"Militärärzte" sind keine richtigen Ärzte

Sie unterliegen nicht der ärztlichen Schweigepflicht und halten sich teils noch nicht einmal an die Genfer Konvention

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"Ärzte der US-Streitkräfte haben in Abu Ghraib und Guantanamo Bay die Regeln der Genfer Konvention verletzt": Solche harsche Kritik kommt aus den Vereinigten Staaten, und zwar im Aufsatz: "When Doctors Go to War" (Wenn Ärzte in den Krieg ziehen) von M. Gregg Bloche, Professor für Recht an der Georgetown University und der Johns Hopkins University, sowie Jonathan H. Marks, einem Anwalt aus London, der zugleich ein "Bioethics Fellow" am Georgetown University Law Center ist. Auch die Publikation ist beachtenswert, nämlich als "Perspektive" in der neuesten Ausgabe vom "New England Journal of Medicine".

Tatsache ist, dass Ärzte der US Streitkräfte dazu angehalten wurden, "militärische Befragungen" zu koordinieren. Dazu mussten sie über die Gesundheit der Gefangenen berichten und alle geplanten Einschränkungen nach medizinischem Stand bewerten. Und schließlich war medizinisches Personal bei der Ermittlung oder Befragung zugegen.

So wurde festgestellt, dass Militärärzte den Missbrauch von Gefangenen geduldet oder gar deren Tod in Irak und Afghanistan kommentarlos hingenommen haben. Neben diesen pauschalen Vorwürfen wurde seit der Abu-Ghraib-Affäre sehr viel genauer aufgeschlüsselt, wie Ärzte oder ihre Helfer die medizinischen Belange bei einigen ihrer Betreuten mit Füßen getreten haben.

Das Verteidigungsministerium betont zwar, allen Behauptungen sorgfältig nachzugehen. Bisher, so die Autoren, sind allerdings keine Anklagen gegen beteiligte Ärzte erhoben worden. Ferner weist das Pentagon darauf hin, dass kein Arzt gegen sein medizinisches Wissen oder gegen seine ethischen Grundsätze dazu gezwungen wurde, an der Befragung der Verhafteten teilzunehmen.

Das Internationale Komitee des Roten Kreuzes sieht allerdings ausreichend Grund, um sich einzusetzen: Es spricht von einer "offensichtlichen Verletzung der Ethik des Arztes" und dass einige der Befragungsmethoden in Guantanamo Bay "gleichbedeutend mit Folter" sind. Demgegenüber betont das Pentagon: Alle Maßnahmen waren und sind "sicher, menschlich und professionell".

Die Befragung durch Militärspezialisten seien in Kenntnis der medizinischen Berichte und Analysen erfolgt, weil, so Dr. David Tornberg, Deputy Assistant Secretary of Defense for Health Affairs, sie gar nicht ohne diese Informationen hätten durchgeführt werden können. "Die Ärzte haben eine limitierte Arzt-Patienten-Beziehung mit den Verhafteten." Deshalb erklären sie den Verhafteten, dass ihre medizinische Information keinen ärztlichen Schutz hat. Folglich darf sie von den Militärexperten genutzt werden.

Thomas M. Pappas, der Chef der militärischen Berater in Abu Ghraib, beschrieb im Februar 2004 die Rolle der Ärzte während der Befragung (American Civil Liberties Union). Danach werden militärische Beratergremien gebildet, die "Befragungspläne" erstellen und beispielsweise auch einen "Schlafplan" erarbeiten. "Ein Arzt und ein Psychiater gehören immer dazu, um zu beurteilen, was wir tun", führte er aus.

Obwohl nicht explizit dargestellt, enthält ein "Memorandum for Record" vom Januar 2004 die "Interrogation and Counter-Resistance Policy" (Medics, detainee: muddy waters. Presented at the USU Faculty Workshop on Military Healthcare Ethics, 14 October 2004.): Dazu zählen zum einen die "Art der Ernährung", nämlich ein Minimum von Brot und Wasser, das von medizinischen Hilfskräften kontrolliert wird. Ferner können die "Bedingungen des Lebens" manipuliert werden, indem die Klimaanlage im Sommer oder die Heizkörper im Winter abgestellt werden. Ein weiterer Aspekt betrifft das "Schlafmanagement", das etwa ununterbrochen für 72 Stunden unter ärztlicher Aufsicht geregelt wird. Und schließlich die "Isolierung" bis zu 30 Tagen, die "Stresspositionen" und die "Anwesenheit von Hunden".

