Menschen im All

Bild: Nasa

Teil 1: Rohstoffe schürfen

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Ein schlechtes Beispiel sagt manchmal mehr als ein gutes. Die Rede ist von einem Roman, der einen Flug zum Asteroiden (162173) Ryugu zum Ausgangspunkt vieler Überlegungen nimmt. Vor allem geht er der Frage nach, welche Menschen als erste zum Asteroidenbergbau ins All aufbrechen.

Insofern birgt dieses Beispiel von Science-Fiction ein klassisches Thema des Genres, verweist aber auf technologische Entwicklungen und damit auf gesellschaftliche Fragen:

a) Wer soll länger- oder langfristig in den Weltraum vorstoßen? b) Welche Voraussetzungen müssen dafür geschaffen werden?

Um welches schlechte Beispiel handelt es sich?

Um den Roman "Delta-V" von Daniel Suarez, einem US-amerikanischen Thriller-Autor. Der Plot präsentiert den Milliardär Nathan Joyce, der sich entscheidet, ohne behördliche Genehmigung ein Raumschiff im cislunaren Orbit zu bauen, das sich auf die Reise zu dem Asteroiden Ryugu macht, um dort Bergbau zu betreiben. Die Crew für diese Mission wird in einem aufwändigen Bewerbungs- und Trainingsprozess ermittelt.

Nicht sonderlich umsichtig, die Probleme der Erde ins All mitzunehmen

Was heißt "schlecht" in diesem Kontext? Es wäre nicht sonderlich umsichtig, die Probleme der Erde ins All mitzunehmen. Ökologisches Ungleichgewicht, Raubbau und militärische Konflikte. Wäre dies der Fall, so wäre es nur eine Frage der Zeit angesichts des schnellen technologischen Fortschritts, bis auch der Mars oder andere, noch unbekannte Planeten heruntergewirtschaftet wären. Ist es dann okay, den Mond als Kohlegrube in planetarem Maßstab zu verstehen?

Schwierige Frage, auch wenn keine Menschen dort wohnen werden, bis auf die Bergarbeiter und Ingenieure. Treffen diese schlechten Voraussetzungen auf das Setting in "Delta-V" zu? Nicht alle. Aber genug.

Ein "schlechter Ratgeber" ist dieses Beispiel aus mehreren Gründen:

Die Motivation in dem Roman, ins All jenseits des Mondes vorzustoßen, ist eine kommerzielle und zuletzt auch abenteuerliche. Ob eine solche Abenteuerlust nicht dem Leichtsinn Vorschub leistet und so die Gefahren unterschätzt werden? Sicher, es ist Fiktion. Aber diese Fiktion lesen sicher auch Weichensteller und Ingenieure. Lassen sie sich vom - vielleicht typisch amerikanischen - Wagemut beeinflussen?

Einer der Protagonisten in Suarez‘ Roman ist James Tighe, ein Höhlentaucher, ein Mann, der körperliche Extreme kennt und auch in brenzligen Situationen einen kühlen Kopf bewahrt. Er reiht sich in eine Reihe von realen Astro- und Kosmonauten, die über eine militärische Ausbildung verfügen und meist als Armee- oder Testpiloten arbeiteten.

Die Gründe, warum solche Männer ins All geschickt werden, scheinen offensichtlich: Einerseits sind sie mit Phänomenen der Beschleunigung und Schwerkraft vertraut, kennen die Technologie von avanciertem Fluggerät und andererseits sind sie körperlich trainiert sowie auf brisante Situationen vorbereitet. Naturwissenschaftlich geschultes Personal fliegt genauso mit. Wer sollte sonst die Experimente zufriedenstellend durchführen können?

Wer mitkommt, hängt auch davon ab, wer eine solche Mission in Auftrag gibt und finanziert. Denkbar ist eine Aufteilung des Weltalls nach neoliberaler Fasson: Wer zuerst kommt, wer das Wagnis und die Kosten einer interplanetaren oder gar interstellaren Reise auf sich nimmt, erhält das Recht auf Exploration und Besiedlung des zuerst betretenen Himmelskörpers. So argumentiert etwa der genannte Milliardär in Suarez‘ Roman.

