Militär-Keynesianismus: Deutschland rüstet sich arm

Paul Steinhardt
Taurus-Marschflugkörper und eine Tüte Milch im Regel - was hat Priorität?

Die Reform der Schuldenbremse erlaubt unbegrenzte Militärausgaben. Der Ökonom Paul Steinhardt warnt vor den Folgen dieser Entscheidung. Wer soll das alles bezahlen?

Mit der von Bundestag und Bundesrat abgesegneten Reform der Schuldenbremse wird für Militärausgaben von über einem Prozent des Bruttoinlandsprodukts das "Steuerstaatsprinzip" außer Kraft gesetzt.

Sie unterliegen also nicht mehr dem vom Bundesverfassungsgericht als Grundsatz der Finanzverfassung ausgezeichneten Gebot, sie primär über die Erhebung von Steuern finanzieren zu müssen.

Was man als demokratischen Fortschritt werten mag. Denn die Handlungsspielräume von gewählten Volksvertretern sind mit dieser Reform zweifelsohne erweitert worden. Das ist allerdings selbst dann zu kurz gesprungen, wenn man überzeugt ist, dass fiskalpolitische Vorgaben in einer Verfassung nichts zu suchen haben.

Denn mit der jetzt beschlossenen Reform der Schuldenbremse kommt es zu einer Diskriminierung von Parteien, die Staatsausgaben statt für militärische für zivile Zwecke präferieren.

Subventionen für den Finanzsektor

Für die Finanzierung von "Investitionen" in "unsere Sicherheit" kann der Staat sich nun in unbegrenzter Höhe am Finanzmarkt verschulden. Was allerdings nicht den Schluss zulässt, dass den "Preis" dafür "die Finanzmärkte" zahlen. Vielmehr werden mit der Emission von Staatsanleihen die Finanzmärkte vom Staat kräftig subventioniert. Denn sie kassieren weitgehend risikofreie Zinserträge.

Risikofrei sind deutsche Staatsanleihen, weil bei fallenden Preisen die Europäische Zentralbank (EZB) nicht zögern wird, von dem ihr unter dem "Transmission Protection Instrument (TPI)" eingeräumten Recht, Staatsanleihen ihrer Mitgliedsländer in beliebig großem Umfang anzukaufen, Gebrauch zu machen. Denn stoppten sie einen Preisverfall von Staatsanleihen nicht, wäre im Rahmen der gegenwärtigen Geldordnung die Finanzstabilität ernsthaft gefährdet, wie ich in meinem letzten Buch (S.79 -84) erkläre.

Mit der verstärkten Emission von Staatsanleihen ist aber zweifelsohne eine Vermögenspreisinflation verbunden, weil Staatsanleihen im Finanzsektor inzwischen als eine Art von Geld fungieren. Ein "Mehr" von diesem Geld wird bei der Suche nach einer "rentablen" Anlage zu weiter steigenden Vermögenswerten führen müssen.

Solche Vermögenspreisblasen platzen aber früher oder später und die Kosten sind nicht von den Vermögensbesitzern, sondern von der Mehrheit der arbeitenden Bevölkerung zu tragen, wie die Finanzkrise 2007/2008 vor Augen führte.

Das aber heißt, dass schuldenfinanzierte Staatsausgaben "selbst mit den besten Absichten die selbstzerstörerischen Zyklen der finanziellen Expansion verstärken" werden, wie Leon Wansleben richtig festgehalten hat. Das allein sollte schon Grund genug sein, die Reform der Schuldenbremse nicht – wie etwa Marcel Fratzscher – als notwendige Korrektur der "deutschen Obsession mit Schulden und Sparen" zu feiern.

Bekenntnis zum Militär-Keynesianismus

Richtig ist allerdings, wie Fratzscher schreibt, dass "Deutschland ohne deutlich mehr öffentliche Investitionen […] seinen erheblichen wirtschaftlichen Wohlstand […] nicht wird gewährleisten können".

