Mehr nicht!
Wie Nolan Bushnell mit zwei Strichen und einem Punkt den Massenmarkt für Heimkonsolen schuf
Nolan Bushnells Job im Freizeitpark "Lagoon" nördlich von Salt Lake City bestand im wesentlichen darin, Besucher zu überreden mindestens einen Viertel Dollar dazulassen. Einen Viertel Dollar, um mit einem Baseball auf leere Milchflaschen werfen zu dürfen. Eines hat Bushnell dort in jenem Sommer 1963 bestimmt gelernt, obwohl er eigentlich nur sein beim Pokern verspieltes Geld für die Studiengebühren wieder verdienen musste: "Leute wollen keine Enzyklopädien lesen, um eine Spiel zu spielen. Es muss so einfach sein, dass ein Betrunkener in einer Bar es kapiert." Diese Erkenntnis hat Bushnell – obwohl er weder den Videospielautomaten noch die Konsole erfand – zum Vater der Computerspielindustrie gemacht.
Bushnell studierte von 1962 bis 1968 Ingenieurswesen an der University of Utah. Neben dem Massachusetts Institute of Technology und der Universität Stanford war das eine der wenigen amerikanischen Hochschulen mit einem ernst zu nehmenden Institut für Informatik. Hier arbeiteten etwa David Evans und Ivan Sutherland 1968 am ersten "Head Mounted Display". Im Computerlabor der Universität lernte Bushnell nicht nur das Programmieren in der Sprache Fortran, sondern auch das Spielen von "Spacewar!". Er programmierte selbst kleine Spiele wie "Tic Tac Toe" für den Großrechner der Universität. Bushnell stellte damals wohl schon eine Verbindung zwischen den Flipper-Automaten, die im Freizeitpark neben seiner Wurfanlage standen, und der Popularität von "Spacewar!" bei den Mitstudenten her. Allerdings erkannte Bushnell das wesentliche Problem, das eine breite Kommerzialisierung von Computerspielen verhinderte: Computer waren zu teuer: "25 Cent pro Spiel – das geht bei einem Computer für acht Millionen Dollar nicht auf."
Bushnells Lösung war die Vereinfachung. Während er in Kalifornien für das Unternehmen Ampex an allerlei langweiligen Aufträgen arbeitete, bastelte er im Zimmer seiner beiden Töchter – die mussten ins Wohnzimmer umziehen - an einem Videospielautomaten. Dabei war die Unternehmenspolitik von Ampex recht hilfreich: Mitarbeiter durften sich für ihre Hobbys an diversen Elektronikbauteilen bedienen. Bushnell baute aus einer Menge Transistoren, einem gebrauchten Schwarzweiß-Fernseher und einer alten Farbverdünner-Dose für die Münzen eine Maschine, mit der man nur eins machen konnte: Spielen.
Beim Spielkonzept ließ sich Bushnell von "Spacewar!" inspirieren. Er nannte seine Entwicklung dann auch "Computer Space". Bushnell fand ein Unternehmen, das ihm "Computer Space" abkaufte. Nutting Associates – zuvor schon auf dem Markt für Flipperautomaten aktiv – baute 1.500 Automaten. Den ersten stellten sie 1971 in einer Bar nahe der Stanford University auf. Doch selbst an einem Ort mit recht hoher Nerd-Dichte wie "The Dutch Goose" war "Computer Space" nur mäßig erfolgreich. Bushnell hatte beim Gameplay seinen Grundsatz nur halbherzig berücksichtigt. Denn wer in dem Spiel erfolgreich mit seinem Schiff gegen die Untertasse der Außerirdischen bestehen wollte, musste erst einige Seiten über die Steuerung, den Einfluss der Schwerkraft und den Hyperraum lesen. Zu viel Aufwand für Leute, die nicht daheim, sondern in Bars und Arcades spielten. Es wurden nie mehr als die 1500 Automaten hergestellt - Nutting verkaufte nicht einmal alle dieser ersten Auflage.
"Computer Space" war mehr Computer als Spiel. Die recht komplexe Bedienung erinnerte an die Mühen mit den Großrechnern der damaligen Zeit, während das sehr futuristische Gehäuse aus stromlinienförmigem Fiberglas auf eine ferne Zukunft verwies, in der man damals Computer erst recht und noch mehr als in der Gegenwart als etwas Gottgleiches sah. Deshalb wurde ein "Computer Space"-Automat 1973 auch zur Hintergrundrequisite in dem Science Fiction Film "Soylent Green". Dieses mit einem ehrfurchtsvollen Schauder verbundene Konzept des Computers widerspricht dem Umgang von Spielern mit Technologie. Deshalb wurde "Computer Space" auch kein Erfolg.
