Mehr Sorgen um Dolly als um menschliche Embryonen?

Stammzellbank und geklonte Embryonen: England steht an der Schwelle zum Stammzellparadies, doch während der "europäischen Wissenschaftswoche" interessiert die Engländer eher Dolly, das Schaf

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Was die Öffentlichkeit wirklich interessiert in Naturwissenschaft und Technik, das konnte man gut während der diesjährigen Europäischen Wissenschaftswoche vom 4. bis 8. November in London studieren. Dort wurde für fünf Tage eine mit wissenschaftlichen Experten besetzte Telefon-Hotline eingerichtet, die unter einer kostenlosen Telefonnummer zu täglich wechselnden Schwerpunktthemen Auskunft erteilte.

Star Dolly. Foto: Roslin Institut

Mittwoch war Klontag. Experten und Veranstalter hatten eigentlich mit einem Ansturm an Fragen zu geklonten Embryonen im Allgemeinen und zum therapeutischen Klonen im Speziellen gerechnet. Doch zum Einen blieb der Ansturm aus. Anrufe kamen regelmäßig, aber nicht häufig. Zum Anderen war das therapeutische Klonen keinesfalls das wichtigste Thema für die Anrufer, wie unter anderem William Ritchie feststellen durfte, Embryologe in Dollys Geburtsklinik, dem Roslin Institute.

Er war vor nun rund sechs Jahren gewissermaßen Dollys Hebamme und wurde für die Fragestunde extra nach London eingeflogen. Ungeschlagen an der Spitze der Frage-Hitliste stand die Gesundheit von Dolly, dem Klonschaf, das bekanntlich an einer rheumatoiden Arthritis leidet. Das zweite Top-Thema: Wann können endlich ausgestorbene Spezies durch Klontechnologie wieder zum Leben erweckt werden? Jurassic Parc ließ grüßen. Erst danach folgte der Mensch.

Diese Beobachtungen am Rande der Wissenschaftswoche sind umso bemerkenswerter, als England sich gerade anschickt, zum weltweiten Mekka der Stammzellforscher zu werden. Ein Mekka der Bio-Kritik scheint es dagegen nicht werden zu wollen.

An die Spitze der (westlichen) Stammzellländer setzte sich England spätestens am 4. Dezember 2001. Damals wurde der Human Reproductive Cloning Act wirksam, der das reproduktive Klonen in Großbritannien verbietet (Schwierigkeiten mit den Formulierungen). Zur Erzeugung von menschlichen Embryonen zu Forschungszwecken dagegen schweigt er und schreibt damit die in England bis dahin gängige Praxis, die Forschung an bis zu 14 Tage alten Embryonen zu erlauben, ins Klonzeitalter fort.

Im Gegensatz zu Deutschland (Von der Menschenwürde tiefgefrorener Embryonen) und den USA ist es damit in Großbritannien erlaubt, öffentliche Gelder zur Forschung an menschlichen embryonalen Stammzellen und - das ist die Crux des Ganzen - zur Erzeugung neuer menschlicher Stammzelllinien einzusetzen.

Der Dolly-Schöpfer möchte jetzt mit menschlichen Embryonen arbeiten

Einer der ersten, der das tun möchte, ist kein anderer als Klon-Vater Ian Wilmut, dessen Forschungsgesuch im Augenblick vom House of Lords begutachtet wird. Insgesamt vier Ethikkommissionen liegen noch vor dem Projektbeginn. Wilmut schätzt, dass er Mitte bis Ende kommenden Jahres alle Genehmigungsgremien durchschritten hat.

Wilmut möchte mit Hilfe der Klontechnik Zellkerne aus den Zellen von Patienten, die an chronischen Erkrankungen leiden, in Spendereizellen einsetzen. Daraus sollen dann analog zu den Klonversuchen die frühesten Stadien menschlicher Embryonen herangezogen werden, deren Zellen als Stammzelllinien kultiviert werden können. Es geht Wilmut und seinen Kollegen dabei im Augenblick nicht so sehr um direkte therapeutische Anwendungen, sondern um Grundlagenforschung: Wie verhalten sich menschliche Stammzellen in Kultur? Gibt es Unterschiede zwischen den einzelnen Erkrankungen? Was ist mit der Methylierung der Gene ? Kann man sie beeinflussen? Wie kann man alles nicht-menschliche Material aus den Stammzellkulturen eliminieren? Eine Schwierigkeit mit bestehenden Stammzelllinien liegt darin, dass sie fast alle mit Mauszellen verunreinigt sind.

Zu einem großen praktischen Problem könnte sich die Beschaffung der für die Klonierung nötigen Eizellen entwickeln. "Wir werden wohl zunächst mit Eizellen arbeiten, die bei künstlichen Befruchtungen (IVF) übrig geblieben sind", kündigte Wilmut kürzlich auf einer Konferenz in Berlin an. Langfristig allerdings liebäugelt er eher mit Eizellen von freiwilligen Spenderinnen, die sich etwa einer Unterleibsoperation unterziehen müssen.

Durchgehend geöffnet: Die erste Stammzell-Bank startet im Januar 2003

Wilmuts Antrag trifft zeitlich mit der Ankündigung der britischen Regierung zusammen, die versprochenen insgesamt 2,6 Millionen Pfund (knapp 4 Millionen Euro) für die in ihrer Art weltweit erste Stammzell-Bank zum 1. Januar 2003 freizugeben. Die Bank wird wohl in Hertfordshire gebaut, und die ersten Zelllinien könnten im Sommer 2003 dort abgelegt werden. Neben embryonalen Stammzellen sollen dort auch adulte Stammzellen kultiviert werden. Die Verhandlungen mit einigen IVF-Kliniken, die in Absprache mit den jeweiligen Eltern nicht implantierte Embryonen zur Stammzellerzeugung zur Verfügung stellen sollen, haben bereits begonnen. "Großbritannien entwickelt sich zur natürlichen Heimat der Stammzellforschung", sagte Professor John Pattison vom britischen Gesundheitsministerium zum Start des Projekts nicht ohne Stolz.

Und Stolz scheint auch das dominierende Gefühl der meisten Briten zu sein. Sicher, auch hier gibt es Gegner der Embryonenforschung, besonders aus den Reihen der katholischen Kirche sowie einiger "pro life"-Gruppierungen. In den Medien allerdings werden sie kaum beachtet. Und zumindest am Informationstelefon der europäischen Wissenschaftswoche war Kritik für die Anrufer auch kein Thema.