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Meister der geheimen Kriege

Grafik: TP

Armin Wertz über die Undercover-Aktivitäten der USA

In seinem Buch Die Weltbeherrscher [1] behandelt der Journalist Armin Wertz [2] die militärischen und geheimdienstlichen Operationen der USA von 1794 bis in die Gegenwart.

Herr Wertz, einerseits wird den USA auch von offizieller Seite die Rolle eines "Weltpolizisten" zugesprochen, andererseits tituliert man Kritiker amerikanischer Geheimdienst-Operationen als Verschwörungstheoretiker. Wie geht das zusammen?
Armin Wertz: Balzac schrieb einmal: "Es gibt zwei Arten von Geschichte: die offizielle, lügenhafte Geschichte, und dann die geheime, wo die wahren Ursachen der Ereignisse liegen." Hinzu kommt, dass die Nachrichten und Meldungen zunehmend kürzer formuliert werden. So werden wir zugemüllt mit Meldungen über Flüchtlinge aus Afrika, die im Mittelmeer ertrinken oder in Köln deutsche Frauen belästigen.
Wir erfahren aber nicht, dass chinesische, europäische, israelische und amerikanische Firmen im Verbund mit Warlords und korrupten Politikern den Kontinent plündern und die Bevölkerung im Elend lassen oder in die Flucht treiben. Darum hat Kurt Vonnegut einmal gefragt: "Was ist das für eine Presse, die wir heute haben, wenn man Bücher lesen muss, um zu wissen, was in der Welt passiert?"
Der Vorwurf, ein Verschwörungstheoretiker zu sein, kommt in der Regel von Leuten, die entweder ein Interesse an der Verbreitung der offiziellen Geschichte haben, oder von Leuten, die mit dem Thema nicht sehr vertraut sind. Ich tat ja nicht mehr, als die offiziellen Veröffentlichungen des State Departments und des US-Kongresses durch die Ergebnisse eigener Recherchen zu ergänzen. Dabei habe ich nur öffentlich zugängliche Quellen benutzt, Bücher, Zeitschriften, Zeitungen oder Internetseiten und diplomatische Kabel, die Wikileaks veröffentlicht hat.

"Damals tauchte wohl jeder sowjetische KGB-Überläufer mit einem Interview im Spiegel auf"

Können Sie einschätzen, wie hoch der Einfluss amerikanischer Geheimdienste in den deutschen Medien und der Politik auf das Bild der USA heutzutage immer noch ist?
Armin Wertz: Das ist sehr schwer zu beurteilen. Also - während der mittelamerikanischen Konflikte der achtziger Jahre war das gang und gäbe. Damals prahlte die CIA geradezu mit der Zahl der Artikel, die sie vor allem in angesehenen Zeitungen und Zeitschriften unterbringen konnte. Das galt auch für Deutschland. In jenen Jahren tauchte wohl jeder sowjetische KGB-Überläufer früher oder später mit einem Interview im Spiegel auf.
Nachrichten etwa in der Washington Post oder New York Times werden von unzähligen kleinen Lokal- und Regionalzeitungen übernommen. Die Breitenwirkung ist also immens. Das funktioniert aber auch umgekehrt. In den Redaktionen der großen Zeitungen werden die kleinen Blätter ebenfalls gerne gelesen, immer auf der Suche nach exklusiven Geschichten. So kann es eine in einer Lokalzeitung platzierte Nachricht bis in die Blätter mit nationaler Verbreitung schaffen.
Und ganz sicher versuchen die Geheimdienste auch heute noch, die Berichterstattung zu beeinflussen. Das ist ja auch relativ einfach. Lassen Sie einfach einen Politiker etwas murmeln, und schon wird seine Aussage in den Medien verbreitet. Bekannte Journalisten erhalten manchmal ja schon früh morgens einen Anruf oder eine E-Mail von Politikern, die sich mit einem Statement in der Presse im Gespräch halten wollen. Das sind natürlich ideale Voraussetzungen, gewünschte Informationen in die Presse zu lancieren. Die Möglichkeiten der Einflussnahme der Geheimdienste hängen natürlich auch von der ideologischen Orientierung der Journalisten beziehungsweise Chefredakteure und Herausgeber ab.
Wie sagte das Gründungsmitglied der Frankfurter Allgemeinen Zeitung Paul Sethe vor fünfzig Jahren? "Pressefreiheit ist in Deutschland die Freiheit von zweihundert reichen Leuten, ihre Meinung zu verbreiten." Und die meisten Journalisten werden sich hüten, etwas zu schreiben, das dem Herausgeber missfällt.