Nolan Bushnell lernte. Die Anleitung zu seinem nächsten Spielautomaten beschränkte sich auf einen Satz: "avoid missing ball for highscore". Mehr war nicht zu tun und deshalb hat "Pong" die Welt verändert. Das war 1973. Ein Jahr zuvor, am 27. Juni 1972, gründete Bushnell mit Ted Dabney, einem Arbeitskollegen von Ampex, das bisher am schnellsten gewachsene Unternehmen der Wirtschaftsgeschichte des Vereinigten Staaten: Atari. 1972 hatte Atari 500 Dollar Startkapital und geringe Einkünfte aus dem Verkauf von "Computer Space" an Nutting gezahlt. Bushnell wollte Geld mit Computerspielen verdienen. Umsatz machte Atari allerdings zunächst ausschließlich mit ein paar Flippertischen in einer Bar, einigen Cafes und dem Gebäude der Studentenvereinigung von Stanford.
Das änderte sich mit dem zweiten Angestellten Ataris. Nachdem Bushnell als erstes eine 17jährige Sekretärin engagiert hatte, damit die Firma etwas etablierter wirkte, wurde der Ampex-Ingenieur Al Alcorn für 1.000 Dollar Monatsgehalt und einige Aktienoptionen engagiert. Bushnells erster Auftrag für den neuen Entwicklungschef – und einzigen Entwickler – war die Realisierung eines Spielkonzepts von kaum zu unterbietendem Minimalismus. Mit Bushnells Worten: "Ping-Pong. Ein Ball, zwei Schläger, zwei Punktanzeigen – sonst nichts auf dem Schirm". Bushnell erzählte Alcorn, er habe einen Auftrag mit General Electric für diese Entwicklung, was schlicht gelogen war. Wie Alcorn später erfuhr, war das Ganze nur als Test und Fingerübung für seine Fähigkeiten als Entwickler gedacht.
Alcorn allerdings nahm seine Aufgabe ernst und schuf eine eigene Physik für den Raum, in dem sich die beiden Tischtennis-Spieler gegenüberstanden. Ausgehend von wenigen Änderungen der grundlegenden physikalischen Gesetze wurde ein Maximum an Komplexität des Gameplays möglich. Statt den Ball vom Schläger einfach in die Richtung zurückprallen zu lassen, aus der er kam, teilte Alcorn jeden Schläger in acht Segmente ein. Traf der Ball eins der beiden mittleren Segmente, wurde er im Winkel von 180 Grad zurückgeschossen. Je weiter außen am Schläger der Ball auftraf, desto kleiner wurde dieser Winkel. Vom äußersten Segment wurde die Bälle in einem Winkel von 45 Grad abgestoßen. Hinzu kam, dass der Ball an den Rändern des Spielfeldes ebenfalls abprallte, was gewisse taktische Möglichkeiten eröffnete.
Der Spielverlauf gewann durch einen weiteren simplen Trick Alcorns an Spannung: Der Ball flog nach einer gewissen Zahl von Schlägerkontakten einfach schneller. Es dauerte knapp drei Monate, bis Alcorn einen Prototyp fertig hatte. Mit einem 75 Dollar teuren Schwarzweiß-Fernseher als Display spielten Bushnell und Dabney zum ersten Mal diese Ping-Pong-Abart. Beiden war klar, dass Alcorn mehr vollbracht hatte als nur seinen Test erfolgreich zu bestehen. Er hatte ein unterhaltsames Spiel geschaffen, das mit jenem berühmten Satz als Bedienungsanleitung auskam: "avoid missing ball for highscore". "Pong" war geboren. Der Name ist bezeichnend für Bushnells Pragmatismus: Ping Pong war bereits von einem Sportartikelhersteller als Warenzeichen angemeldet - Pong nicht.
Ende September 1972 bauten Bushnell, Dabney und Alcorn den ersten "Pong"-Automaten zum Publikumstest in einer Bar namens "Andy Capp's Tavern" in Sunnyvale, einem Ort im kalifornischen Silicon Valley auf. An der Bar war nichts besonderes, außer dass ein paar Flipper und ein alter "Computer Space" Automat in einem Hinterzimmer standen. Knapp zwei Wochen, nachdem der "Pong"-Automat bei ihm aufgebaut worden war, rief der Geschäftsführer an und beschwerte sich, dass die Maschine nicht funktioniere. Als Alcorn den Automaten öffnete, kullerten Münzen heraus. Das Gerät war nicht kaputt – sondern der Münzbehälter übergelaufen. 300 Dollar hatte "Pong" in der Zeit gebracht. Mit sehr guten Flipperautomaten verdiente man damals 90 Dollar im selben Zeitraum.
