Merz, Trump, Blair: Mit biometrischer Überwachung gegen illegale Migration

Überwachungskamera als Graffitizeichnung an einer Wand, schwarz auf weiß.

Bild: Tobias Tullius / Unsplash

"Datenschutz ist Täterschutz", meint die CDU/CSU. Auch USA und UK setzen auf digitale Identität und KI. Was verborgen bleibt: Die Forderungen sind älter als jede Migrationskrise.

Es stecke ja so viel Trump in Merz, hörte und las man in den letzten Tagen. Speziell in Bezug auf eine populistische Rhetorik, welcher sich der Kanzlerkandidat der Union beim Thema Migration bediene.

Eine transatlantische Verwandtschaft zwischen dem ehemaligen Vorsitzenden der Atlantik-Brücke und dem amtierenden US-Präsidenten lässt sich aber noch an einem weiteren Aspekt der Migrationspolitik aufzeigen. Eine Verwandtschaft, die, um im Bild zu bleiben, sich auch in der "special relationship" zwischen USA und UK wiederfindet.

Es geht um die Vorstöße zur biometrischen Überwachung.

Die "echte" Migrationskontrolle der CDU ...

Telepolis hatte kürzlich über die – unter großem Aufsehen – vorerst gescheiterten Pläne der Union berichtet, in denen automatisierte Gesichtserkennung, Vorratsdatenspeicherung, Quellen-Telekommunikationsüberwachung und Online-Durchsuchungen gefordert wurden.

Bereits vergangenen Oktober erklärte die CDU jene Pläne zum Kernbestandteil einer "echten Migrationskontrolle".

Zwar hatte das Sicherheitspaket der Ampel-Regierung zuvor für erhebliche Kritik von Datenschützern gesorgt (siehe Telepolis-Bericht), die CDU hielt im Oktober jedoch fest, dass dieses nicht weit genug gehe.

Die erklärten Absichten, heißt es in der betreffenden Stellungnahme, seien "durchlöchert (worden) wie ein Schweizer Käse".

... und die Bezüge zur Politik Donald Trumps

Die "echte Migrationskontrolle" weist tatsächlich enge Bezüge zur Politik Donald Trumps auf. So ließ der neu gewählte US-Präsident kürzlich verlauten, dass er die Mitführung eines Identitätsnachweises bei der Migration in die Vereinigten Staaten zur Bedingung machen will. Mit biometrischer Überwachung hat das zunächst einmal nichts zu tun.

Allerdings forderte die US-Zollbehörde ICE am Tag nach der Wahlentscheidung, die Einführung einer biometrischen Personen-Erkennung als Alternative zu kostspieligen Verwahrungen zu prüfen.

In seiner ersten Amtszeit hatte Trump den Entschluss gefasst, den US-Einwanderungsbehörden mehr Spielraum in der Verwendung biometrischer Daten zuzugestehen. Ein Entschluss, den die Nachfolge-Regierung unter Joe Biden 2021 allerdings zurückzog.

Die Forderung von Tony Blair

Auch der ehemalige UK-Premier Tony Blair forderte kürzlich den Einsatz elektronischer Identitätsnachweise zur Eindämmung der illegalen Migration.

Der Globalisierungsenthusiast arbeitet allerdings schon seit Jahrzehnten an der Einführung digitaler Identitäten, lange bevor Flüchtlingsströme (zumal nach Großbritannien) im Fokus der Debatte standen.

Dafür setzt sich auch das Tony Blair Institute of Global Change ein, etwa als Mitglied der ID Day Coalition, in Gesellschaft von Visa, Mastercard, Microsoft sowie dem Elektronik- und Rüstungskonzern Thales.

Wie Telepolis bereits in einem ausführlichen Artikel zur digitalen Zentralbankwährung festgehalten hat, sind Visa und die Mastercard-Stiftung zusammen mit der Stiftung des Microsoft-Gründers Bill Gates Mitglieder der "Better Than Cash Alliance", einer öffentlich-privaten Partnerschaft mit den Vereinten Nationen.

Aber zurück nach Deutschland. Denn auch die Union verfolgt das Ziel der biometrischen Überwachung, Datenspeicherung und digitalen Identität nicht erst seit gestern.

