zurück zum Artikel

Militärisch-Industrieller Exzess: Was Kriege wie in der Ukraine wirklich kosten

Ukrainische Einheit bedient eine 122-mm-Haubitze. Bild: armyinform.ua

Der Stellvertreterkrieg vernichtet Menschen und Geld. Er stellt Geopolitik über Leben. Über die wahre Dimension der Kosten und ihre Profiteure.

Kriege sind ein Krebsgeschwür. Sie sind eine einzige Belastung für die Weltgemeinschaft und das friedliche Zusammenleben.

Das gilt natürlich auch für den Überfall Russlands auf die Ukraine, der sich längst zu einem Stellvertreterkrieg ausgewachsen hat. Denn ohne die Unterstützung vom Westen, insbesondere aus den USA, würde die Ukraine militärisch und gesellschaftlich kollabieren.

Es ist ein Rezept für einen fatalen Zermürbungskrieg mit nuklearen Risiken, Diplomatie weiter unter Tabu zu stellen und sogar zu blockieren [1], während von den USA mithilfe anderer Nato-Staaten die Integration der Ukraine in das transatlantische Militärbündnis unmittelbar an der russischen Grenze vorangetrieben wird [2] – gegen die energische Zurückweisung Moskaus seit vielen Jahren.

Die Kosten für den Ukraine-Krieg sind unabsehbar. Allein humanitär ist es ein Desaster. 17,6 Millionen Menschen – das sind fast 40 Prozent der ukrainischen Bevölkerung – sind auf humanitäre Hilfe angewiesen. Mehr als 7.000 Zivilisten wurden getötet.

Das sind nur die von der Uno bestätigten Zahlen [3]. Die tatsächliche Zahl der zivilen Opfer ist sicherlich höher. Schätzungen gehen zudem davon aus, dass auf beiden Seiten mehr als 100.000 Soldaten [4] getötet oder verwundet wurden.

Fast acht Millionen Menschen sind in die Nachbarländer geflohen. Der Ukraine-Krieg löste damit die größte Flüchtlingskrise in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg aus.

Die ukrainische Wirtschaft ist während der Kriegshandlungen um mindestens 35 Prozent geschrumpft [5], und das trotz 46 Milliarden Dollar Wirtschaftshilfe, die allein von den US-Steuerzahlern aufgebracht wurden, zusätzlich zu 67 Milliarden Dollar Militärhilfe.

Das Militär wird angesichts der Konflikte und Kriege zunehmend zu einer Geldvernichtungsmaschine. Vor 70 Jahren warnte US-Präsident Dwight D. Eisenhower in seiner "Cross of Iron"-Rede vor den Kosten der exzessiven Rüstungsausgaben für das US-amerikanische Volk. Am 19. April 1953 sagte er [6]:

Jede Waffe, die hergestellt wird, jede Rakete, die abgefeuert wird, bedeutet letztlich einen Diebstahl von jenen, die hungern und nicht ernährt werden können, die frieren und keine Kleidung besitzen.

Der US-Kongress winkte vor Kurzem ein fast 900 Milliarden Dollar schweres Pentagon-Jahresbudget durch. Der Diebstahl wird immer obszöner, wie das Quincy Institute in einer Grafik aufzeigt [7]. Allein die Ausgaben für einen einzigen B2-Bomber entsprechen heute denen von 80 High Schools bzw. knapp 23.000 Gehältern von Grundschullehrer:innen.

Grafik [8] vom Quincy Institute for Responsible Statecraft.

In Russland stiegen die Militärausgaben [9] im Jahr 2022 stark um schätzungsweise 9,2 Prozent auf rund 86,4 Milliarden Dollar an. Das entspricht 4,1 Prozent des russischen Bruttoinlandsprodukts (BIP) für 2022, gegenüber 3,7 Prozent des BIP 2021.

Die Militärausgaben der Ukraine erreichten 2022 44 Milliarden Dollar. Mit 640 Prozent war es der größte Anstieg der Militärausgaben eines Landes in einem einzelnen Jahr, der jemals in den Daten des Stockholmer Friedensforschungsinstitutes (Sipri) verzeichnet wurde [10].

Infolge des Anstiegs und der kriegsbedingten Schäden an der ukrainischen Wirtschaft stieg die militärische Belastung (Militärausgaben im Verhältnis zum BIP) von 3,2 Prozent im Jahr 2021 auf 34 Prozent des BIP im Jahr 2022.

Weltweit nahmen die Militärausgaben 2022 real um 3,7 Prozent zu und erreichten damit einen neuen Höchststand von 2.240 Milliarden Dollar [11], also 2,2 Billionen Dollar. Die Militärausgaben in Europa verzeichneten im Jahresvergleich den stärksten Anstieg seit mindestens 30 Jahren.

Sipri schätzt, dass sechs Länder – die USA, Russland, Frankreich, China, Deutschland und Italien – für 80 Prozent der weltweiten Waffenexporte zwischen 2018 und 2022 verantwortlich gewesen sind. Auf die USA allein entfallen 40 Prozent, während Russland mit 16 Prozent weit abgeschlagen an zweiter Stelle liegt.

