Militärische Konflikte auf dem Vormarsch: Die Welt aus dem Griff des Kriegsregimes befreien

Seite 3: Widerstände gegen eine multipolare Welt unter dem Dach der UN

Die Widerstände gegen eine derartige Reform der UN und einer nachfolgenden Weltinnenpolitik werden erheblich sein.

Zu nennen sind natürlich vor allem die Staaten, die von der existierenden politischen und weltwirtschaftlichen Ordnung profitieren und sich durch konsequente Reformen der UN nicht ihre Einflussmöglichkeiten beschneiden wollen. Es ist etwa unwahrscheinlich zu erwarten, dass die ständigen Mitglieder des UN-Sicherheitsrats freiwillig auf ihr Veto-Recht verzichten werden. Hier wird wohl erst das Zusammenwirken katastrophaler globaler Entwicklungen mit zivilgesellschaftlichem und institutionellem Druck zu einer Verhaltensänderung führen.

Zu nennen sind hier sicherlich ebenfalls die Strukturen weltkapitalistischer Produktions- und Aneignungsweise, deren Akteure von Kriegen profitieren. Nutznießer sind hier Shareholder der Rüstungsindustrie sowie multinationale Konzerne und internationales Finanzkapital, die Kriegserfolge, z.B. hinsichtlich der Ausbeutung regionaler Ressourcen, auszunutzen wissen.

Auch orthodoxe Gruppierungen und Kräfte in allen bedeutenden Religionen, die eine Vermischung von Staat und institutionalisierter Religion anstreben, um gesellschaftliche Herrschaft mit innerer Macht über Menschen zu verbinden, werden fanatische Gegner einer demokratisch organisierten Multipolarität sein.

Zu nennen sind aber auch Bewusstseinsentwicklungen, die im Kontext einer "Imperialen Lebensweise" (Brand/Wissen 2017)4 entstanden sind.

Insbesondere die Mentalität vieler Menschen in den vermögenden Ländern, dass sowohl der Globale Süden als auch die natürliche Umwelt ein Feld unbegrenzter Nutzenmaximierung im generationsegoistischen Sinne seien, trägt dazu bei, dass notwendige sozialökologische Reformen, aber auch friedensstiftende Maßnahmen und überregionaler Interessenausgleich auf einer fairen Verhandlungsebene einen zu geringen Widerhall in der westlichen Bevölkerung finden.

Hinzu kommt in diesem Zusammenhang das Erstarken populistisch agierender rechtsextremer Parteien, die mit zunehmendem Erfolg die durch Flucht und Migration entstehenden Ängste und Vorurteile einheimischer Bevölkerungen ausnutzen. Rechtsextreme Politiker sind nationalchauvinistisch ausgerichtet und sind entschiedene Gegner einer multilateralen Kooperation im hier skizzierten Sinne.

Eine in ferner Zukunft liegende Utopie?

Natürlich werden daher viele einwenden, dass das friedliche Zusammenwirken unter einem gemeinsamen Dach nur eine Utopie sei, die in ferner Zukunft liege. Natürlich wird ein solcher Prozess – trotz hohem und unmittelbarem Problemdruck – noch Generationen brauchen, um sich durchzusetzen. Dennoch: Zeigt sich die neue Qualität nicht bereits im Alten?

Lebenswerte friedenspolitische Ansätze hierzu und reformfreudige Milieus gibt es bereits in jeder Menge: Zivilgesellschaftliche Bewegungen, institutionelle Reformtendenzen, solidarische Formen des Lebens und Arbeitens, mediale Gegenöffentlichkeiten, gewerkschaftliche Gegenwehr und Ansätze innerparteilicher Demokratie, Transformationen regionaler und überregionaler Zusammenarbeit und auch in den Vereinten Nationen vertretene Reformbewegungen. Auch die vorhandenen und noch zu steigernden Einflussmöglichkeiten zivilgesellschaftlicher Kräfte in den Vereinten Nationen sind hier zu nennen.

Dies bedeutet nicht, dass die Friedenskräfte mit Sicherheit die Oberhand gewinnen werden. Die Auseinandersetzung ist im Gange und die imperialen Kräfte werden zunehmend aggressiver. Gleichzeitig werden die reaktionären und nationalchauvinistischen Kräfte innerhalb der Gesellschaften gestärkt und stellen auch in den Gesellschaften mit einem demokratischen Selbstanspruch mehr und mehr die Machtfrage.

Vieles wird davon abhängen, inwieweit die Mehrheit der Gesellschaften erkennt, was verloren gehen kann und was es im Sinne von Freiheit, Gerechtigkeit und Demokratie zu erreichen gilt. Nur wenn die z.T. immer noch schweigende Mehrheit in den Gesellschaften erkennt, worum es in diesen Jahrzehnten wirklich geht, wird die Welt wieder friedfertiger werden können, wird die Klimakrise entschärft werden, wird die globale Ungerechtigkeit und Armut großer Teile der Weltbevölkerung beseitigt, wird sich die Demokratie – in durchaus unterschiedlichen Formen – durchsetzen können.

