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Milizen und Pogrome: Wie kommt es zur Welle rassistischer Gewalt in Griechenland und Zypern?

Grüne Grenze in Zypern: Ins Land kommen viele Flüchtlinge. Bild: Josephine Dorado, CC BY-NC-SA 2.0

Regierung in Athen nutzt Übergriffe zur Ablenkung vor eigenen Defiziten. Hemmungen in Politik und Medien gefallen. Ist Zypern noch ein sicheres Reiseland?

In Griechenland machen selbst ernannte Bürgerwehren Jagd auf Flüchtlinge, während um sie herum die Brände wüten. Auf Zypern kommt es wie in Limassol zu regelrechten Pogromen gegen alle, die rechtsextremen Schlägern zu fremd erscheinen. Die Politik macht dabei keine gute Figur, wenn sie nicht selbst zum Schüren des Hasses beiträgt.

Die Flüchtlingszahlen steigen, melden die griechischen Behörden [1], und die Politik bringt die jüngsten Waldbrände in der Evros-Region an der Landgrenze zur Türkei mit den auch dort verlaufenden Flüchtlingsrouten in Verbindung. Auch um die eigene Unfähigkeit, die Brände innerhalb von 16 Tagen zu löschen, zu kaschieren, schob selbst Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis im Parlament die Schuld auf die Flüchtlinge.

Konkret sagte Mitsotakis am 31. August, es sei "fast sicher", dass die Brände "von Menschenhand gelegt wurden [2]", und zwar "entlang der Fluchtrouten illegaler Einwanderer" [3].

Dass dies von den selbst ernannten "Bürgerwehren" ausgenutzt wird, muss ihm bewusst gewesen sein, denn in derselben Rede sprach er die paramilitärischen Strukturen an, die sich anmaßten, im Grenzgebiet und entlang der Fluchtrouten Polizeiaufgaben anstelle der Staatsgewalt wahrzunehmen.

Einige Mitglieder einer solchen Gruppe wurden nach ihrer Festnahme, dem Haftprüfungstermin und der Anklageerhebung in Untersuchungshaft genommen. Sie hatten während der Brände in der Evros-Region und während der Löscharbeiten durch Feuerwehr und freiwillige Helfer regelrecht Jagd auf Flüchtlinge gemacht.

Sie wurden auf frischer Tat ertappt, nachdem sie über soziale Medien mit entsprechendem Videomaterial und klar erkennbaren Gesichtern und Autokennzeichen verkündet hatten, dass sie Flüchtlinge in einem kleinen Anhänger eingesperrt hätten und auf der Suche nach weiteren Flüchtlingen seien [4].

Unterstützt wurden sie zumindest durch öffentliche Solidaritätsaufrufe vor und nach der Festnahme von Politikern der rechtsextremen Partei "Griechische Lösung".

Als Motiv gaben sie die Verschwörungstheorie an, wonach die Brände von den Geflüchteten gelegt würden, damit die Fluchtroute sich vom Wald zum freien Feld verwandeln solle. Dass gerade der Wald den Flüchtlingen Schutz vor den patrouillierenden offiziellen Grenzern bot, passte nicht in diese Geschichte.

Dennoch erstatteten die drei Strafanzeige gegen ihre Opfer und beschuldigten die insgesamt dreizehn in dem kleinen Anhänger eingesperrten Flüchtlinge der Brandstiftung. Auch die Flüchtlinge kamen zunächst in Haft, wurden aber wieder freigelassen, nachdem klar war, dass sie mit den Bränden nichts zu tun hatten [5].

Nach dem Löschen wurden 26 Leichen, vermutlich von Flüchtlingen, in dem verbrannten Waldgebiet gefunden. Für den Migrationsminister Dimitrios Kairidis war dies Anlass, in einer Erklärung des Ministeriums den Toten eine Mitschuld an ihrem Schicksal zu geben.

Eine Nachrichtensprecherin des staatlichen Senders ERT News betonte unterdessen, es sei gut, dass "nur Migranten" als Tote gefunden worden seien. Später entschuldigte sie sich für diese Wortwahl.

Wie sehr die Regierung den öffentlichen Diskurs in Richtung rechtsextremer Rhetorik verschoben hat, zeigt ein Kommentar von Paschos Mandravelis in der nationalliberalen Kathimerini. Die Kathimerini ist das mediale Flaggschiff der bürgerlichen Rechten und steht traditionell loyal hinter der regierenden Nea Dimokratia.

Mandravelis, einer der profiliertesten Leitartikler der Zeitung, kommt angesichts der Rede von Mitsotakis im Parlament zu dem Schluss [6]: "Die Rede von Mitsotakis im Parlament ist ein weiterer Einschnitt in der Demokratie und im Rechtsstaat, vielleicht der schwerwiegendste nach der Wiederherstellung der Demokratie (1974), nach dem Referendum 2015 und der Abhöraffäre 2022."