Die staatlichen Aufrüstungs- und Militarisierungspläne auf allen Seiten im Zuge des Ukraine-Kriegs erfreuen die Rüstungsindustrien weltweit. Ihre Aktienkurse gingen in die Höhe [12]: Lockheed Martin, plus 37 Prozent; Northrop Grumman, plus 41 Prozent; Raytheon, plus 17 Prozent; und General Dynamics, plus 19 Prozent. Der deutsche Waffenhersteller Rheinmetall konnte schon kurz nach Kriegsbeginn einen Sprung von 93 Prozent hinlegen [13].

Lobbyisten, globale Konfrontation und Sehnsucht zum Tod

Dahinter steckt auch millionenschwerer Lobbyismus. So sind deutsche Rüstungsfirmen mit großen Lobbybüros in Berlin vertreten und halten enge langjährige Beziehungen [14] zu Ministerialbeamten und Abgeordneten, wie das Lobbyregister zeigt. Zudem gibt es den sogenannten "Drehtür-Effekt", bei dem Vertreter von Waffenherstellern in die Politik wechseln und andersherum.

In den USA haben Anwaltskanzleien und PR-Firmen Lobbyarbeit pro bono [15], also umsonst, für die Ukraine betrieben, während sie gleichzeitig Millionenhonorare von Auftragnehmern des Pentagon erhalten, die wiederum große Gewinne durch den andauernden Krieg in der Ukraine generieren.

Die Pro-Bono-Lobbyisten für die Ukraine in den Vereinigten Staaten profitieren also indirekt von ihren Lobby-Kunden aus der Rüstungsindustrie. Sie arbeiten einerseits daran, die US-Politik auf die Beschaffung von mehr Waffen für Kiew zu lenken, vertreten andererseits aber zugleich auch Waffenhersteller.

Die Kosten der Kriege sind nicht nur humanitär und monetär. Seit der russischen Invasion haben die Falken sowohl in Russland, als auch in den USA und Europa an politischem Einfluss gewonnen.

Innerhalb der Putin-Administration sind Hardliner wie Jewgeni Prigoschin zu treibenden Kräften hinter Wladimir Putins Kriegseskalation geworden. Prigoschin ist bekannt für seine Wagner-Söldnerfirma und die Rekrutierung von Gefängnisinsassen [16] für den Kampf in der Ukraine.

Seine jüngsten Angriffe auf die russische Kriegsführung und Elite zeigen, wie Russlandkenner Anatol Lieven und George Beebe argumentieren [17], Prigoschins Ambition auf das Präsidentenamt, was zu Kämpfen und Turbulenzen über Moskau hinaus führen könnte.

Auch in den USA und bei den Verbündeten in Europa sind mäßigende Stimmen im politischen Establishment und in den Leitmedien kaum noch zu hören oder werden an den Rand gedrängt.

Während die USA und die Nato in der Ukraine einen Stellvertreterkrieg gegen Russland führen, bereiten sich US-Militärstrateg:innen und Hardliner in Washington bereits längst auf einen Krieg gegen China vor, befürchtet Danny Haiphong [18] von der Initiative "No Cold War" in seinem Beitrag für die US-amerikanische Nachrichtenplattform Geopolitical Economy.

Ein weiterer Effekt ist die Untergrabung der dringend benötigten internationalen Kooperationen bei Konfliktlösungen und globalen Fragen wie der Klimakrise, Pandemien und fairem Handel.

Seit dem Ukraine-Krieg stehen die Zeichen aber auf Konfrontation. Das betrifft auch den weiter voranschreitenden Vertrauensverlust [19] von Ländern des Globalen Südens gegenüber den westlichen Industriestaaten.

Schließlich sind Kriege ein Sargnagel [20] für die Klimastabilisierung, die noch in diesem Jahrzehnt vollzogen werden muss und buchstäblich über das Schicksal des homo sapiens entscheidet. Zuerst einmal ist das Militär mit seinen Panzern, Kampfjets und Raketen ein großer Emittent von Treibhausgasen, dessen Anteil am weltweiten Ausstoß auf bis zu fünf Prozent geschätzt wird [21].

Zugleich lenken Kriege die globale Aufmerksamkeit weg von Menschheitsfragen wie dem drohenden Klimakollaps. Und schließlich können die kriegerischen Konflikte, die oft vom Zugang zu Ressourcen wie Öl oder Gas motiviert sind, die Jagd auf fossile Brennstoffe verstärken.

Das ist beim Ukraine-Krieg zu beobachten. Länder, die auf russisches Öl und Gas angewiesen sind, haben im Zuge des Kriegs und der westlichen Sanktionen ihre fossilen Energieimporte [22] diversifiziert, wie die Wissenschaftler:innen des Bulletin of Atomic Scientists feststellen. Was dazu geführt hat, dass Staaten mit fossilen Ressourcen ihre Investments in Erdgas nun erhöhen, anstatt sie wie nötig abzusenken.