Spätestens da war Bushnell klar, dass er nicht nur ein gutes Spiel, sondern auch das ersehnte Massenprodukt geschaffen hatte. Im November 1972 verkaufte Atari den ersten "Pong"-Spielautomaten. In den folgenden zwei Jahren baute und verkaufte Atari 8.000 Stück. Die Automaten wurden von einem Haufen Hippies handgefertigt. Sie bekamen etwas mehr als den damaligen gesetzlichen Mindeststundenlohn von 1,75 Dollar. Laut Al Alcorn kostete die Herstellung eines "Pong"-Automaten 300 bis 400 Dollar. Für 1200 Dollar je Stück wurden die Automaten dann an Barbesitzer verkauft wurde. So erwirtschaftete Atari 1973 einen Umsatz von 3,6 Millionen Dollar. Zehn Jahre später setzte das Unternehmen 2 Milliarden Dollar mit Videospielautomaten und Heimkonsolen um.
Allerdings fallen auf diese Erfolgsgeschichte auch Schatten. Bereits 1972 bekam Atari erste Probleme. Im selben Jahr hatte Magnavox die von Ralph Baer entwickelte Spielkonsole Odyssey auf den Markt gebracht. Eines der Spiele dieser Heimkonsole erinnerte sehr an "Pong" – nur hatte Ralph Baer sowohl die Idee des Computertennis wie auch das Konzept von Spielen auf einem Fernsehschirm schon vor der Gründung Ataris patentieren lassen. Und nachweislich hatte Nolan Bushnell am 24. Mai 1972 eine Vorführung der Odyssey-Konsole im kalifornischen Burlingame besucht und dort laut Zeugen ausgiebig Computertennis gespielt. Die Frage, wer nun alles als Erfinder gelten kann, wird wohl unbeantwortet bleiben. Man kann in jedem Fall Baer den Vater der Spielkonsole und Bushnell den Vater der Industrie nennen.
Magnavox drohte 1972, vor Gericht zu gehen. Da sich die Anwaltskosten für Atari laut dem damaligem Rechtsvertreter des Unternehmens durchaus auf einen Betrag von über einer Million Dollar hätten belaufen können, entschied Bushnell sich für eine außergerichtliche Einigung. Nach mehrjährigen Verhandlungen wurde Atari für 700000 Dollar der erste Lizenznehmer von Magnavox. Alle anderen Videospielunternehmen mussten Magnavox an ihren Verkäufen beteiligen. Alles in allem also ein sehr gutes Geschäft für Atari – da stimmen Bushnell, Alcorn und Baer überein.
1974 standen überall in den Vereinigten Staaten "Pong"-Spielautomaten in Cafes, Kneipen und Spielhallen. Nur hatte Atari davon lediglich ein Drittel hergestellt. Der Rest waren Klone. Da Atari nie Patente beantragt hatte – was angesichts jener von Ralph Baer auch schwierig gewesen wäre -, war es dem Unternehmen nicht möglich, gegen die Hersteller der Klone vorzugehen. Atari musste sie also mit neuen Produkten schlagen. Man kam auf dieselbe Idee wie Ralph Baer ein Jahrzehnt zuvor: Massenunterhaltung in jedem Wohnzimmer.
Atari entwickelte eine "Pong"-Heimkonsole. Im Herbst 1974 war der Prototyp von "Home Pong" fertig. Die Heimkonsole trug den Namen zurecht: Außer Pong bot sie nichts. Ein schwarzer Kasten mit weißem Atari Schriftzug und einem Knauf für jeden der zwei Spieler. Der Preis für Computertechnik in jedem Haushalt war die Einschränkung der Aktionsmöglichkeiten der Nutzer. Zum einen, um an der Hardware zu sparen. Bei der Konsole Odyssey von Magnavox etwa mussten die Spieler ihre Punktestände mit der Hand notieren, da RAM-Speicher hierfür die Konsole schlicht zu teuer gemacht hätte. Zum anderen aber steigt mit der Einfachheit des Interface natürlich auch seine Beschränktheit. Hierin sind auch die recht gleichförmigen Spielstrukturen der frühen Konsolen begründet.
Alle Spiele funktionieren wie Pong: Es gilt bestimmte Bewegungen geschickt und schnell auszuführen, um ein abstraktes Spielziel wie einen hohen Punktestand oder ein konkretes wie den Sieg über den Spielgegner zu erreichen. Textabenteuer wie "Adventure" oder "Zork", die in der Interaktion des Spielers mit der Geschichte eine eigene literarische Qualität entfalten, finden sich bei den frühen Konsolen nicht. Dass ist nicht deshalb so, weil die Technik für komplexe Geschichten und Handlungsmöglichkeiten nicht billig genug gewesen war. Die Autoren der frühen Heimkonsolenspiele waren mit den damals sehr wichtigen Spielautomaten aufgewachsen. Bei der Spielzeit dachten sie also eher in Dimensionen von Minuten als Stunden. Große Spannungsbögen sind bei Automaten in Spielhallen nicht zu konstruieren, weil ein Spiel einfach nicht lange genug dauert, und weil Zuschauer durch möglichst sichtbare Action zum Spielen animiert werden sollen.
