Migration und Schuldenbremse: Über die Grenzen ökonomischer Modelle
- Migration und Schuldenbremse: Über die Grenzen ökonomischer Modelle
- Gleicher Methodenfehler beim Sachverständigenrat
- Reformvorschläge des Sachverständigenrats zur Schuldenbremse
- Folgen der Studie des SVR
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Mit ökonomischen Modellen wird Politik gemacht, etwa in den Debatten über Migration und Schuldenbremse. Doch sie stoßen an ihre Grenzen. Warum das so ist.
Es ist richtig und zugleich eine Binsenwahrheit: Die Alterung der Bevölkerung Deutschlands genau wie der Klimawandel stellen unser Land und seinen Staatshaushalt vor langfristige Herausforderungen. Diese wären ohne Zweifel leichter zu bewältigen, wenn man einen realistischen Blick in die fernere Zukunft werfen könnte.
Das kann man allerdings nicht. Es wird dennoch versucht, sei es mit einfachen Extrapolationen (also Fortschreibungen schon vorhandener Trends) oder mit mathematisch anspruchsvollen Modellen.
Die politische Instrumentalisierung von Migrationsstudien
Eine Studie der Stiftung Marktwirtschaft zur Wirkung der Migration auf den Saldo des Staatshaushalts, die mit so einem Modell operiert, hat es Anfang Januar prominent in die BILD-Zeitung geschafft.
Die drei Autoren, darunter am bekanntesten Bernd Raffelhüschen, kommen mit ihrer Generationenbilanzierung zu dem Schluss, dass das Ergebnis zukünftiger Zuwanderung für die Staatskasse negativ ist und (bei den von ihnen angenommenen netto 293.000 Zuwanderern pro Jahr) knapp dem Anderthalbfache der aktuellen jährlichen Wirtschaftsleistung beträgt.
Die BILD-Zeitung destillierte daraus am 10. Januar die Botschaft: "Die Zuwanderung, wie sie bisher geschieht, kostet uns gesamtwirtschaftlich 5,8 Billionen Euro." Die AfD griff diese perfekt in ihre fremdenfeindliche Agenda passende Zahl umgehend auf, so nicht zuletzt der AfD-Bundestagsabgeordnete Kay Gottschalk in einem Interview mit dem Deutschlandfunk.
Ihre Forschungsergebnisse wollen die Ökonomen allerdings nicht als Prognosen verstanden wissen, sondern lediglich als Projektionen. Der Unterschied ist enorm: Prognosen treffen Aussagen über die Wahrscheinlichkeit des Eintretens zukünftiger Entwicklungen. Projektionen hingegen beantworten nur Fragen nach dem Schema "Was wäre, wenn …?", ohne sich damit auseinanderzusetzen, wie wahrscheinlich das "Wenn" ist.
Doch dieser Unterschied geht in der öffentlichen Wahrnehmung und Interpretation unter, was der Vereinnahmung solcher Studienergebnisse für (rechts-)populistische Thesen Tür und Tor öffnet.
Schuldenbremse: Reformbedarf im Zeichen der Investitionen
Viel ist derzeit davon die Rede, Rechtsextremisten und Rechtspopulisten "inhaltlich zu stellen". Doch dafür genügt es nicht, auf die Nähe eines Forschers wie Bernd Raffelhüschen zur Versicherungswirtschaft hinzuweisen, die vermuten lässt, dass hier Forschungsergebnisse im eigenen Interesse produziert werden und die in diesem Fall absehbare Vereinnahmung von rechts in Kauf genommen wird.
Vielmehr muss die Forschungsarbeit selbst unter die Lupe genommen werden. Ist die verwendete Methode unhaltbar, darf man den Forscher kritisieren und muss das auch tun, je mehr seine Forschungsergebnisse Populismus und Extremismus Vorschub leisten.
Gehen allerdings auch als seriös geltende Wissenschaftler methodisch unhaltbar vor, gilt das Gleiche: Die Ergebnisse ihrer Forschung sind genauso zu kritisieren, ob sie einem politisch gerade gelegen kommen oder nicht. Wer sich von deren Ergebnissen nicht ebenso distanziert, trägt dazu bei, dass aus dem "inhaltlich Stellen" von Populisten und Extremisten nichts wird.
Denn werden sachlich nicht fundierte Ratschläge aus der Wissenschaft nur deshalb von Politikern akzeptiert und in Entscheidungen umgesetzt, weil sie den eigenen Vorurteilen entsprechen oder von Leuten aus einem Netzwerk oder einer Partei stammen, der sie vertrauen, führt das zu berechtigten Zweifeln an der Qualität der Entscheidungen zumindest bei denen, die die Vorurteile nicht teilen oder andere Vorurteile haben.
Und, schlimmer noch, diese Entscheidungen führen zu keiner systematischen Lösung der drängenden Herausforderungen unseres Landes, weil sie eben kein haltbares Fundament haben. Beides sorgt für weiteren Aufwind von Populismus und Extremismus.
Um ein Beispiel für dieses Problem geht es in diesem Beitrag.
Zwischen Prognose und Projektion: Die Grenzen wirtschaftlicher Vorhersagen
Gesamtwirtschaftliche Projektionen sollen zeigen, welche Ergebnisse unser Wirtschaftssystem unter bestimmten Annahmen zeitigt. Die dabei verwendeten Modelle, mit denen auch sehr lange Zeiträume in den Blick genommen werden, stehen alle vor dem Problem, dass die für die Berechnungen zu treffenden Annahmen immer fragwürdiger werden, je weiter sie in die Zukunft reichen.
