Militante Ermittler
Im laufenden Verfahren gegen die "militante gruppe" hat das Bundeskriminalamt Beweise gefälscht. Nun muss das Ausmaß der Manipulation geklärt werden
Eines der spektakulärsten Antiterrorverfahren in Deutschland hat eine ungeahnte Wende bekommen: Ende vergangener Woche musste der Ermittlungsführer des Bundeskriminalamtes vor dem 1. Senat des Kammergerichts Berlin eingestehen, Beweise gegen drei mutmaßliche Mitglieder der „militanten gruppe“ (mg) gefälscht zu haben. Dabei hatte Kriminalhauptkommissar Oliver Damm die Manipulation der Beweismittel zunächst bestritten. Erst auf wiederholte Nachfrage der Verteidigung gestand er die Falsifikate ein. Der Fall bringt nun nicht nur das aktuelle Verfahren in Zwielicht. Inzwischen steht das polizeiliche Vorgehen generell in Frage.
Seit einem halben Jahr läuft das Verfahren (Angeblicher Schlag gegen Militante Gruppe) gegen Axel H., Florian L. und Oliver R. wegen „Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung“ – der „militanten gruppe“ (mg). Die Bundesstaatsanwaltschaft wirft den drei Männern vor, als Angehörige dieser Gruppierung am 31. Juli 2007 in Brandenburg an der Havel einen Brandanschlag auf Bundeswehrfahrzeuge verübt zu haben (Büchner und ein schwarzer Beutel). Die „mg“ ist nach Ansicht von Staatsanwaltschaft und Geheimdienst eine der Nachfolgeorganisationen der 1998 aufgelösten Roten Armee Fraktion. Die Existenz der „mg“ konnte jedoch nie direkt belegt werden. Die Ermittlungsbehörden führten stets nur mittelbare Nachweise an, indem Anschläge und Erklärungen der „mg“ zugeschrieben wurden.
Wie in jedem Antiterrorverfahren nach Paragraph 129 des Strafgesetzbuches ist die Beweislage deswegen auch in dem laufenden Verfahren nebulös. Eine zentrale Rolle spielen Aussagen eines anonymen Informanten des deutschen Inlandsgeheimdienstes, des Bundesamtes für Verfassungsschutz. Angeführt werden zudem Dokumente, die von der „mg“ an das Berliner Szenemagazin Interim gesandt worden sein sollen. Doch ein Teil dieser Beiträge wurde – wie nun herauskam – von den Ermittlern selbst verfasst.
„Handakten“ gaben Aufschluss
Publik wurde die Beeinflussung der Beweise nur durch einen Fehler des Bundeskriminalamtes (BKA). Auf Drängen der Verteidiger hatte das BKA interne Sachstandsberichte zur Verfügung gestellt. In dieser Dokumentsammlung waren Beiträge aus der „Interim“ enthalten, in der im Rahmen einer so genannten Militanzdebatte um Sinn und Unsinn militanter Aktionen gestritten wurde. Diese Texte sollten belegen, wie die „mg“ für Gewalttaten warb und diese vorbereitete.
Für eine interne „Handakte“ fand sich dabei aber auch ein erstaunlicher Vermerk. Einer der Texte sei vom BKA verfasst und an die „Interim“ gesandt worden, hieß es da, „um eine Reaktion bei der `militante gruppe´ (mg) zu provozieren und gleichzeitig auf die Homepage des BKA (Homepageüberwachung) hinzuweisen“.
Konkret hatten Polizeibeamte unter dem Pseudonym „Die zwei aus der Muppetshow“ geschrieben:
Kein Wort auf Indymedia und nichts in der Interim (noch nicht mal im geschmeidigen Vorwort). Und wo spuckt die Suche im Nirwana uns die Wirklichkeit aus? Und auch die bürgerliche Presse schweigt auf der Suche nach Wahrheit. Ausgerechnet auf der Homepage der BKA-Schergen (ein Tabu wird gebrochen) müssen wir uns ob der Zielgenauigkeit der Aktion eines Besseren belehren lassen, wie tief müssen wir noch sinken?
BKA-Text in „Interim“ unter dem Titel „Über die Waffen der Kritik oder die Kritik der Waffen oder Quo Vadis mg?“
Nach der Enthüllung dieser Beweismittelfälschung steht nun die Legitimität des Verfahrens in Frage. Nachdem Kriminalhauptkommissar Oliver Damm die Täuschung am Donnerstag zugeben musste, hatte sich auch die Stimmung des Gerichts geändert. Der Vorsitzende Richter Josef Horch bat die Bundesanwaltschaft am Freitag, dem vorerst letzten Verhandlungstag, um Aufklärung. Zuvor war der betreffende Text im Gerichtssaal laut verlesen worden. Er sei in den Akten schließlich nicht enthalten gewesen, stellte Horch fest, um auf eine eigene Internetrecherche zu verweisen. Inzwischen hatte eine Solidaritätsinitiative den Artikel als PDF-Dokument online gestellt. Das Verfahren soll am 20. April fortgesetzt werden.