"Typischerweise", so Thomas M. Pappas, "gibt das militärische Beratergremium den Wachleuten eine Kopie des Befragungsplanes und eine schriftliche Anordnung, was zu tun ist." Ferner "schauen sich der Arzt und der Psychiater den Plan an und bestimmen letztlich, was aus medizinischer Sicht dafür erforderlich ist". Der Psychiater begleitet die militärischen Befrager ins Gefängnis und "berichtet über alle medizinischen Belange."

In Abu Ghraib und Guantanamo Bay gibt es zudem ein "Verhaltenforschungsteam", das die militärischen Berater hinsichtlich der Befragungstaktik berät. Zu dem Team gehören ein Psychologe und ein Psychiater. Wegen Personalmangels konnte dieses Gremium in Abu Ghraib jedoch nur rudimentär eingesetzt werden.

Brechen Ärzte die Regeln der ärztlichen Ethik, wenn sie daran beteiligt werden, Befragungsstrategien zu planen und auszuführen? Pentagonmitarbeiter sehen darin keinen Grund, Ärzte deshalb zu verdammen. "Die Militärärzte sind keine Ärzte im üblichen Sinne, sondern sind speziell dafür da, die medizinischen Belange des Militärs zu vertreten." Dr. Thomas Tornberg erklärt weiter: "Er (der Arzt) ‚funktioniert’ nicht als Arzt. Folglich gilt auch für ihn nicht der Eid des Hippocrates."

M. Gregg Bloche und Jonathan H. Marks sehen das anders. Sie führen aus, dass beispielsweise kein Arzt an der Todesstrafe beteiligt werden darf, auch dann nicht, wenn die Todesstrafe legal ist. Ferner ist es unzulässig, dass Ärzte Drogen oder andere Methoden einsetzen, um von Verhafteten Aussagen zu erpressen. Ferner dürfen sie sich nicht an Befragungen beteiligen, die ungesetzlich sind oder dem Kriegsrecht zuwiderlaufen.

Ärztlich heißt, dass der Arzt den Verhafteten auf seine Gesundheitsprobleme aufmerksam macht und gegebenfalls eine entsprechende Behandlung einleitet. Dazu gehört auch, dass der offensichtliche Mangel an Zuwendung dem Kommandanten gemeldet wird und bei fehlender Reaktion dem nächst höheren Offizier.

Die Dritte Genfer Konvention stellt klar, dass "keine physische oder seelische Folter, noch irgendeine andere Form von Zwang angewandt werden darf", um den Gefangenen gefügig zu machen. "Kriegsgefangene, die eine Antwort verweigern, dürfen nicht bedroht, beleidigt oder einer unangenehmen oder nachteiligen Behandlung ausgesetzt werden." Die Verfahren in Abu Ghraib and Guantanamo Bay waren genau das, was die Genfer Konvention verboten hat. Selbst wenn die Verhafteten von Guantanamo Bay nach Ansicht der Bush-Administration keine "Kriegsgefangenen" sind, traf das allemal auf die Gefangenen in Abu Ghraib und anderen Gefängnissen im Irak und Afghanistan zu.

"Wir wissen, welche Methoden für FBI-Agenten gültig sind, wir sind jedoch sehr im Unklaren darüber, was Militärspezialisten tun dürfen", schrieb ein FBI-Mann vor mehr als zwei Jahren zu den Vorfällen in Guantanamo Bay. "Es ist eben das Klima der Konfusion und Bildung eines internen Netzwerkes von führenden Regierungsbeamten, das es erlaubt, die Verhafteten ihrer Rechte zu berauben", erklärt Anthony Romero, der Direktor von der American Civil Liberties Union.