Er sieht aber nicht nur den Premierminister in der Verantwortung, sondern die gesamte Regierungsmannschaft. Bemerkt er doch in seinem Kommentar: "Schlimmer noch ist, dass während der Diskussion der Parteivorsitzenden die ganze schlechte Ansammlung rechts von der Nea Dimokratia, die Äußerungen von Ministern nutze, um rassistisches Gift zu versprühen."

Pogrom im zyprischen Limassol

Auch in Zypern eskaliert die Situation. Das Thema Einwanderung dominierte den jüngsten Präsidentschaftswahlkampf. Fremdenfeindliche und rassistische Rhetorik hat sich in der griechischsprachigen Inselrepublik tendenziell "normalisiert".

Verschwörungstheorien, die Migrationsströme als Plan Erdogans und Flüchtlinge und Migranten als "dritten Attila", also dritte türkische Invasion bezeichnen, wurden auch von offiziellen Mandatsträgern und Funktionären unterstützt.

Die rassistischen Parolen der rechtsextremen Elam-Partei, die bei ihrer Gründung direkt mit der griechischen neonazistischen "Goldenen Morgenröte" verbunden war, rückten immer mehr in die sogenannte politische Mitte. Zypern hat gemessen an der Einwohnerzahl die meisten Asylanträge in der EU, was unmittelbar mit der UN-bewachten Grünen Grenze zum türkisch besetzten Norden zu tun hat: Wer sie überwindet, ist in der EU.

Ende August kam es in der Gemeinde Chorakas bei Paphos zu ersten Übergriffen von Rechtsradikalen auf Migranten und Flüchtlinge. Dabei sollen Häuser, in denen Flüchtlinge leben, beschmiert worden sein.

Am 1. September kam es in Limassol zum bisherigen Höhepunkt, als organisierte Schlägerbanden wahllos jeden angriffen, der ihnen auf den ersten Blick nicht zyprisch erschien. Ursprünglich handelte es sich um eine Demonstration gegen Migranten, zu der die Elam aufgerufen hatte, an der aber auch Teile der linksnationalistischen Edek teilnahmen.

Unter den Opfern, die verprügelt und beraubt wurden, war auch der Präsident der Hafenbehörde, Antonis Stylianou [7]. Mit Baseballschlägern und anderen Schlagwerkzeugen wurden Ladenbesitzer in dem überwiegend von Flüchtlingen und Migranten bewohnten Stadtteil von Limassol angegriffen.

Stylianou fragte auch nach dem Verhalten der Polizei und ihrem Einsatzplan. Die Ordnungshüter, die später zwölf der Gewalttäter festnahmen, griffen zunächst nicht ein. Sie ließen die Angreifer passiv gewähren, auch als Zyprer in Panik versuchten, die Angreifer mit den Worten "Wir sind Zyprer, schlagt uns nicht" von sich fernzuhalten.

Der beschädigte Verkaufsstand einer Frau aus Vietnam, Mutter von vier Kindern, die in Zypern lebt und arbeitet, wurde weltweit zum Medienthema. Die Rechtsradikalen warfen Molotowcocktails und schlugen alles kurz und klein.

Auch vor Touristen, deren Hautfarbe ihnen verdächtig vorkam, machten sie nicht halt. Zypriotische Medien berichteten von einem Touristen aus Kuwait, der nach dem Angriff ins Krankenhaus eingeliefert werden musste.

Botschafter arabischer Länder beschwerten sich offiziell beim Generaldirektor des zyprischen Außenministeriums, Kyriakos Kouros. Die zyprische Regierung versucht nun, der besorgniserregenden Entwicklung entgegenzuwirken. Denn auch Industrie und Handel warnen. Sie sind auf Arbeitskräfte aus dem Ausland angewiesen.


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Links in diesem Artikel:
[1] https://www.protothema.gr/greece/article/1408530/metanasteutiko-ragdaia-auxisi-stis-roes-5700-sullipseis-paranomon-metanaston-apo-ton-iounio/
[2] https://www.ethnos.gr/Politics/article/277650/mhtsotakhsperipoybebaiootihfotiastonebromphkeapoanthropinoxerixekinhseapodiadromesmetanaston
[3] https://www.evros-news.gr/2023/09/01/%CE%BC%CE%B7%CF%84%CF%83%CE%BF%CF%84%CE%AC%CE%BA%CE%B7%CF%82-%CF%83%CF%84%CE%B7-%CE%B2%CE%BF%CF%85%CE%BB%CE%AE-%CE%B7-%CF%86%CF%89%CF%84%CE%B9%CE%AC-%CF%83%CF%84%CE%BF%CE%BD-%CE%AD%CE%B2%CF%81%CE%BF/
[4] https://www.lifo.gr/stiles/optiki-gonia/oi-prosfyges-kai-oi-metanastes-os-apodiopompaioi-tragoi
[5] https://www.alfavita.gr/politiki/425574_oi-metanastes-itan-athooi-alla-i-doylitsa-eihe-ginei
[6] https://www.kathimerini.gr/opinion/562595323/akomi-mia-pligi/
[7] https://www.kathimerini.com.cy/gr/kypros/thyma-ton-maskoforon-kai-o-proedros-tis-arxis-limenon