Mike Tyson vs. Jake Paul: Showveranstaltung oder Todeskampf?

Zu sehen ist eine Bühne, die für das Event wirbt, mit den Stars als Gästen

Werbung für das Event Tyson vs. Paul in New York

(Bild: Howard Weiss/Shutterstock.com)

Netflix zeigt Samstagnacht den Boxkampf zwischen Jake Paul und Altmeister Mike Tyson. Was zu erwarten ist und was dies über den Boxsport aussagt. Eine Betrachtung.

Der frühere Schwergewichtsboxer, der im zur Legende geronnenen Kampf gegen George Foreman 1994, aus deutscher Sicht zu Unrecht und leider, den Kürzeren zog, – Axel Schulz, findet das am Samstag in der Arena, der in der NFL beheimateten Dallas Cowboys, vor 80.000 Zuschauenden stattfindende Mega-Event "sensationell".

Werbung für eine ramponierte Sportart?

Es sei Werbung für den ramponierten Boxsport, eine Politur für sein Image, dank Netflix-Übertragung und bringe Aufmerksamkeit, sei gar weltweit gut für das Boxen. Doch, was genau findet am Samstag statt und ist dies Werbung für eine, in die Jahre gekommene, Sportart?

Zunächst, die Aussage, dass das Boxen – egal ob olympisch oder professionell – in den letzten Jahren deutlich an Renommee eingebüßt hat, ist zweifellos korrekt. Zwar halten Fitnessboom und Selbstverteidigungswahn, insbesondere in der jungen Generation, ungebrochen an. Doch lange vorbei scheinen große Kampfabende der deutschen Boxelite, vornehmlich in den ersten oder zweiten Fernsehprogrammen oder auf RTL.

Nach den Klitschko-Geschwistern war Sendepause – der Boxglobus verschob sich erneut in die USA und Großbritannien, MMA und UFC (in Deutschland: das Unternehmen Oktagon) nehmen dem Boxsport Zuschauende, Sportler und Einnahmen. Zum Supergau setzt das IOC an, es droht erstmalig eine Olympiade – ausgerechnet in der Mutterheimat der großen Faustkampfabende – bei Olympia 2026 in den USA, ohne olympisches Boxen!

Der Weltboxsportverband, mittlerweile existieren gar zwei gegeneinander konkurrierende Verbände um Olympia, hatte sich zuvor mit Betrug, Intransparenz und politischer Nähe zum Kreml in Verruf gebracht.

Ob das IOC der richtige Richter sein mag, bleibt dahingestellt. Doch: Boxen, der ehrliche Kampf zweier Sportler, schien auf dem Altar der Geopolitik und im Ruf der Durchkapitalisierung des Sportes zerschollen zu sein. Die Rettung also in Form eines Hypes um einen boxenden Privatier oder durch einen Instagram-Star?

Duell der Generationen – mit Todesrisiko?

Am Samstag trifft ein Altersunterschied von 31 Jahren aufeinander. Während Mike Tyson mit 14 Lenzen mit dem knallharten Kampfsporttraining begann und weit über 40 Profitringschlachten hinter sich brachte, einem Gegner ein Stück Ohr abbiss und schwitzte, kämpfte, blutete – nahm sein Gegner, der Influencer Jake Paul, einen anderen Weg. Wie die Zeit zu Recht analysiert eine Abkürzung.

Während es dutzende Talente nie auf die große Bühne schafften, bringt Jake Paul die große Bühne selbst mit.

Nicht er braucht das Boxen, entsteht der Eindruck, der Boxsport braucht den Blondschopf aus dem World Wide Web. Während Tyson mit sportlichen Meriten zu glänzen wusste – seit 2011 Mitglied der "Box Hall of Fame", mehrmaliger Schwergewichtsweltmeister – es folgten Absturz und Drogenexzesse, wurde Jake Paul – gemeinsam mit seinem Bruder Logan – via Videoplattform YouTube bekannt.

Erstmalig im Jahr 2018 betrat Paul das Seilviereck – bisher mit einer sehenswerten Bilanz. Es hagelte einzig gegen den Bruder von Schwergewichtsboxer Tyson Fury – Tommy Fury – eine Niederlage. Haken an der bisherigen Erzählung: nur Tommy Fury war ein ernstzunehmender Opponent, ein professioneller Boxer, alle anderen Rivalen bisher Altgediente, MMA-Veteranen oder bessere Amateure. Spannend ist, welche Meldungen – quasi kurz vor Ringgong – noch in den Medien lanciert werden.

Wie die Sportplattform Ran berichtet, warnt der Mediziner und Ringarzt Stephen Hughes Mike Tyson mit markigen Worten. Tyson setze sein Leben auf das Spiel, eine Hirnblutung sei möglich. Klar muss sein: Boxen ist eine Kontaktsportart – selbst schwerwiegende Verletzungen, bis hin zu tödlichen oder anhaltenden Folgen, sind (leider) im Bereich des Denkbaren.

