Mikrolinse in der Milchstrasse

Identifikation einer speziellen Gravitationslinse in unserer Galaxis gelungen

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Der britische Astropysiker Arthur Eddington wurde einmal gefragt: "Stimmt es, Sir, dass Sie einer der drei Menschen auf der Welt sind, die Einsteins Relativitätstheorie verstehen?" Eddington zögerte. "Verzeihen Sie", setzte der Gesprächspartner hinzu, "ich hätte mir denken können, dass eine solche Frage einen Mann von Ihrer Bescheidenheit in Verlegenheit bringen würde". "Keineswegs", entgegnete der Astrophysiker, "ich habe mir nur gerade überlegt, wer wohl der Dritte sein könnte".

Ferne Galaxien werden durch Gravitationslinseneffekte verzerrt. Viele von ihnen enthalten wie die Milchstraße schwarze Löcher in ihren Zentren, die als "Monster" Gas und Sterne aufsaugen und enorme Energie abstrahlen. Bild: Georg-August-Universität Göttingen/Space Telescope Science Institute

Arthur Eddington war der Erste, der den Beweis für die Raum-Zeit-Krümmung durch die Gravitation erbrachte. Er glaubte an Einsteins Vorhersagen aus der Relativitätstheorie und stellte sie praktisch auf die Probe. 1919 beobachtete er den Himmel während einer totalen Sonnenfinsternis in Afrika und wies nach, dass das Licht ferner Sterne durch die Sonne abgelenkt wird. Der Effekt der "Gravitationslinse" bedeutet, dass das Sternenlicht durch ein massereiche Objekt abgelenkt wird, das sozusagen als Linse dient. Bei Eddington war das die Sonne, es kann aber auch eine weit entfernte Galaxis oder jeder andere massenreiche Himmelskörper sein (Vgl. Das längste Fernrohr des Sonnensystems).

Wenn die entsprechend verzerrten Bilder sich so nahe sind, dass sie sich überlagern, und dadurch das Licht heller scheint, nennt man diesen Effekt Microlensing (ungebräuchliche deutsche Übersetzung: Mikrogravitationslinseneffekt). Anders formuliert: Wenn sich ein Stern, der sich nahezu in der Sichtlinie der Erde und einem weit entfernten Hintergrundstern befindet, an diesem vorbei bewegt, so wird das Licht des Hintergrundsterns in charakteristischer Weise durch den Gravitations-Linseneffekt verstärkt. Microlensing ist folglich ein vorübergehendes und jeweils einmaliges Ereignis. Es gilt als erfolgversprechende Methode, um die mysteriöse Dunkle Materie nachzuweisen, die vermutlich mindestens 95 Prozent des Universums ausmacht und nicht direkt beobachtet werden kann, weil sie weder selbst leuchtet noch Licht reflektiert (Vgl. US-Astronomen bringen Licht ins Dunkle der Dunklen Materie).

Schema Microlensing, In dem Moment, in dem ein naher, lichtschwacher Stern genau vor einem weiter entfernten Stern vorbeizieht, wirkt der nahe Stern auf das Licht des entfernten wie eine Vergrößerungslinse. Bild: Space Telescope Science Institute

Die Mikrolinsen, also die Objekte im perspektivischen Vordergrund, sind nicht direkt sichtbar, deshalb blieben bisher auch die Versuche, ihre Masse durch die Lichtablenkungsrate zu bestimmen, ziemlich vage. Das ändern jetzt Charles Alcock vom Lawrence Livermore National Laboratory in Livermore, California und 24 weitere Astrophysiker aus den USA, Australien, Chile, Deutschland, Großbritannien und Kanada. Sie beobachteten das Microlensing von Sternen aus unser Nachbargalaxie, der Großen Magellanschen Wolke. Weil Microlensing-Effekte meist nur zufällig wahr genommen werden, macht es Sinn, einen Himmelsausschnitt mit hoher Sternenzahl systematisch zu überwachen, um das Phänomen direkt zu erfassen, sobald es auftritt. Dem Team um Alcock gelang die direkte Aufnahme einer Mikrolinse, die sich als Stern niedriger Masse in der Scheibe unserer Milchstrasse erwies. Das entspricht den Vorstellungen, die sich die Astrophysiker von den himmlischen Linsen gemacht hatten: wenig Masse und relativ nah zur Erde.

Die internationalen Wissenschaftler haben damit nicht nur eine sensationelles Bild vorgelegt, sie zeigen auch eine direkte Berechnung der Masse einer solchen Linse und sie versprechen sich von folgenden ähnlichen astronomischen Beobachtungen Aufschlüsse über die "Massive Astrophysical Compact Halo Objects", kurz MACHOS genannt (Vgl. PAMELA auf der Suche nach Dunkler Materie). Damit wollen sie der Natur der Dunklen Materie auf die Spur kommen, die sich nur durch die Wirkung ihrer Schwerkraft offenbart.

Microlensing-Effekte werden heute vor allem von vier Forscherteam systematisch erforscht: "Expérience de Recherche d' Objets Sombres" (EROS ), ein Projekt von französischen und einem dänischen Observatorium sowie der ESO; "Optical Gravitational Lens Experiment" (OGLE), eine polnisch-amerikanische Kooperation; Japaner und Neuseeländer arbeiten im "Microlensing Observations in Astrophysics" (MOA) zusammen und last but not least gibt es "Massive Compact Halo Objects" (MACHO ein gemeinsames Projekt von Astrophysikern aus den USA und Australien. Der Artikel Direct detection of a microlens in the Milky Way in der heute erscheinenden Nature ist hauptsächlich von Mitgliedern des Wissenschaftsteams von MACHO verfasst.

In seinem begleitenden News-and-Views-Artikel zeigt sich Andrew Gould von der Ohio State University in Columbus, Ohio begeistert von dem Durchbruch des Teams:

Alcock und Kollegen bringen uns durch ihre erste direkte Abbildung einer Gravitationsmikrolinse dem Traum Sjur Refsdals [die Vermessung von Sternen mittels Microlensing] einen Schritt näher. Dabei haben sie Astrometrie - die präzise Vermessung stellarer Positionen - und Microlensing zusammen gebracht, und so einen völlig neuen Bereich der Astronomie eröffnet.

Die Kombination aus Fotometrie und Astrometrie wird die Zukunft der Forschung verändern. Gould ist überzeugt, dass die NASA Space Interferometry Mission (SIM), die 2009 starten soll, ungefähr ein Dutzend relativ naher Sterne mit einer extrem Präzision vermessen wird. SIM wird die Masse von Mikrogravitationslinsen genau bestimmen und zwar sowohl von leuchtender wie von dunkler Materie. Die Mission wird das Bild nicht von der Linse verzerrt sehen, sondern fähig sein, akkurat die Bewegung des Lichts auseinander zu sortieren und auf die Ursprünge zurück zu verfolgen.