Und soviel sei vorweggenommen: Nathan Joyce ist nicht unbedingt ein sozial bewusster Unternehmer. Eher regiert er seine Firma nach Gutsherrenart. Dazu passt, dass das Raumschiff im Roman unter luxemburgischer Flagge fliegt. Luxemburg nimmt in der gegenwärtigen Science-Fiction eine interessante Schnittstelle ein. Auch der Bestseller-Autor Tom Hillenbrand führt in seinem Roman "Qube" etwa Luxemburg als Universal Player (in Anlehnung an Global Player) an.

Die "Gesetzlosigkeit" des Outer Space

Das mitteleuropäische Großherzogtum sicherte sich bereits in einem Gesetz die Rechte an diversen Tätigkeiten im Weltraum. Vor allem die Schürfrechte für seltene Erden. In dem mitteleuropäischen Staat sind zwei Space Tech-Firmen ansässig, die entsprechende Lobbyarbeit leisten. Der Völkerrechtler Dr. h.c. Stephan Hobe ist überzeugt, dass dies gegen geltendes Völker- und Weltraumrecht verstößt.

Die Protagonisten in Suarez‘ Roman thematisieren die "Gesetzlosigkeit" des Outer Space wiederholt. Wer sollte auf dem Asteroiden Ryugu die Rechtmäßigkeit der Vorgänge überprüfen? Bislang existiert keine Weltraumpolizei, die solche Entfernungen bereit ist, zu überwinden. Erst ein Gemeinwesen rechtfertigt solche Exekutivgewalt. Und vielleicht wäre sogar ein Planet ohne Niedertracht, Gier und Verbrechen möglich?

Die Autorin Ursula K. LeGuin, die vor zwei Jahren verstorben ist, hat sich viel mit den anthropologischen Herausforderungen einer Allbesiedlung auseinandergesetzt. In ihrem Roman "Planet der Habenichtse" (im Original: "The Dispossessed") etwa schildert sie die Doppelplaneten Urras und Anarres.

Auf Urras wurde eine anarchistische Revolution versucht, diese scheiterte jedoch, so dass die Aufständischen nun auf Anarres Exil finden. Urras entwickelte großen Wohlstand und kennt verschiedene politische Systeme, während sich auf dem unwirtlichen Planeten Anarres die Anarchisten eine dürftige Existenz abzutrotzen versuchen.

Wollen wir den Kapitalismus ins All exportieren?

Wollen wir den Kapitalismus ins All exportieren? Geht es nach dem fiktionalen Milliardär Joyce, dann: Ja. Nur ein kapitalistisches Unternehmen, also: ein an Profit orientiertes, kann die Kosten und Kraft stemmen, 300 Millionen Kilometer durch den Weltraum zu fliegen und die Rohstoffe wieder zurück zur Erde bringen. So der Plot des Romans. Der in der Raumfahrt tätige Systemingenieur Florian M. Nebel äußerte sich im Telepolis-Interview hierzu eher skeptisch. Im All macht es eher Sinn, abgebaute Rohstoffe in den lokalen Kreislauf einzuspeisen.

Diese Überlegungen klären aber noch nicht die Frage, wer von den Menschen am besten geeignet zu sein scheint, ins All aufzubrechen. Natürlich entscheidet auch der Rahmen der Expedition, wer ausgewählt wird: Ist es ein kommerzielles Unternehmen, eine wissenschaftliche Zielsetzung oder eine militärische Felderschließung?

Der Soziologe Dierk Spreen beschäftigt sich als einer der wenigen Wissenschaftler in Deutschland mit einer "Soziologie der Weltraumfahrt". Im Interview erklärt er, welche Menschen wohl den ersten Weg ins All nehmen.

Das werden vermutlich Wissenschaftler, speziell im Berufsfeld Astronautik ausgebildete Experten und möglicherweise auch Bergleute sein. Ob die ersten Mond- oder Marshabitate von ‚Aussiedlern‘ im Sinne der amerikanischen Frontier-Sichtweise besiedelt werden, würde ich mal bezweifeln. Auch hier werden zuerst Expertinnen und Experten unterwegs sein. Aber man wird damit rechnen müssen, dass im Laufe des 21. Jahrhunderts den ersten Menschen geben wird, der nicht auf der Erde geboren wurde.

