Menschliche Lügendetektoren

Lügen gehört zum Alltag eines jeden Menschen, aber die Meisten tun sich schwer zu erkennen, wann sie angeschwindelt werden

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Im Märchen Pinocchio wächst dem Holzmännchen die Nase, wenn er schwindelt. In der Realität ist es wesentlich schwieriger zu erkennen, ob jemand gerade lügt. Im Allgemeinen werden Lügner meistens nicht entlarvt. Wie die psychologische Forschung der letzten Jahre erwiesen hat, gibt es aber einzelne Menschen, die eine besondere Befähigung dafür haben, Lügenbarone zu erkennen.

In der aktuellen Ausgabe des Wissenschaftsmagazins New Scientist berichtet der Autor und Psychologe Raj Persaud über den aktuellen Forschungsstand zu den Experten im Erkennen von Schwindeleien.

Wir streben alle nach Wahrheit und erziehen unsere Kinder dazu, nicht zu lügen. Nicht umsonst lautet ein Sprichwort: Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht und wenn er auch die Wahrheit spricht. Wahrheit ist ein hohes ideelles Gut. Allerdings ein unerreichtes Ideal, denn wir lügen im Alltag, dass sich die Balken biegen. Im Alter von etwa vier Jahren fangen wir damit an und hören damit bis zu unserem Tod nicht auf. Bis zu 200 Mal jeden Tag sagen wir subjektiv die Unwahrheit, um einen möglichst guten (aber falschen) Eindruck zu schaffen oder zu erhalten.

Bocca della verità. Der Mund der Wahrheit in Rom soll im Mittelalter dazu gedient haben, Lügner zu enttarnen. Die riesige Steinmaske steht in der Kirche Santa Maria in Cosmedin. Wer gelogen hatte und seine Hand in ihren Mund legte, dem wurde sie abgebissen - so berichtet die Legende.

Experten wie der Sozialwissenschaftler Peter Stiegnitz, der den Begriff Mentiologie geprägt hat, sehen in den kleineren und größeren zwischenmenschlichen Schwindeleien sogar einen wichtigen Kitt, der Gesellschaft zusammenhält. Jedenfalls so lange es darum geht, sich oder andere zu schützen, alles in ein freundlicheres Licht zu rücken oder die Welt ein bisschen bunter erscheinen zu lassen.

Grundsätzlich unterschieden die Forscher drei Arten von Lügen:

  1. Die Selbstlüge: Sich selbst zu belügen, resultiert vor allem aus der Angst vor dem Tod
  2. Die Fremdlüge: Wer andere belügt, versucht entweder seine Mitmenschen vor Verletzungen zu schützen oder schlicht einen besseren Eindruck von sich selbst in die Welt zu setzen -* Die Kollektivlüge: Darunter fallen vor allem politische und ideologische Lügen, aber auch Mode-Trends und andere Tricks der Werbung.

Gelogen wird vor allem, um uns Ärger zu ersparen, um uns das Leben bequemer zu machen, um geliebt zu werden und aus Faulheit.

Übertreiben und Weglassen

Die meisten alltäglichen Lügen sind harmlos und schaden niemandem. Tatsächlich wird meist nur übertrieben oder etwas weggelassen. Der Lügner profitiert von seiner Flunkerei, aber oft auch sein Gegenüber, das eine unliebsame Wahrheit - z.B. in einer Liebesbeziehung betrogen worden zu sein - im Grunde gar nicht wissen will. Am meisten wird in vertrauten Beziehungen geschwindelt und so lange dabei niemand verletzt wird, ist die bewusste Abweichung von der Wahrheit eine ganz normale Form sozialer Interaktion. Höflichkeit und Takt sind ja auch nichts anderes als verlogenes Verhalten.

Andererseits wollen wir nicht gerne getäuscht werden und spätestens wenn jemand zu Schaden kommt, wie im Falle eines Verbrechens, setzt die Gesellschaft viel Energie ein, um Lügen zu erkennen. Kein Wunder also, dass sich die Wissenschaft seit Jahren bemüht, die Faktoren zu definieren, die es ermöglichen, Lug und Trug zu enttarnen.

