Menschliche Meteoriten
Die Menschen im Kollisionskurs mit der Erde
Vielleicht ist folgende Szene in Ridley Scott's Film "Blade Runner" noch in Erinnerung. Der sterbende, mit übermenschlichen physischen und intellektuellen Kapazitäten ausgestattete Android Roy tritt vor seinen menschlichen Schöpfer und fragt ihn sinngemäß: Was soll das, ein perfektes, überlegenes Wesen zu erschaffen, aber es nur mit tragisch kurzer Lebensdauer auszustatten? - Daran sei leider nichts zu ändern, "the light that burns twice as bright burns half as long", kann sein Schöpfer noch antworten, bevor er von seiner eigenen Schöpfung umgebracht wird. Dies wohl gleich einem Meteoriten, der in seinem Vergehen am hellsten aufstrahlt, in gleißendem Licht verglüht.
Wie hell ist das Licht - buchstäblich mit Edison erst seit der vorletzten Jahrhundertwende - der Menschheit in den letzten zwei-, dreihundert Jahren erstrahlt! Nach langer, Zehntausende, ja Hunderttausende von Jahren währender routinierter Höhlen- und Steppenexistenz ein Aufschwung, eine Blütezeit innerhalb eines Zeitraums, der nach kosmischen Maßstab der Dauer eines Augenblinzelns gleichkommt. Denn bedenken wir, nur schon unsere physische Existenz hat eine evolutionäre Entwicklung von Hunderten von tausend Jahren vorausgesetzt. Die Entstehung und das Vergehen der Dinosaurier etwa, bedurfte Zeiträumen, die in Millionen von Jahren zu bemessen sind. Die Entwicklungsgeschichte von Sternen, von denen unsere Existenz abhängt, rechnet sich in Milliarden von Jahren.
Während wir uns heute Wochenendtrips nach New York City leisten, mit Jets, die in Stunden Distanzen von fast tausend Kilometer überwinden, war noch vor drei-, vierhundert Jahren die Reise bis zur nächsten Stadt, ob zu Fuß, mit Pferd oder Kutsche, ein abenteuerliches Unterfangen. Wir können heute von Deutschland aus mit Personen in Australien in Bruchteilen von Sekunden über das Wetter chatten, während zu Zeiten Goethes Briefe noch Tage brauchten, um einen Empfänger nur schon im gleichen Land zu erreichen.
Wir haben den vierhunderttausend Kilometer entfernten Mond besucht, während vor kaum fünfhundert Jahren Amerika noch als unentdeckt galt und allenfalls Schiffsreisen über Nord- und Ostsee Routine waren. Zu keinem Zeitpunkt in der Geschichte der Menschheit war es möglich mehr Menschen zu ernähren als heute. Es sind dies rasende Entwicklungen in Zeitläuften, die im kosmischen Maßstab durchaus der Dauer des Verglühens eines Meteoriten entsprechen. Wer oder was kann uns noch, von uns selbst abgesehen, bedrohlich werden?
Das große, seit mehr als zweitausend Jahren andauernde zivilisatorische Projekt, sich die Erde Untertan zu machen, scheint von Erfolg gekrönt, unsere Gesellschaft strahlt kometenhaft in hellstem Licht. Es ist auf skurrile Weise paradox, dass gleichzeitig die Skepsis ebenso plausibel ist, dass sich die die Weltgesellschaft existentiell am Abgrund befindet. Eine die Menschheit bedrohende Klimakatastrophe ist kein Szenario von Weltuntergangsfanatikern. Dass ein Kollaps des Wirtschaftssystems die Weltgesellschaft ins Chaos stürzen kann, ist mittlerweile gängige Erfahrung. Auch nicht abwegig in unserer weitgehend von nationalstaatlichen Grenzen befreiten Weltgesellschaft erscheint, dass uns hochinfektiöse Krankheitserreger in kürzester Zeit den Garaus machen können. Das Szenario eines kollektiven Selbstmords durch einen mit Atomwaffen geführten Weltkrieg ist auch nach dem Ende des kalten Krieges nicht ausgeschlossen.
Zivilisatorische Kontrollmanie bei Umweltschützern und –schädigern
Die in den sechziger Jahren aus dem Weltraum aufgenommenen Bilder, auf denen unsere Erde erstmals als Ganzheit, als Planet zu sehen ist, können als Symbol für die Erfolgsgeschichte eines zivilisatorisches Strebens nach vollständiger Kontrolle über unserer Umwelt einstehen, ja plausibilisieren den Erfolg unserer Kontrolle über die Erde. Wir können den Himmel, die Luft als Raum und Medium für unsere Luftfahrzeuge, als einen Versorger für Windenergie begreifen, Wasser und Erde sichern als Aquakulturen, als Farmland unsere Existenz, dienen als Energieversorger, sind Medien unserer Transportmittel. Es ist geschafft. Die Erde ist uns untertan.
Klimawandel, Umweltschäden, ein Artensterben, das im Ausmaß den Folgen eines Meteoriteneinschlags gleichkommt, sind die Folgen dieser zivilisatorischen Kontrollmanie. Dabei ist kurios zu sehen, dass das Handeln und die Perspektive von Umweltschützern als den Kritikern dieser Entwicklung genau der Mentalität folgt, die erst diese uns alle schädigende Dynamik ermöglicht hat. Denn sicher, es ist Hybris zu glauben, dass das Abfackeln von in Jahrmillionen entstandenen Ressourcen innerhalb eines Zeitraums, der erdgeschichtlich nach menschlichen Maßstab Sekunden gleicht, nicht mit ernsthaften Konsequenzen verbunden sein sollte. Aber ebenso ist Hybris, davon auszugehen, dass wir die Welt auf Klimakonferenzen, durch das Fahren von Elektroautos, die Trennung von Müll retten könnten. Es ist Ausdruck der Illusion, über ein Ausmaß an Kontrolle zu verfügen, das wir nie hatten, aber immer anstrebten. Eine der Erde gegenüber absurd überhebliche, gewissermaßen patriarchalische Haltung, die genau die Probleme verursachte und verursacht, die uns heute bedrohen.
Wir sind Teil des Bootes, welches wir kontrollieren wollen – und können es genau deshalb nie vollständig kontrollieren. Jede umfassende Lösung, die in Vorschlag gebracht werden kann, ist immer auch Teil des Problems. Kontrolleure und Kontrolliertes sind, aufgehend in einer Welt, nicht voneinander zu unterscheiden.
Ist es beruhigend oder beunruhigend für Umweltschädlinge oder Umweltschützer, dass wir faktisch davon ausgehen können, dass wir, als in Millionen von Jahren evolutionär entstandene Naturprodukte, die Natur auch nicht mehr schädigen können, als andere Naturphänomene? Etwa Meteoriten – welche sich vielleicht selbst schon seit Millionen von Jahren auf Kollisionskurs mit der Erde befinden. Allenfalls überheblichen, kontrollmanischen Mitgliedern unserer Spezies, die sich als die (un)gekrönten Häupter der Schöpfung verstehen, mag die Erkenntnis zynisch erscheinen, dass "unser Boot" – das Universum, die Natur, die Welt – selbst entscheidet, ob es sich schädigt, rettet, oder sich, wie wohl üblich, in Abwesenheit allen Lebens gleichgültig ist.
Meteoriten vermögen es, angemessen groß, alles Leben auf der Erde durch Explosion auszulöschen. Wir wissen nun: In Variation dieses Phänomens hat die Natur mit der Menschheit auch die interessante und nur für uns tragische Möglichkeit erschaffen, dass Leben sich durch Implosion auszulöschen vermag.