Meinungsfreiheit auf der Kippe: Darf dieser Mann in Deutschland reden?

Streitbar: Yanis Varoufakis

Yanis Varoufakis ist seit dem Wirbel um seine Person gefragt wie lange nicht mehr. Foto: Ververidis Vasilis / Shutterstock.com

Posse um Betätigungsverbot für Yanis Varoufakis wird immer skurriler. Warum der Schuss auch nach hinten losging.

Der frühere griechische Finanzminister, Generalsekretär der Partei Mera25 und Professor für Wirtschaft, Yanis Varoufakis, war ratlos. Er wusste nach eigenen Angaben am Mittwoch immer noch nicht, ob er nach Deutschland einreisen darf, in Deutschland ein politisches Betätigungsverbot hat und wenn ja, wie lange die Verbote gelten. Dies erklärte er im Interview im Sender Open TV.

Schließlich würde Varoufakis gerne wissen, auf Grundlage welcher Gesetze das ihm nicht näher bekannte Verbot gegen ihn verhängt wurde.

Verwirrung um Verbotsgegenstand

Am Wochenende war gegen Varoufakis im Zusammenhang mit dem in Berlin verbotenen "Palästina Kongress" zunächst mündlich ein Verbot verhängt worden. Was für ein Verbot, darüber kursierten lange die unterschiedlichsten Versionen. Die Auflösung der von den deutschen Behörden selbst verursachten Verwirrung rund um Einreise- und Betätigungsverbote könnte einige Bürger weiter verängstigen.

In der Zwischenzeit hatten die Anwälte seiner Partei Mera25 in Deutschland endlich herausbekommen, was wirklich in der Causa Varoufakis gilt. Als Grundlage wurden Paragrafen aus dem Bundespolizeigesetz (BPolG) uns dem EU-Freizügigkeitsgesetz (FreizügG/EU) genannt.

Einreiseverweigerung wegen Palästina-Kongress

"Zu Ihrem Mandanten bestand im Kontext einer möglichen Teilnahme als Redner beim Palästina-Kongress 2024 in Berlin eine Fahndungsausschreibung zur nationalen Einreiseverweigerung gem. § 30 Abs. 5 BPolG i. V. m. § 6 Abs. 1 S. 2 FreizügG/EU, befristet für den Zeitraum der Veranstaltung vom 10. bis zum 14. April 2024", teilte die Bundespolizei am Dienstag, dem 16. April nach Angaben der Pressestelle von Mera25 Deutschland mit.

Einen Tag vorher hatte sie per E-Mail, "die Bundespolizei hat gegen Ihren Mandanten kein Einreise- und Aufenthaltsverbot im Sinne des § 11 AufenthG erlassen", noch jegliches Einreise- oder Betätigungsverbot dementiert.

Präzedenzfall: Bundesinnenministerium auf autoritärem Kurs

Unabhängig vom Anlass, dem Palästina-Kongress in Berlin, ist die Posse um das Betätigungs- oder Einreiseverbot gegen Yanis Varoufakis ein ernster Präzedenzfall, der einen intransparenten, autoritären Kurs des Bundesinnenministeriums aufzeigt.

Die komplette Verwirrung und nur mündlich ausgesprochene Verbote – wahlweise der Einreise, der Betätigung oder der Zuschaltung per Zoom zu einer Veranstaltung – öffnen der Willkür Tür und Tor.

Für Veranstalter, aber auch Medien, gibt es keinerlei Rechtssicherheit mehr. Telepolis fragte bei der Polizei Berlin konkret an, ob und inwieweit gegen Varoufakis ein Einreise- oder ein Betätigungsverbot bestünde. Sind Interviews mit ihm erlaubt?

Politisches Betätigungsverbot als Option

Die Antwort glich einem Spruch des antiken Orakels von Delphi:

Nach Einreise kann durch die zuständige Ausländerbehörde ein Verbot der politischen Betätigung in Bezug auf die Veranstaltung erlassen werden, wenn dargelegt werden kann, dass die Betätigung die öffentliche Sicherheit und Ordnung gefährdet. Dies ist im Einzelfall anhand der vorliegenden Erkenntnisse zu prüfen.

Zuständig für das Erlassen eines politischen Betätigungsverbotes ist das Landesamt für Einwanderung Berlin (LEA). Bitte wenden Sie sich mit Ihren Fragen an die zuständigen Behörden. Einer Beantwortung durch die Polizei Berlin stehen, da es sich um Einzelpersonen handelt, zudem datenschutzrechtliche Belange entgegen. Zum Einreiseverbot wenden Sie sich bitte an das Innenministerium.

Eigentlich wollte der streitbare Ökonom und Unterstützer der Kampagne Boycott, Divestment and Sanctions (BDS) juristisch gegen das Verbot vorgehen. Varoufakis argumentierte, dass er nicht nur wegen seines Engagements für die Palästinenser nach Deutschland reisen wolle, sondern auch regelmäßig in seiner Eigenschaft als Universitätsprofessor durch Europa, und auch Deutschland, reist.

Als Professor sieht er seine Möglichkeit zur freien wissenschaftlichen Arbeit innerhalb der EU beschnitten. Mit der vorliegenden Datenlage könnte er höchstens im Nachhinein gegen ein bereits vergangenes Verbot vorgehen.

Der Geist des Joseph McCarthy

Für die griechischen Medien war bereits vor dem vergangenen Wochenende und dem abgesagten Palästina-Kongress in Berlin klar, dass in Deutschland Freiheitsrechte eingeschränkt werden. Erinnerungen an die autoritäre McCarthy-Ära in den USA kamen auf.

So titelte der frühere Chef der staatlichen Nachrichtenagentur Athens News Agency – Macedonian News Agency, Michalis Psilos, in der Wirtschaftszeitung Naftemporiki, "McCarthy regiert in Deutschland". Psilos Beitrag ist kein Einzelfall.

Wenn es die Absicht des Bundesinnenministeriums war, Varoufakis Einfluss zu begrenzen und den bekennenden BDS-Unterstützer an der Verbreitung seiner Thesen zu hindern, so ist der Schuss eindeutig nach hinten losgegangen.

Mitten im Wahlkampf zu den Europawahlen brachte die Posse rund um das Bestätigung-/Einreiseverbot in Deutschland für Varoufakis eine Vielzahl von Einladungen in Nachrichtensendungen und Talkshows im griechischen Fernsehen, aber auch vermehrte Präsenz in weiteren internationalen Medien.