Dieser Prozess findet allerdings in der Auseinandersetzung mit Machtverhältnissen und Herrschaftsstrukturen statt und ist nicht bequem und auch nicht überall ungefährlich. Die Gefahr für ein derartiges Engagement nimmt mit dem Repressionsgrad eines politischen Systems im Inneren zu.

Politisch-historische Bildung und die mediale Verantwortung werden hierbei weiterhin einen hohen Stellenwert haben – zwei Bereiche, die aber auch immer von Herrschaftsstrukturen und systemischen Vereinnahmungstendenzen bedroht sind.

Die Voraussetzung friedensfördernder Veränderungen

Die Friedensbewegung muss sich international vernetzen – auch in die Vereinten Nationen hinein – und muss Antworten auf den militärisch gestützten Machtmissbrauch geben, die zu einem politischen Einfluss auf das Handeln der Verantwortlichen führen.

Allerdings: Eine Friedensbewegung in einer auf sich bezogenen Blase hilft auch nicht weiter, sondern wäre ein Teil des Problems. Erst eine unabhängige und kritische internationale Friedensbewegung wird zu einem ernsthaften Gegner der Profiteure von Kriegen – dem internationalen Finanzkapital sowie den Machthabern, die sich durch innere und äußere Repression maßlos bereichern.

Erst eine Friedensbewegung, die gelernt hat, sich mit sowohl anderen zivilgesellschaftlich aktiven Gruppen als auch den Parteien, Regierungen, Parlamenten oder supranationalen Institutionen zu verständigen, ist in der Lage, einen wirksamen Einfluss im hier gemeinten Sinne auszuüben.

Nur eine Friedensbewegung, die unabhängig von Parteien, Staaten und dogmatischer ideologischer Ausrichtung ist und die ihre kritische Analyse überall dort ansetzt, wo ökonomische, militärische und politische Macht missbraucht wird, verdient ihren Namen als Friedensbewegung.

Eine derart unabhängige und kritische Haltung ist die Voraussetzung dafür, dass die Friedensbewegung aus einem bisher noch recht begrenzten gesellschaftlichen Milieu heraustreten und breitere Kreise erreichen und sich international vernetzen kann – so wie es etwa die zivilgesellschaftliche Gegenbewegung zum Vietnam-Krieg wirkungsvoll geleistet hatte.

Reform der UN: Es gibt keine Alternative

Hinsichtlich notwendiger Reformen der UN und der Wichtigkeit einer multilateralen Verständigung ist dem langjährigen UN-Diplomaten Hans von Sponeck (2023) zuzustimmen5:

Der Übergang von einer Lose-Lose- zu einer Win-Win-Situation bei den Vereinten Nationen braucht Zeit, viel Zeit, unendliche Geduld, Beharrlichkeit und eine starke Führung auf Regierungs- und Nichtregierungsebene.

Für die Menschheit und für eine reformierte UNO steht viel auf dem Spiel, wenn eine Kultur des Egoismus, der Gier und Korruption, des Wettbewerbs und der Straflosigkeit vorherrscht, statt eines humanen und ökologisch sensiblen Realismus in den internationalen Beziehungen, der von einer Atmosphäre des Vertrauens, der Empathie, der Konvergenz, des Kompromisses und der Verantwortlichkeit bestimmt wird. Die Wahl? Es gibt keine Wahl!.

Klar ist: Wenn es keine übergeordnete und demokratisch legitimierte, rechtsstaatliche Instanz gibt, welche die Macht hat, imperiale Kräfte zu entwaffnen und friedensbringende Kräfte politisch zu stärken, dann wird das globale Kriegsregime weiterhin zunehmen, die Welt in einer Vielzahl – dann auch irgendwann nuklear ausgetragener – Kriege versinken.

Auch werden die notwendigen Ressourcen nicht in gemeinsamer internationaler Anstrengung freigestellt werden können, um die bedrohliche Klimaentwicklung noch eindämmen zu können. Große Teile der Weltbevölkerung werden auf der Flucht sein, rechtsextreme Kräfte werden gestärkt werden.

Viele werden sagen, dass die Entwicklung einer fairen multipolaren Welt unter dem Dach der UN möglicherweise Generationen brauchen wird, wenn es denn überhaupt gelingen kann. Es ist hingegen zu fragen:

Hat denn die Menschheit überhaupt eine Alternative, wenn sie zu einem globalen Frieden, zu einer ökologisch verträglichen Situation und zu einer Veränderung ungerechter Lebensverhältnisse finden will – also wenn die Menschheit als Gattungsart auf diesem Planeten noch eine Chance haben will?

Prof. Dr. Klaus Moegling, i.R., Politikwissenschaftler und Soziologe (Universität Kassel), war u.a. Mitinitiator des "Appells für den Frieden", er ist Autor des Buches "Neuordnung. Eine friedliche und nachhaltig entwickelte Welt ist (noch) möglich." – frei lesbar in der vierten Auflage veröffentlicht.