Sind diese Annahmen nicht völlig aus der Luft gegriffen, sondern basieren auf Werten aus der Vergangenheit, extrapoliert man bisherige Trends. Diese stellen allerdings ein Mischergebnis aus Institutionen, Systemdynamik und exogenen Schocks dar, die sich so kaum wiederholen werden.
Diesem Problem versucht man dadurch zu begegnen, dass jeweils mehrere Szenarien berechnet werden, die sich in den unterstellten Annahmen unterscheiden. So soll der Einfluss der Annahmen auf das Ergebnis sichtbar gemacht werden.
Führen die Szenarien allerdings zu stark voneinander abweichenden Ergebnissen, belegt das unmittelbar die Beliebigkeit der Modellergebnisse und schmälert ihren Wert für die wirtschaftspolitische Beratung.
Investitionen als Schlüssel zur Bewältigung demografischer Herausforderungen
Noch gravierender als die Unsicherheit hinsichtlich der Annahmen ist das Problem, dass die verwendeten Modelle in aller Regel den Kern der wirtschaftlichen Entwicklung, nämlich den Investitionsprozess, außer Acht lassen.
Er wird mechanistisch durch Annahmen über den technischen Fortschritt bzw. die Produktivitätsentwicklung und das sogenannte Produktionspotenzial ersetzt. Man unterstellt über viele Jahrzehnte etwas, was in Prognosen nicht einmal für ein Jahr und auch nicht für den Durchschnitt weniger Jahre valide vorhergesagt werden kann.
Der zentrale Vorwurf gegen dieses Vorgehen in den Modellen besteht darin, dass eine Rückwirkung der aus den Projektionen gezogenen wirtschaftspolitischen Schlussfolgerungen auf den Investitionsprozess von vorneherein ausgeschlossen ist.
Die am Ende aus dem Modell abgeleiteten Ratschläge werden nicht einmal mit den vorab getroffenen Annahmen abgeglichen. Damit wird die Möglichkeit, dass empfohlene Maßnahmen das adressierte Problem nicht lösen, sondern sogar verstärken oder andere Probleme hervorrufen, von vornherein ignoriert.
Im Fall der genannten Studie von Raffelhüschen, Seuffert und Wimmesberger (und all ihren Vorgängervarianten) wird geschlussfolgert: "Zukünftige Anpassungen des Abgaben- und Leistungsniveaus [des Sozialstaats; Anm. d. Verf.] bleiben … unvermeidlich." Der Staat soll also sparen, um die Staatsschulden nicht oder weniger anwachsen zu lassen.
Bei Umsetzung dieser Forderung fällt aber die gesamtwirtschaftliche Nachfrage unmittelbar und – je nach vorgeschlagenem Zeithorizont der Maßnahme – auch auf Dauer. Das wirkt sich wegen der dann sinkenden Kapazitätsauslastung direkt negativ auf die private Investitionsbereitschaft aus.
Damit verändert sich automatisch die Entwicklung der Produktivität, die im Modell jedoch exogen vorgegeben ist. Alle mit dem Modell ermittelten Kennziffern, die mit der zukünftigen Wirtschaftskraft des Landes zusammenhängen, wie staatliche Defizit- und Schuldenstandsquoten oder das durchschnittliche reale Pro-Kopf-Einkommen sind nicht mehr haltbar, sobald die empfohlenen Maßnahmen tatsächlich umgesetzt werden.
Und das ist beileibe kein Effekt, der auf ein konjunkturelles Auf und Ab geschoben und daher bei der Argumentation mit den Modellergebnissen außer Acht gelassen werden könnte, mit dem Hinweis, das Modell gebe nur langfristige Projektionen wieder.
Denn die staatliche Nachfrage soll aus Sicht der Forscher als Ergebnis des Modells systematisch verändert werden, gibt also systematisch einen negativen gesamtwirtschaftlichen Impuls. Ob er durch positive Impulse aus den anderen drei Sektoren (private Haushalte, Unternehmen, Ausland) ausgeglichen oder gar überkompensiert werden kann, ist vollkommen offen und wird im Rahmen weder des Modells noch der Studie diskutiert.
Die Produktivitätsentwicklung ist aber kein x-beliebiger Parameter in dem großen Bündel unterstellter Modellvoraussetzungen. Vielmehr handelt es sich um die zentrale Größe in Hinblick auf die langfristige Entwicklung eines Landes, also um das Ergebnis all der Kräfte, die in der Wirtschaft interagieren.
Je stärker die Produktivität steigt, desto mehr kann eine einzelne Arbeitskraft produzieren. Dadurch lassen sich die Folgen eines Rückgangs der Erwerbstätigenzahl für die gesamte Produktion ausgleichen oder zumindest abmildern. Das ist für die Bedarfsdeckung einer alternden Bevölkerung der zentrale Punkt, der keinesfalls beiseitegeschoben werden darf, wie das bei der Methode der Generationenbilanzierung in der besagten Studie der Fall ist.
Selbstverständlich kann man darüber diskutieren (und forschen), inwieweit der Verteilungsmechanismus z.B. in der Rentenversicherung oder durch das Steuersystem die Gesamtproduktion ebenfalls beeinflusst. Aber dieser Aspekt rechtfertigt nicht, den Einfluss der staatlichen Nachfrage auf die Investitionstätigkeit zu ignorieren.
Am Ende liefert die Studie wegen dieses gravierenden methodischen Mangels keine Lösung für das von ihr adressierte Problem. Vielmehr wird es durch die aus ihr gezogenen Schlussfolgerungen verschärft.
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