Verfahren „juristisch gescheitert“
„Juristisch betrachtet müsste dieser Prozess nun eingestellt werden“, sagte Rechtsanwalt Alexander Hoffmann am Dienstag gegenüber Telepolis: „Praktisch schließen wir diese Möglichkeit aber aus.“ In der deutschen Justizgeschichte seien vor allem so genannte Antiterrorverfahren nach Paragraph 129 des Strafgesetzbuches Ziel von Manipulation gewesen. Das Paradebeispiel dafür sei der Prozess um den Mord am dem V-Mann Ulrich Schmücker im Jahr 1974. Diese längste Strafverhandlung der deutschen Justizgeschichte wurde 1976 eröffnet, um 1991 nach fast 600 Verhandlungstagen und einer Reihe schwerer Justizskandale eingestellt zu werden.
Auch im laufenden Verfahren gegen mutmaßliche Mitglieder der „militanten gruppe“ vermuten Hoffmann und die anderen Strafverteidiger weitere Einflussnahmen. Aus den Akten des BKA gehe hervor, dass die Ermittlungsbeamten mindestens einen weiteren Text an die Zeitschrift „Interim“ gesandt haben. Die Verheimlichung dieser Fälschungen hänge entweder mit dem Inhalt dieses zweiten und möglicher weiterer BKA-Texte zusammen, so Hoffmann: „Oder das Verfahren wird aus anderen Gründen gesteuert.“
Kritik äußern die Verteidiger deswegen auch an der Entscheidung des Gerichtes, die Akten des Ermittlungsführers Damm nicht umgehend beschlagnahmt zu haben. Der BKA-Mann hatte am Donnerstag nach seiner Falschaussage den Gerichtssaal unter Verweis auf Termindruck eilends verlassen. Die Richter hatten die von den Verteidigern geforderte Beschlagnahmung seiner mitgeführten Dokumente zuvor mit dem Argument abgelehnt, dass es sich dabei um Amtsakten einer Polizeibehörde handele. Bei Bedarf würden diese dem Gericht zur Verfügung gestellt werden. „Ich bin mir sicher“, sagt Verteidiger Hoffmann nun, „dass wir die `angereicherte´ Akte des BKA nie mehr zu Gesicht bekommen werden.“ Alles in allem könne der Prozess nicht mehr als fair bezeichnet werden: „Als Konsequenz muss er eingestellt werden.“
Ermittlungsmethoden wurden inzwischen gestoppt
Doch auch unabhängig von dem laufenden Verfahren wird das polizeiliche Vorgehen gegen vermeintliche Mitglieder militanter Organisationen inzwischen hinterfragt. Die systematische Überwachung der BKA-Homepage und die Registrierung der IT-Adressen ihrer Besucher etwa wurden vom Bundesinnenministerium bereits als rechtswidrig eingestuft. Ein nicht unwichtiges Detail, denn mit den gefälschten „Interim“-Texten wollten die BKA-Beamten schließlich mutmaßlicher Mitglieder der inkriminierten Gruppe habhaft werden.
Das Ergebnis war allerdings ernüchternd: Nach Publikation des nun als Fälschung entlarvten „Interim“-Textes wurden gerade einmal 417 IT-Adressen dokumentiert , von denen die Nutzerdaten meist nicht ermittelt werden konnten. Weitere Daten seien Behörden und Medien zugeordnet worden. 120 Nutzerdaten für IT-Adressen, die von der Telekom vorgelegt wurden, sind für das laufende Verfahren irrelevant.
„Für mich ist es offensichtlich, dass der BKA-Zeuge Damm in dem Verfahren gelogen hat“, sagt Anwalt Hoffmann. Folgen wird dieses Verhalten für den Polizeibeamten aber wohl nicht haben. Weil er seine Aussage noch während der Verhandlungssitzung widerrufen hat, gilt die versuchte Manipulation nicht als Falschaussage. „Wir hätten ihn auch ins Messer laufen lassen können“, so der Verteidiger. Wenn Damm entlassen und vereidigt worden wäre, hätte er zur Rechenschaft gezogen werden können. „Doch darauf kommt es uns nicht an“, fügt Rechtsanwalt Hoffmann an: „Wir wollen nur ein faires Verfahren.“