trump und seine Leute dieses Wahlergebnis anerkennen werden.
Man kann jetzt also noch nicht voll durchatmen und darauf hoffen, dass Trump klein beigibt.

US-Außenpolitik: "Es wird weiter konfrontativ zugehen"

Und was bedeutet all dies für Deutschland und Europa?
Christian Hacke: Dass wir uns warm anziehen müssen. Gerade im außenpolitischen Bereich stimmen die Republikaner und die Demokraten in den Schlüsselfragen überein. Diese Wahl wird die Einstellung der Amerikaner gegenüber China, wie ich meine, bedauerlicherweise nicht beeinflussen. Es wird weiter konfrontativ zugehen.
Aber wir bräuchten eine amerikanische Außenpolitik, die gegenüber China mehr um Ausgleich und Verständnis bemüht ist.
Zweitens besteht auch mit Blick auf die Ukraine eine grundsätzliche Übereinstimmung zwischen den beiden Parteien. Aber McCarthy hat deutlich gemacht, dass die Republikaner in der Außenpolitik die Ukraine eventuell nicht mehr bedingungslos unterstützen werden. Das isolationistische Moment könnte stärker werden und den Konsens mit den Demokraten gefährden.
Wir werden mit Spannung abwarten, ob die Republikaner infolge dieser Wahlen stärker neoisolationistisch argumentieren und deshalb fordern werden: Die Europäer sollen für ihre eigene Sicherheit selbst sorgen, sie sollen auch Kiew stärker unterstützen. Nach dem Motto: Amerika kann das nicht alles so weitertragen. Also beide Partien könnten in der Außenpolitik stärker nach dem Motto handeln: Amerika First!

"Deutschland wird stärker rangenommen!"

Hier zeichnen sich Konfliktstoffe ab. Nicht nur in der Wirtschaftspolitik, wo der amerikanische Protektionismus stärker wird. Deutschland wird stärker rangenommen! Ich würde mich nicht wundern, wenn demnächst aus Washington die Forderungen lauter werden, und zwar von beiden Parteien, dass die Deutschen die Ukraine noch stärker unterstützen müssen.
Dennoch dürfen wir nicht übersehen, dass es Gegenströmungen gibt. Die Biden-Regierung steht mit Russland in Geheimverhandlungen. In der öffentlichen Meinung, in den Medien, im intellektuellen Bereich, in den Thinktanks mehren sich die Forderungen nach Überprüfung der bisherigen Russland- und Chinapolitik.
Die Zweifel an der bisherigen Politik werden größer. Man erkennt zunehmend, dass die Ukraine nicht weiter als Fechtboden, ja als Schlachtfeld gesehen werden darf, auf dem die USA Russland in die Knie zwingen sollen.
Ich höre und lese aus den USA immer öfter, dass die Ukraine nicht weiter bedingungslos unterstützt werden kann, sondern dass es zu einem Verhandlungsfrieden kommen muss.
Ob das gelingt, ist eine andere Frage. Aber es gibt diese Unterströmung in den USA, sowohl bei den Republikanern als auch bei den Demokraten als auch in der öffentlichen Meinung und auf akademischer Ebene. Das sollten wir im Auge behalten und das ist für mich ein kleines Zeichen der Hoffnung.

URL dieses Artikels:
https://www.heise.de/-7336223