Dass das Verletzungsrisiko mit Trainingsrückstand und Alter ansteigt, eine Binsenweisheit. Nur seltsam, dass diese Warnungen nicht an Paul adressiert werden – will man hier etwa einen Kampf größer machen, als eben jener sportlich ist? Aus Sicht von Bild riskiert Tyson möglicherweise gar sein Leben.

Zu den sportlichen Fakten

Die Fakten sprechen – aus der Sicht vieler Experten – eine andere Sprache. Mediziner sollten sich – sofern es sich nicht um einen abgesprochenen Kampfverlauf handelt, vielmehr Sorgen um den Zustand von Paul als von Tyson machen. Tyson, welcher auf den Promo- und Trainingsaufnahmen, in blendender Form seine Kritiker Lügen strafte, besitzt einen meilenweiten Vorsprung an Erfahrung, gilt als aggressiver, schlagkräftiger und technisch brillant ausgebildet.

Auch seine alkoholische Talsohle scheint durchschritten zu sein. An ihm nagt jedoch der Zahn der Zeit – in den letzten zwanzig Jahren bestritt er nur einen einzigen Kampf. Einen Schaukampf gegen die Legende Roy Jones Jr. ohne nennenswerte Aktionen.

Paul hingegen kann auf seine Fitness, seine unter Beweis gestellten Finisher-Qualitäten und sein immenses Selbstvertrauen bauen, ob dies jedoch gegen einen Mike Tyson im Angriffsmodus ausreichen wird, darf angezweifelt werden. Um es mit den Worten von Axel Schulz zu sagen: "Wenn der Mike in einer Runde alles auf eine Karte setzt, dann müsste er den auseinanderschrauben.

Die Power, die Mike hat, und die Bewegungen, die er jetzt auch im Training zeigt – da hast du keine Chance als jemand, der seinen zwölften Kampf macht." Je länger der Kampf andauern wird, desto höher die Chance, dass der Sieger ein jüngeres Baujahr aufweist – vorher wird die defensive Qualität von Paul entscheidend sein.

Spannend wird es zu sehen, ob Tyson seine früheren animalisch-aggressiven Instinkte auch als Mittfünfziger zu erschaffen und anzuwenden bereit ist. Als Randnotiz: der Kampf kann nur durch KO gewonnen werden – Punktrichter wird es nicht geben. Als möglicher Ausgang droht – nach den acht Runden á 2 Minuten (!) – ein Unentschieden. Ein erster Hinweis auf den eigentlichen Grund des Spektakel.

Geschäft bliebt Geschäft

Boxen zieht seit Jahrzehnten Halbwelt, schwere Jungs und Wetthaie an – es kann mit Unterhaltung und Wettkampf schnell und vor allem viel verdient werden. Ein Einblick: beide Kämpfer erhalten jeweils 40 Millionen US-Dollar.

Nicht eingerechnet sind dabei Werbungen, Sponsoringverträge oder Anschlussverwendungen – der Streamingdienst Netflix stellt den Kampf gegen 5 Uhr deutscher Zeit allen seinen, zahlungspflichtigen Nutzern per Streaming – mit deutschem Kommentator – zur Verfügung. Für den YouTube-Star und die finanziell ausgebrannte Boxlegende ein immenser Zahltag.

Summen, von denen olympische Boxer oder MMA-Sportler nur träumen können. Zum Vergleich: für den deutschen Boxolympioniken Nelvie Tiafack gab es zum Gewinn seiner Bronzemedaille bei Olympia magere 10.000 Euro.

Für diese Summe würde ein Jake Paul sicher nicht zur Halle fahren. Hinter den Kulissen munkelt die Gerüchteküche, dass es Absprachen gegeben haben könnte. Ein Schaukampf droht. Mögliche Absprachen könnten – laut dem Fachportal Boxen 1 – der Verzicht auf Kopftreffer oder ein "Slowdown" in den hinteren Runden sein.

Diese Zweifel können erst im Ring ausgeräumt werden, möglich jedoch, dass ein Beigeschmack auch danach noch bleibt. Zusammenfassend: Es bleibt kritisch zu hinterfragen, ob auf Hochglanz polierte "Miss-Matches" zwischen Influencern, Prominenten und in die Jahre gekommenen, mit Sonderregelungen und Internetproporz wirklich Werbung für den Boxsport sind.

Sicher zu sein scheint, dass das junge Publikum des 21. Jahrhunderts weniger Wert auf den sportlichen Fokus als auf Schlagzeilen und Unterhaltung legt. Positiv sollte erwähnt werden, dass die Vorkämpfe es in sich haben: mit Katie Taylor und Amanda Serrano treffen das Who-is-Who des Frauenboxsportes – in einem vierfachen Weltmeisterschaftstitelkampf – aufeinander.

Bleibt leider die Frage, wer vor dem Kräftemessen von Paul und Tyson überhaupt einschaltet?