Mehr Überwachung, weniger Datenschutz

In der oben erwähnten Stellungnahme vom Oktober ("echte Migrationskontrolle"), bedient sich die CDU eines Topos in der Debatte um Datenschutz und Sicherheitspolitik, der anderswo gerne als irreführende Plattitüde bezeichnet wird.

Bekannt ist sie zwar in Gestalt der Formulierung "Datenschutz ist Täterschutz", die CDU-Forderung "Opferschutz über Täterschutz" zu stellen, lässt sich aber unschwer als Abwandlung derselben erkennen. Wie bei Tony Blair ist diese Überzeugung älter als 2015 und damit älter als jede Migrationskrise.

So formulierte Markus Beckedahl, der den Grünen nahestehende Mitgründer von netzpolitik.org, bereits 2009 eine Anti-Wahlempfehlung auf dem digitalisierungskritischen Blog, die das digitale Engagement der Union auf "mehr Überwachung und weniger Datenschutz" reduzierte.

Auch das mit der Spottbezeichnung "Zensursula" assoziierte, letztlich gescheiterte "Zugangserschwerungsgesetz", das zur Eindämmung von Kinderpornografie im Netz dienen sollte, zählt Beckedahl dazu. Daneben bringt er auch das "Gruppenkuscheln" der CDU mit Großkonzernen zur Sprache.

Große Ambition zur Aufweichung des Datenschutzes

Dafür, dass die digital-Bestrebungen der CDU/CSU der Migrationsdebatte weit vorausgehen, spricht auch deren Einsatz für eine digitale Bürgeridentität, die – wie der Name schon sagt – unabhängig von illegalen Einwanderern durchgesetzt werden soll.

Überhaupt ist die Union mit einer großen Ambition zur Aufweichung des Datenschutzes beschlagen, die in der jüngeren Geschichte bereits mehrfach zur Geltung gekommen ist.

Diese Ambition mischt sich zudem damit, was Beckedahl mit dem Terminus des "Gruppenkuschelns" bezeichnet hat. So hat Telepolis bereits am Beispiel der Corona-Warn-App und einer eifrigen kleinen Anfrage der Union zum (Wieder-)Einsatz der App und der von ihr gesammelten (Gesundheits-)Daten aufgezeigt, wie nah die Partei den Interessen von deutschen Großkonzernen wie SAP und der Telekom steht.

Am Beispiel des deutschen Technologiekonzerns Bosch lässt sich diese Interessenkonvergenz genauer beleuchten.

Bertelsmann empfiehlt elektronisches "Identitätsmanagement"

Im eingangs zitierten Telepolis-Artikel zum gescheiterten Entschließungsantrag der Unionsfraktion wird das (Sub-)Unternehmen Bosch Energy Solutions als möglicher Profiteur einer veränderten Gesetzeslage hinsichtlich Biometrie und "KI" beschrieben.

Die Robert Bosch-Stiftung wirbt derweil unter vermeintlich gemeinnützigen Zwecken für jene Veränderung der Gesetzeslage – und zwar als Teil der Migration Strategy Group, einem Zusammenschluss der Bosch-Stiftung, der Bertelsmann-Stiftung sowie der transatlantischen Lobbyorganisation German Marshall Fund of the United States, die in Deutschland mit üppigen Staatssubventionen bedacht wird (Telepolis berichtete).

Migration und die Effizienz neuer Technologien

In einem 2020 erschienenen Paper mit dem Titel "KI, digitale Identitäten, Biometrie, Blockchain: Eine Einführung in die Nutzung von Technologie im Migrationsmanagement" betonen die Autorinnen Jessica Bither und Astrid Ziebarth die Effizienz neuer Technologien für "humanitäre Akteure", die mit Migrationsbewegungen konfrontiert sind.

Diese könnten mit Hilfe biometrischer Überwachung nicht nur "besser reagieren", sondern zugleich "Betrug und Missbrauch bei der Verteilung von Hilfsgütern und Dienstleistungen" einschränken.

(Beim) digitalen Identitätsmanagement (…) werden einzigartige biometrische Identifikatoren mit biografischen Informationen über Personen verknüpft, die dann auch zur Überprüfung dieser Person in anderen Kontexten verwendet werden können.

Aus dem Paper der Migration Strategy Group

Als positive Beispiele für ein solches "Identitätsmanagement" nennen die Autoren einerseits das digitale Identitätsmodell des Kreditkartenanbieters und Better Than Cash Alliance-Mitglieds Mastercard, zum anderen führen die Autorinnen das Pilotprogramm "Building Blocks" des World Food Programme der UN an.