Es kann aber mit guten Gründen bezweifelt werden, dass mit der Reform der Schuldenbremse dem "wirtschaftlichen Wohlstand" zuträgliche öffentliche Investitionen befördert werden. Vielmehr scheint richtig, dass, wie die AfD schreibt, mit der Reform der rigorosen Schuldenbremse "der letzte Schutz der Bürger vor der Verschwendung ihres Wohlstands durch die Bundesregierung beseitigt wurde.

Wie Isabell Weber und Tom Krebs richtig festhalten, ist die Reform der Schuldenbremse aus "ökonomischer Sicht […] ein dauerhaftes Bekenntnis zum Militär-Keynesianismus", der Spielräume für wohlstandsbefördernde öffentliche Investitionen notwendig einschränkt:

Der Staat nutzt kreditfinanzierte Fiskalpakete, um die Ausgaben für Drohnen, Gewehre und Panzer zu erhöhen. Für den Rest von Wirtschaft und Gesellschaft gilt hingegen das Spardiktat […].

D. h., wie viel Geld immer der Staat für den Zivilbereich – ob nun für etwa Bildung, Gesundheit oder Umweltschutz – mehr ausgeben will, erfordert entweder Kürzungen von Staatsausgaben an anderer Stelle oder aber Steuererhöhungen. Wie unser vermutlich zukünftiger Bundeskanzler Friedrich Merz richtig erkennt, wird mit der Reform der Schuldenbremse der "Konsolidierungsbedarf der öffentlichen Haushalte daher per se "nicht geringer, sondern höher". Denn die Zinszahlungen für die schuldenfinanzierten "Militär-Investitionen" sind aus dem Kernhaushalt zu leisten.

Freilich ist richtig, dass die Reform der Schuldenbremse auch die Finanzierung zusätzlicher – zweifelsohne wohlstandsbefördernder Infrastrukturinvestitionen ermöglicht. Allerdings sollte man nicht verschweigen, dass auch die Zinszahlungen darauf, den Spielraum für andere, nicht weniger wohlstandsbefördernde Investitionen – wie etwa im Bereich der Bildung oder der Gesundheit – reduzieren werden.

Ferner stellt sich die Frage, ob Infrastrukturinvestitionen tatsächlich an einem Mangel an Finanzierungsmitteln gescheitert sind. Denkbar ist jedenfalls auch, dass es nicht am Geld, sondern an der Verfügbarkeit realer Ressourcen mangelte. Für diese These spricht, dass nachdem nunmehr die Finanzierungshürde mit dem "Sondervermögen Infrastruktur" übersprungen wurde, das Problem von Ressourcenengpässen aufgeworfen wird, wie ifo-Präsident Clemens Fuest richtig bemerkt:

Gerade in der Bauwirtschaft wird es eine große Nachfrage geben. Die Aktienkurse der Bauunternehmen sind schon gestiegen, da werden die Gewinne steigen und es wird teurer. Für private Hausbauer, aber auch Wohnungsbauinvestoren heißt das, dass sie verdrängt werden können. Die Hoffnung wäre, dass die Bauwirtschaft dauerhaft höhere Kapazitäten aufbauen kann, aber da sind die Möglichkeiten begrenzt.

Es spricht daher einiges dafür, den Mangel öffentlicher Investitionen nicht der Schuldenbremse, sondern dem als Erfolgsmodell gefeierten exportorientierten deutschen Wirtschaftsmodell anzulasten. Denn es wurden reale Ressourcen für eine Güterproduktion genutzt, die in Höhe der Exportüberschüsse nicht der Güterversorgung von In-, sondern Ausländern dienten. Es gab also Produktionskapazitäten, die man für die Güterversorgung von Inländern hätte verwenden können.

Butter oder Kanonen?

Weil es für die deutsche Aufrüstung nun keine finanziellen Grenzen mehr gibt, aber reale Ressourcen nun einmal knapp sind, wird es notwendig zu einer Reallokation von Produktionskapazitäten von der zivilen hin zu einer militärischen Nutzung kommen müssen. Die von Hermann Göring während des II. Weltkriegs dem "deutschen Volk" gestellte Frage, "Wollt ihr Butter oder Kanonen", ist also brandaktuell.