Atari hat mit diesem vom Spielautomaten portierten Konzept die Heimkonsole populär gemacht: Während von der Magnavox Odyssey etwa 100000 Stück innerhalb von zwei Jahren verkauft wurden, gingen von "Home Pong" in der Weihnachtssaison des Jahres 1975 gut 150000 Stück über die Theken der Kaufhauskette "Sears", mit der Atari einen Vertriebsvertrag abgeschlossen hatte.
Mitte der siebziger Jahre war aus den 500 Dollar Startkapital Ataris eine eigene Industrie geworden. Im Mai 1976 brachte Coleco ("Connecticut Leather Company") – das Unternehmen hatte zuvor Geld mit Schwimmbecken und Outdoorkleidung verdient – die Konsole "Telestar" auf dem amerikanischen Markt. Die Verkäufe brachten 100 Millionen Dollar. Im August desselben Jahres kam die Konsole "Channel F" des Transistoren-Bauers "Fairchild Camera and Instruments" in die Läden. Diese Konsole war die erste mit einem Mikroprozessor und austauschbaren Spielen auf Steckkarten, sogenannte Cartridges. Ein kleines technisches Wunder, das den Weg zu den heutigen dem Computer technisch ebenbürtigen Konsolen weist.
Atari begann spät mit der Entwicklung einer eigenen, Mikroprozessor-Konsole. Das Unternehmen verlor viel Geld, bis Nolan Bushnell zuletzt im Oktober 1976 Atari für insgesamt 28 Millionen Dollar – 15 Millionen davon gingen an ihn - an den Warner Konzern verkaufte. Die Entwicklung konnte weiter gehen, Warner investierte über die Jahre gut 100 Millionen Dollar in Atari. Bevor aber neue ästhetische und spielerische Konzepte auf Konsolen erprobt wurden und der Heimcomputer schließlich eine neue Ära einläutete, fand die Innovation für einige Jahre noch an einem anderen, altvertrauten Ort statt: Der Spielhalle.
Downloads
Mame
Mame (Multi Arcade Machine Emulator) ist ein Programm, mit dem einige Tausend alte Automaten- und Videospiele emuliert werden können. Die ROMs zur Emulation müssen gesonderten Seiten gesucht und dann in ein entsprechendes Mame-Verzeichnis kopiert werden. Das Urheberrecht verbietet das Laden von ROMs, die man nicht als Original besitzt.
Mame32 (für alle Windows-Versionen ab 95):
Classic Gaming
Cnet
Emulatoren anderer Systeme und für andere Plattformen:
Sehr umfangreiche französische Seite mit Verweise auf zahlreiche Emulatoren.
Weitere umfangreiche französische Seite mit Verweise auf zahlreiche Emulatoren.
"Magnavox Odyssey":
Emulator der Magnavox Odyssey
"Pong":
Emulator für Mac
"Atari Arcade Hits #1" (Windows 95 / 98 / Me): CD-Rom mit Emulationen von Asteroids, Pong, Centipede, Missile Command, Super Breakout, Tempest. Dazu Videos von Interview mit zahlreichen Designern und Scans von Originaldokumente wie Presseveröffentlichungen. 9,99 Dollar bei Amazon.com
Bücher
J.C. Herz: "Joystick Nation". London, 1997. S. 43 ff.
Steven L. Kent: "The First Quarter : A 25-year History of Video Games". Bothel, 2000. S.23 ff.
Steven Poole: "Trigger Happy". London, 2000. S.33ff
Matthew Jon Southern: "The Cultural Study of Videogames". Liverpool. 2000 (zu beziehen beim Autor
Mark J. P. Wolf: "The Medium of the Video Game". Austin, 2002.
Zeitschriften und Internet
David Pescovitz: The adventures of King Pong. In: Salon, 12. Juni 1999.
Ralph Baer: How Video Games Invaded the Home TV Set
Ralph Baer: "Background Material – Conceptual, TV Gaming Display", 1966
Ralph Baer: Keynote lecture, Classic Gaming Expo 2000
Keith Feinsteinm, Steven Kent:Towards a Definition of "Videogames
Leonard Herman, Jer Horwitz, and Steve Kent : The History of Video Games
Keita Lida: Ralph Baer Saves Coleco
Michael Thomasson: Interview with Ralph Baer Yesterdayland.com: Computer Space Atari History