In Europa, Nordamerika, Asien, Australien, aber auch vermehrt in Afrika, ist die Suche nach und Förderung von fossilen Energieträgern noch einmal ausgeweitet worden [23]. Insbesondere neue Gasfelder wurden erschlossen, in einer Zeit, in der die Klimakrise und der Klimanotstand eskalieren.

Daher stiegen die Treibhausgas-Emissionen global weiter an. Sie erklommen im letzten Jahr einen neuen Rekordstand [24], wie auch die Kohlenstoffkonzentration in der Atmosphäre.

In Anbetracht der enormen Kosten von Kriegen, vor allem des laufenden in der Ukraine, sollte es sich von selbst verstehen, so schnell wie möglich einen Weg zu finden, sie zu beruhigen und zu beenden. Das ist nicht leicht, aber weiter machbar [25]. Wenn da nicht die Profite und Profiteure wären sowie jene Regierungen, die Geopolitik über Menschen stellen.

Friedens- und Klimabewegungen, aber auch alle, die über Meinungsmacht verfügen, sollten daher gemeinsam auf die ungeheuren Kosten und Zerstörungen des Kriegs verweisen und ihre Regierungen derart drängen, den Kurs Richtung Diplomatie zu ändern.

Schließlich sind da noch Brasilien und China [26]. Sie könnten mit ihren Verhandlungsangeboten am Ende den Unterschied machen.


URL dieses Artikels:
https://www.heise.de/-9159234

Links in diesem Artikel:
[1] https://www.telepolis.de/features/Ukraine-Vermittler-Bennett-ueber-die-Friedensblockade-des-Westens-7488161.html
[2] https://www.telepolis.de/features/Der-Ukraine-Krieg-wurde-provoziert-Warum-das-fuer-Frieden-zentral-ist-9066817.html
[3] https://www.unocha.org/story/ukraine-un-relief-chief-reminds-world-horrific-one-year-milestone
[4] https://www.telepolis.de/features/Kriegsopfer-in-der-Ukraine-Wer-zaehlt-die-Toten-und-Versehrten-7491249.html
[5] https://www.imf.org/en/Publications/WEO/Issues/2023/01/31/world-economic-outlook-update-january-2023
[6] https://quincyinst.org/2023/04/17/by-the-numbers-what-militarism-costs-america/?mc_cid=ab7ff51417&mc_eid=8eb1550668
[7] https://quincyinst.org/2023/04/17/by-the-numbers-what-militarism-costs-america/?mc_cid=ab7ff51417&mc_eid=8eb1550668
[8] https://quincyinst.org/2023/04/17/by-the-numbers-what-militarism-costs-america/?mc_cid=ab7ff51417&mc_eid=8eb1550668
[9] https://www.sipri.org/media/press-release/2023/world-military-expenditure-reaches-new-record-high-european-spending-surges
[10] https://www.sipri.org/media/press-release/2023/world-military-expenditure-reaches-new-record-high-european-spending-surges
[11] https://www.sipri.org/media/press-release/2023/world-military-expenditure-reaches-new-record-high-european-spending-surges
[12] https://www.commondreams.org/opinion/winning-losing-economic-war-ukraine
[13] https://www.handelsblatt.com/unternehmen/industrie/serie-branchenausblick-panzer-munition-und-gewehre-die-ruestungsindustrie-erwartet-ein-umsatzstarkes-kriegsjahr/28906628.html
[14] https://www.fr.de/politik/ukraine-krieg-waffen-lieferung-deutschland-korruption-91842596.html
[15] https://responsiblestatecraft.org/2023/03/01/pro-bono-ukraine-lobbyists-quietly-profit-from-defense-contractor-clients/
[16] https://www.bloomberg.com/news/articles/2022-11-08/rise-of-russia-hardliner-yevgeny-prigozhin-fuels-fear-in-putin-s-elite
[17] https://www.telepolis.de/features/Prigoschin-Angriff-auf-Putin-Elite-Hat-der-russische-Nachfolgekampf-begonnen-9154568.html
[18] https://geopoliticaleconomy.com/2023/01/16/us-preparing-war-china/
[19] https://www.telepolis.de/features/Brasilien-unter-Lula-Laender-des-Suedens-nicht-mehr-bereit-Westen-zu-folgen-8515319.html
[20] https://www.telepolis.de/features/Wir-haben-die-Wahl-Kriege-beenden-oder-Klima-zerstoeren-9014726.html
[21] https://www.nature.com/articles/d41586-022-03444-7
[22] https://www.telepolis.de/features/Alarmstufe-Rot-Weltuntergangsuhr-90-Sekunden-vor-globaler-Katastrophe-7471852.html?seite=all
[23] https://sustainabilitymag.com/articles/cop27-war-in-ukraine-spurs-rush-on-fossil-fuel-supplies
[24] https://www.nature.com/articles/d41586-022-03721-5
[25] https://www.telepolis.de/features/Frieden-in-der-Ukraine-ist-moeglich-So-koennte-er-aussehen-7370912.html
[26] https://www.telepolis.de/features/China-und-Brasilien-weisen-den-Weg-nicht-die-G7-8971161.html