Das deutsche Volk gefragt aber hat man nicht. Man ist dieser Frage durch eine Reform der Schuldenbremse mit der 2/3-Mehrheit eines Bundestags aus dem Weg gegangen, der von der Mehrheit der Bevölkerung in der letzten Bundestagswahl abgewählt wurde. Was erklären mag, warum wir mit Verzichtsappellen, wie dem folgenden des baden-württembergischen Finanzminister Danyal Bayaz von den Grünen bombardiert werden:

Nach der militärischen und der finanzpolitischen brauchen wir […] eine mentale Zeitenwende. Wir brauchen jetzt eine große Reformagenda, die uns allen etwas abverlangen wird. Das ist die Kehrseite des Schuldenpakets. Der Staat muss sich auf seine Kernaufgaben konzentrieren und den Menschen wieder mehr Eigenverantwortung zumuten.

An dieser Stelle angekommen, ist es an der Zeit, über die "Generationengerechtigkeit" zu reden. Allerdings nicht etwa, weil mit der grenzenlosen "Schuldenmacherei", wie die AfD behauptet, dass die "Schuldentragfähigkeit überspannt (S. 19)." würde. Dieses Problem gibt es schlicht nicht, wenn eine Regierung sich in eigener Währung verschuldet und ihre Zentralbank zuverlässig als Kreditgeber der letzten Instanz fungiert.

Da eine Zentralbank Geld "aus dem Nichts" produzieren kann, ist im Rahmen einer solchen Geldordnung die Bedienung von Staatsschulden garantiert. Die "Kinder" sind zwar zukünftige Steuerzahler, müssen aber nie mit ihren Steuerzahlungen für die Schulden ihrer "Eltern" bezahlen. Sie werden durch neue Kredite bezahlt, die Kreditgeber gerne vergeben, weil sie ihnen risikofreie Erträge garantieren.

Daraus folgt allerdings keineswegs, dass Haushaltsdefizite als irrelevant erachtet werden könnten. Haushaltsdefizite führen dann mit Sicherheit zu einer Realgüterinflation, wenn die Produktionskapazitäten einer Volkswirtschaft nicht ausreichen, um die zusätzliche Nachfrage des Staats auch noch zu bedienen. Eine Schuldenbremse, die sich an der Höhe der Staatsschuldenquoten orientiert, ist also unsinnig. Eine Schuldenbremse, die eine Begrenzung von Haushaltsdefiziten vorschreibt, aber hilft, einen wichtigen Inflationstreiber in den Griff zu bekommen.

Die Inflationsgefahr ist bei "Militärinvestitionen" besonders groß, wie bereits Hyman Minsky (S.20) dargelegt hat. Denn es handelt sich bei ihnen um Ausgaben, die zwar die Nachfrage auch nach zivilen Wirtschaftsgütern, aber eben nicht deren Angebot erhöhen. Erhöht man z. B. die deutsche "Kriegstüchtigkeit" mit mehr Soldaten, dann belebt das sicherlich auch die Konsumgüternachfrage, aber deren Arbeit leistet eben keinen Beitrag zu einer erhöhten Konsumgüterproduktion.

Freilich hätte auch die alte Schuldenbremse nicht verhindern können, dass für Kanonen statt für Butter votiert worden wäre. Aber das hätte zwingend Steuererhöhungen bedurft und daher mit Sicherheit eine kontroverse Diskussion über die Notwendigkeit und den Umfang der deutschen Aufrüstung und über eine gerechte Lastenverteilung provoziert.

Die alte Schuldenbremse scheint also einer die Demokratie kennzeichnende öffentlichen Diskussion über weitreichende verteilungspolitische Entscheidungen zuträglich gewesen zu sein. Als Schutzschild gegen den deutschen Militärkeynesianismus bleibt nun nur noch die europäische Schuldenbremse.

Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat allerdings schon angekündigt, "die Ausweichklausel für Verteidigungsinvestitionen aktivieren" zu wollen. Es bleibt zu hoffen, dass nicht alle Mitgliedsstaaten von einer verbesserten deutschen "Kriegstüchtigkeit" begeistert sind und so die überfällige Diskussion über die Frage, wer für "unsere Sicherheit" bezahlen soll, doch noch geführt werden muss.