"Die Sowjetunion hielt sich aus lateinamerikanischen Angelegenheiten weitgehend heraus"

Sie protokollieren in Ihrem Buch Geheimdienst-Operationen der USA von 1794 bis in die Gegenwart. Wenn Sie diese mit den Einsätzen von sowjetischen beziehungsweise russischen Geheimdiensten vergleichen: Wer zieht mehr an nachrichtendienstlichen Strippen und hat sich in die Belange anderer Nationen eingemischt?
Armin Wertz: Die russische Eroberung und Unterwerfung Zentralasiens und Sibiriens im neunzehnten Jahrhundert würde ich durchaus mit der amerikanischen Aneignung des US-Territoriums vergleichen. Dann gab es in der Folge der Abkommen von Moskau, Jalta und Potsdam massive und brutale Einmischungen der UdSSR in den ost- und südosteuropäischen Staaten. Die Einmischung der Sowjetunion in die inneren Angelegenheiten vor allem in Staaten der Dritten Welt war sehr häufig eine Folge der feindseligen Haltung, die der Westen und insbesondere die USA gegenüber Befreiungsbewegungen einnahmen.
Das führte zum sowjetischen Engagement in Algerien, in Vietnam oder Kambodscha. Für die USA galt immer nur die Alternative: Entweder du bist für uns oder gegen uns. Entsprechend behandelte Washington auch die blockfreien Staaten, was diese natürlich vom Westen entfernte und häufig in die Arme Moskaus trieb, wie etwa Indien und Ägypten. Das hieß allerdings nicht unbedingt, dass die Regierungen dieser Staaten den Anweisungen aus Moskau blind folgten.
Bis auf den Putschversuch Luis Carlos Prestes’ in Brasilien im November 1935, der von der Comintern unterstützt wurde, hielt sich die Sowjetunion in Anerkennung der geographischen und politischen Fakten, wie zum Beispiel die Monroe-Doktrin, aus lateinamerikanischen Angelegenheiten weitgehend heraus, wie eine ganze Reihe amerikanischer Autoren bestätigen. Fidel Castros Revolution in Kuba wurde ebensowenig von der Sowjetunion unterstützt wie die sandinistische Revolution in Nicaragua oder Chiles Salvador Allende. Erst als Castro an der Macht war und auf sein Drängen hin schlossen Moskau und Havanna Handels-, Beistands- und Freundschaftsverträge.
Auch Managua erfuhr erst nach dem Sieg der Aufständischen und dem Wirtschaftsboykott des Westens Unterstützung vom Ostblock. Ansonsten hielten sich die kommunistischen Staaten nach der kubanischen Raketenkrise an Chrutschows Devise, sich wegen Lateinamerika nicht mit den USA anlegen zu wollen. In den sechziger und siebziger Jahren erhielten zahlreiche Guerillabewegungen in Lateinamerika allerdings kubanische Unterstützung, was zeitweilig zu erheblichen Verstimmungen im Verhältnis Moskaus zu Havanna führte.

"Immerhin haben sie bis heute noch keine US-Regierung gestürzt"

Wie brutal agieren die Geheimdienste der USA? Gibt es eine rote Linie, die sie bislang nicht übertreten haben?
Armin Wertz: Nun, sie scheuten ja nicht einmal davor zurück, sich zumindest an Mordkomplotten gegen Staatschefs auch befreundeter Nationen wie etwa de Gaulle zu beteiligen. Immerhin haben sie bis heute noch keine US-Regierung gestürzt.
Kennedy wurde also nicht vom CIA ermordet [3]?
Armin Wertz: Damit sind wir ja wieder bei Ihrer Eingangsfrage. Im Zusammenhang mit der Ermordung JFKs wurden immer wieder Fragen aufgeworfen, angebliche Widersprüche in der Beweisführung der Warren-Kommission aufgezeigt. Bisher wurden aber keine sicheren Beweise für keine der kursierenden Thesen vorgelegt, Kennedy sei im Auftrag der CIA, Fidel Castros oder der Mafia ermordet worden. All diese Vermutungen eignen sich vielleicht für Drehbücher von Hollywoodfilmen, nicht aber für politische Analysen.