Dierk Spreen

Der Journalist und Schriftsteller Hans-Arthur Marsiske ergänzt:

Betrachten wir uns als Bewohner der Erde oder Bewohner des Sonnensystems? Wir können das Weltall als unsere Heimat begreifen, ohne diesen Planeten zu verlassen, einfach, indem wir ihm mehr Bedeutung in unserem Alltag einräumen und unsere Lebensrhythmen wieder stärker mit den Bewegungen von Sonne, Mond und Sternen abstimmen.

Hans-Arthur Marsiske

Er stellt in seinem Buch aus dem Jahr 2005 die Frage, welchen Sinn die Weltraumfahrt besitzt und setzt sich damit von den Naturwissenschaftlern und Technikern etwas ab.

Aber das lenkt ein wenig vom Ziel ab:

Wer nimmt einen mehrmonatigen Flug durch den Weltraum auf sich, um schließlich auf einem runden Felsbrocken Rohstoffe abzubauen? Sicher wird der Minenarbeiter nicht mit Hacke und Leuchte in den Schacht absteigen. Roboter erledigen den Großteil der Arbeit. Geht etwas kaputt, müssen Außenbordeinsätze erfolgen. Hierfür ist astronautisches Training notwendig.

Zudem schnelle Auffassungsgabe, Improvisationstalent - bei unvorhergesehenen Ereignissen ist schnelle Reaktion im All notwendig. Suarez schildert das in seinem Roman eindrücklich. Die Entbehrungen werden in dem Roman durch eine beachtliche Summe an Geld aufgewogen.

Aufbruch ins All und gesellschaftlicher Aufbruch

Die Lust am Abenteuer motiviert zumindest den Protagonisten James Tighe. Genau hier faltet sich ein Fächer an Klischees auf: Wer unerschrocken in Höhlen auf der Erde taucht und kriecht, macht das auch auf einem Asteroiden. Automatisch? Wie stelle ich die Crew zusammen? Männer und Frauen? Sicher ist, es sollten Menschen mit stabiler Psyche, Belastbarkeit und hoher Resilienz den Weg ins All antreten. Aber nehmen die Menschen ihre irdische Existenz mit in die Schwerelosigkeit?

"Sie nehmen alles mit, was menschlich ist", meint Dierk Spreen. "Ob sie im Weltraum zu moralisch hehren Wesen werden, wie sich das Immanuel Kant von den Bewohnern des Jupiters dachte, würde ich aber mal bezweifeln. Zu hoffen wäre allerdings, dass sie etwas mehr 'kosmisches Bewusstsein' entwickeln. Das heißt mehr Verantwortung für andere, für die Umwelt, mehr Bereitschaft zum Perspektivenwechsel und mehr in Zusammenhängen denken. Der Schritt in den Weltraum könnte ein Anlass sein, zu einem solchen Bewusstsein zu finden. Aber das muss keineswegs zwangsläufig so sein."

Eine gleiche Hoffnung formuliert auch Hans-Arthur Marsiske, der sich journalistisch bereits seit mehreren Jahrzehnten mit der Weltraumfahrt beschäftigt.

Ich wünsche mir, dass der Aufbruch ins All mit einem gesellschaftlichen Aufbruch einhergeht und wir nicht nur physikalisch in die Höhe reisen, sondern auch zivilisatorisch und moralisch ein höheres Niveau erreichen. Und ich kann mir nur schwer vorstellen, dass es anders überhaupt gelingen kann: Die Menschen werden sich nicht dauerhaft im Weltraum ansiedeln können, wenn sie nicht den Geist der Konfrontation überwinden und zu einem grundlegend neuen Miteinander finden. Ich fürchte allerdings, dass dies eher Ausdruck meines begrenzten Vorstellungsvermögens und keine realistische Zukunftsprognose ist.

Hans-Arthur Marsiske

Was die Zukunft bringt, lässt sich anhand der Pläne diverser New Space-Unternehmen aufzeigen. Dazu mehr im 2. Teil.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

Mit Ihrer Zustimmmung wird hier eine externe Buchempfehlung (Amazon Affiliates) geladen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen (Amazon Affiliates) übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.