Wir trauen uns oft selbst zu, Täuschungen zu erkennen, aber ein Blick in die einschlägige Forschung zeigt, dass wir uns da in die eigene Tasche lügen. Charles Bond von der Texas Christian University und Bella dePaulo von der University of California in Santa Barbara nahmen 253 Studien zum Erkennen von Lügen unter die Lupe und werteten die Ergebnisse zusammenfassend aus. Dabei stellten sie fest, dass im Durchschnitt nur rund die Hälfte der bewussten Irreführungen in Versuchsanordnungen von den Beobachtern durchschaut werden. Statt genau aufzupassen, könnten wir also auch würfeln oder die Orakelhölzer werfen - die Resultate wären genauso gut.

Paul Ekman von der University of California in San Francisco beschäftigt sich seit mehr als 40 Jahren professionell mit Lügnern. Er hat auch den hoch professionalisierten Personenkreis Gruppen wie Polizisten, Richter oder Psychologen untersucht, die eigentlich besonders fähig sein sollten, falsche Aussagen zu erkennen. Seine Resultate sind allerdings eher ernüchternd.

In einer Versuchsreihe sollten 627 Fachleute erkennen, ob Personen auf dem Videoschirm die Wahrheit über ihre persönlichen Überzeugungen zu gesellschaftlich kontroversen Themen äußerten oder nicht. Die Trefferquote erwies sich als eher mickrig. Die Gruppe der normalen Polizisten und Sheriffs erkannte nur in 51 Prozent der Fälle, ob jemand sich an die Wahrheit hielt, bei den Richtern waren es durchschnittlich 62 Prozent und nur eine kleine Gruppe von FBI- und CIA-Ermittlern kam auf 73 Prozent. Die klinischen Psychologen kamen immerhin auf 65 Prozent, während die akademischen Psychologen bei durchschnittlich nur 58 Prozent lagen.

Zauberer im Erkennen von Lügen

Die mechanischen Geräte zum Erkennen von Täuschungen, umgangsprachlich Lügendetektor genannt, sind umstritten, obwohl sie in den USA und in vielen anderen Staaten eingesetzt werden (Lügendetektoren und die Wahrheit). Wissenschaftliche Tests haben gezeigt, dass in 47 Prozent der untersuchten Fälle komplett Unschuldige vom Polygrafen als schuldig klassifiziert wurden.

Bei seinen Untersuchungen stieß Paul Ekman bereits Mitte der 80er Jahre auf einen verblüffend fähigen menschlichen Lügendetektor. J.J. Newberry war ein Ermittler des US-Bureau of Alcohol, Tobacco, Firearms and Explosives und dort für die Ausbildung des Nachwuchses zuständig. Er erreichte bei den Lügentests die fantastische Zahl von 100 Prozent Trefferquote. Ihn konnte keiner belügen.

Ekman begann sich zu fragen, ob es noch mehr Menschen mit dieser besonderen Befähigung gibt und er tat sich mit der Psychologin Maureen O'Sullivan von der University of San Francisco zusammen, um systematisch nach diesen potenziellen "Wizards" (Zauberer, Hexenmeister) zu suchen. Die beiden führten inzwischen Tests mit ungefähr 14.000 Personen durch und es gelang ihnen aus dieser Masse tatsächlich 29 Zauberer im Erkennen von Lügen herauszusieben, die sie seither intensiv erforschen. Noch sind keine Resultate dieser Studien veröffentlicht, aber es zeichnet sich ab, dass diese Menschen besonders begabt dafür sind, nur ganz flüchtig auftauchende Anzeichen von Gefühlen wie Ärger oder Schuld in der Mimik ihres Gegenübers zu erkennen. Diese "Mikro-Expressionen" huschen oft in nur einem Fünftel einer Sekunde über das Gesicht. "Unsere Zauberer können sich darauf einstellen, die Nuancen im Mienenspiel zu entdecken", erklärt Maureen O'Sullivan.

10 der Wizards sind weiblich, was die Forscher deshalb erstaunte, weil an den Versuchen sehr viel weniger Frauen als Männer teilnahmen. Zudem gab es in anderen Untersuchungen bislang keinen Hinweis darauf, dass Frauen eher Täuschungen erkennen können als Männer - das Geschlechterverhältnis ist im Bereich der Verlogenheit ausgeglichen.

Neue Forschungen (allerdings mit einer sehr kleinen Probandengruppe) weisen daraufhin, dass Frauen Täuschungsmanöver von Männern desto weniger bemerken, je näher ihre persönliche Beziehung zum Lügner ist. Ihren Liebsten glaubten die Frauen fast alles (vgl. Female deception detection as a function of commitment and self-awareness.