Zusammenarbeit von amerikanischen Geheimdiensten mit der Gestapo

Wie eng haben amerikanische Geheimdienste zur Zeit des Nationalsozialismus und danach mit Faschisten zusammengearbeitet?
Armin Wertz: 2014 in den USA öffentlich gemachten Dokumenten ist zu entnehmen, dass mindestens 1000 Nazis nach dem Ende der Kampfhandlungen des II. Weltkriegs vom amerikanischen Militär, dem FBI oder dem OSS/CIA als Informanten und sogar als Agenten vor allem in Osteuropa und auf dem Balkan angeheuert wurden. Ende 1947 schließlich erhielt der Chef des ehemaligen Geheimdienstes Fremde Heere Ost, Reinhard Gehlen, von der CIA den Auftrag einen deutschen Geheimdienst aufzubauen. Und 1949 war die Organisation Gehlen, aus welcher der BND hervorging, einsatzbereit.
Schon in den dreißiger Jahren war es zumindest einmal zu einer Zusammenarbeit von britischen und amerikanischen Geheimdiensten mit der Gestapo und der brasilianischen Polizei gekommen. Als der brasilianische Militärdiktator Getúlio Vargas 1935 die in einer Volksfront zusammengeschlossene und von General Luis Carlos Prestes geführte Opposition zerschlug, waren ihm diese Geheimdienste einschließlich der Gestapo behilflich.
Wie wichtig waren vom Geheimdienst getragene Stay-Behind-Organisationen wie Gladio [4] für das außenpolitische Konzept der USA?
Armin Wertz: Nun, es gab ja einige Staaten in West-Europa, deren Bevölkerung nicht so stramm antikommunistisch und antisozialistisch eingestellt war, wie die deutsche, auf die man sich diesbezüglich immer verlassen konnte. Vor allem in Frankreich und Italien existierten recht erfolgreiche kommunistische Parteien, in Griechenland gab es eine starke sozialistische Partei. Organisationen wie Gladio wären sicherlich zum Einsatz gekommen, wenn diese Parteien plötzlich die Regierung im Staat gestellt hätten.
Könnten Sie sich vorstellen, dass es heutzutage immer noch "Gladio"-Organisationen gibt?
Armin Wertz: "Gladio" existiert ganz sicher nicht mehr - und ich bezweifle, dass es derartige Organisationen heute, nach dem Ende des Kalten Krieges noch gibt. Ganz sicher aber unterhalten nicht nur die deutschen Geheimdienste gute Kontakte zu politisch rechts stehenden Organisationen.
Können Sie ein Auseinanderdriften amerikanischer und europäischer Interessen beobachten, die sich auch in einer Änderung der operativen Ausrichtung von amerikanischen Geheimdienst-Operationen niederschlagen?
Armin Wertz: Ich bin ja immer wieder erstaunt, wie enthusiastisch im Westen auch heute noch das Bild vom Russen als Feind des Westens gemalt wird. Da schwingen sicher noch alte Vorstellungen und Angst vor den slawischen, den asiatischen Horden mit. Ich glaube, die USA überließen Europa gerne den Europäern, so dass sie sich auf Asien und die wachsende Macht Chinas konzentrieren könnten. Das scheint mir auch der Hintergrund der Forderung Präsident Donald Trumps zu sein, die Europäer sollten einen größeren Beitrag innerhalb der Nato leisten.

"Das Internet ist vom US-Militär aufgebaut worden

Wie wichtig ist das Internet für die Geheimdienste der USA?
Armin Wertz: Ungemein wichtig. Damit können die Geheimdienste praktisch jede Kommunikation ausspähen. Das Internet ist vom US-Militär aufgebaut worden. Obwohl private Unternehmen sind Google und andere Suchmaschinen ja direkt mit dem größten aller Geheimdienste vernetzt, der National Security Agency oder NSA. Das bedeutet, dass jede Information und jeder Informationsaustausch im Computer bei der NSA landet. Und nicht nur der aktuelle Informationsaustausch, die gerade abgeschickte Email oder das soeben versendete Tweet.
In einer "Winterlight" genannten Operation hackte sich die NSA in Computer und Computer-Netzwerke, nicht nur um Kommunikationsdaten zu erhalten, sondern um sämtliche Informationen abzugreifen, die auf Festplatten und sogar bei Servern gespeichert waren. Auf diese Weise verschaffte sich die NSA Zugang in die Computer der OPEC-Zentrale in Wien oder in das belgische Telefonsystem Belgacom, zu dessen Kunden unter anderem die Europäische Kommission und das Europaparlament gehören.

URL dieses Artikels:
https://www.heise.de/-3650452

Links in diesem Artikel:
[1] https://www.westendverlag.de/buch/die-weltbeherrscher-2/
[2] https://www.journal21.ch/autoren/armin-wertz
[3] https://www.heise.de/tp/features/Staatsstreich-von-Oben-3400694.html
[4] https://www.heise.de/tp/features/Inszenierter-Terror-3420137.html