Dieses basiert darauf, die Interaktion zwischen besagten humanitären Akteuren und anderen "Stakeholdern" mittels der Blockchain-Technologie abzubilden. Begünstigte Personen erhalten dabei per Iris-Scan Zugriff auf eine vom UNHCR verwaltete biometrische Datenbank.

Telepolis hat mehrfach über dieses aufstrebende, speziell in Zusammenarbeit mit den Vereinten Nationen verfolgte, öffentlich-private Geschäftsmodell der sozialen Wirkungskredite bzw. "social impact investments" berichtet und auf deren potenzielle Gefahren für das Selbstbestimmungsrecht hingewiesen.

Der technokratische Touch

Das Bosch-Paper betont denn auch konsequenterweise, im Einklang mit dem UN-Nachhaltigkeitsziel 16.9 (Identitätsnachweis ab Geburt), dem UN-Migrationspakt sowie dem UN-Flüchtlingspakt zu stehen.

Zuletzt nennt das Paper das indische Aadhaar-System als Beispiel für die Umsetzung eines effektiven Identitätsmanagements. Dass das zum Teil extrem diskriminierende indische System weniger humanitäre Ursprünge hat, als technokratische, die sich gut mit den Interessen der multilateralen Stakeholder vertragen, hat Telepolis in einer entsprechenden Serie zum Thema erneut angesprochen.

Mit ihren Vorstößen zur digitalen Identität fördern die Unionsparteien nicht nur die an digitalen Zahlungsflüssen interessierten "Stakeholder". Ein ganz bestimmter Sektor, der ebenfalls eng mit den Parteien verbunden ist, profitiert besonders von einer laissez-faire-Einstellung zum Datenschutz: die pharmazeutische Industrie.

Daten, Daten, Daten und totaler Schutz

Ein solches Entgegenkommen gegenüber Big Pharma wird zwar bei weitem nicht nur innerhalb der Union praktiziert, wie es etwa der ehemalige Gesundheitsminister Jens Spahn zum Ausdruck gebracht hat.

Das hat Telepolis am Beispiel der Pharma-Strategie der Bundesregierung und der "Harmonisierung" des sogenannten Gesundheitsdatenraums breit ausgeführt. So stammen denn auch viele Personen, in deren Aussagen sich dieses Entgegenkommen besonders offenbart, nicht aus den Reihen der Union.

Dafür offenbaren sie aber mitunter eine Nähe zu Bertelsmann, wie die ehemalige Ethikrats-Vorsitzende Alena Buyx, die öffentlich proklamierte: "Datenschutz kostet Leben" (Telepolis berichtete).

Auch die Aussagen des mittlerweile parteilosen, scheidenden Digitalministers Volker Wissing zu einer "alternativlosen" "digital-only-Strategie" und dem Teilen von Daten aus "gesellschaftliche(r) Verantwortung" weisen in diese Richtung.

In einem lesenswerten Beitrag, der darauf abzielt, die Plattitüde "Datenschutz ist Täterschutz" zu entkräften, zitiert das Online-Portal Dr. Datenschutz einen online nicht veröffentlichten Artikel der Süddeutschen Zeitung von 2012, indem die Technikforscherin Jutta Weber die "Logik der Angst" als stärksten Treiber des Überwachungsparadigmas benennt und seine Probleme benennt.

Es gilt vielmehr, das Verständnis von Sicherheit als vermeintlichem All-Gefahren-Schutz als das eigentliche Problem zu erkennen – und mit ihr eine militär- wie sicherheitsstrategische Logik, die Worst-Case-Szenarien vorhersehen und beherrschen will und dabei in totaler Raum-, Bewegungs- und Zugangskontrolle mündet.

Jutta Weber

Auch der Verfasser hat diesen Zusammenhang zwischen Militarismus und Totalitarismus bereits hinlänglich beleuchtet. Der "Krieg gegen das Virus" in der Corona-Krise hat ihm dazu ausreichend Gelegenheit geboten.

Hier will er dagegen aufgezeigt haben, dass entsprechende Vorhaben – ob von der CDU/CSU oder von anderswo – nicht zwingend als Reaktion auf Krisen wie die gegenwärtige Migrationsdebatte zu verstehen sind. Sondern diesen Krisen auch vorausgehen können.