Milliarden für die Staatsgeheimnisse
Im Haushaltsjahr 2003 benötigten die USA mehr als 6,5 Milliarden Dollar, um sicher zu stellen, dass vertrauliche Informationen auch vertraulich bleiben
Christopher Shays, Vorsitzender des National Security Panel des Komitees zur Regierungsreform im Repräsentantenhaus, bringt es auf den Punkt: "Ich habe angeblich geheime Dokumente gelesen, die mir Seite für Seite sagten, was ich bereits wusste." Etwa 90% aller als "vertraulich" klassifizierten Dokumente", so schätzt er, werden zu Unrecht der Öffentlichkeit vorenthalten, enthalten sie doch Informationen, die längst bekannt sind.
Nimmt man nun noch die zögerliche Haltung der Geheimdienste oder Behörden hinzu, wenn es darum geht, einmal als vertraulich gekennzeichnete Informationen freizugeben, so hat man zwei der Hauptgründe für die stetig ansteigenden Kosten einer Geheimhaltungspolitik, die seit dem 11.09.2001 ausufert. Als ein Beispiel für die vorgenannten Kritikpunkte sei die Tatsache genannt, dass das CIA 20 Jahre benötigte, um die Information, dass Augusto Pinochet Branntwein mochte, offiziell freizugeben. In diesen 20 Jahren wurden nicht unerhebliche Kosten darauf verwandt, eben diese Information geheim zu halten. 2001 wurden noch 100 Millionen Seiten an Informationen deklassifiziert, also offiziell nicht mehr als vertraulich angesehen und veröffentlicht, 2003 waren es dann nur noch 43 Millionen.
Open The Government stellt in seinem jüngst erschienen Bericht einen Anstieg von 60% hinsichtlich der Kosten der Geheimhaltung fest. Allein im Haushaltsjahr 2003 kamen 14 Millionen vertrauliche Dokumente hinzu - die Kosten, die zur Sicherung eines Dokumentes sowie der damit verbundenen Informationen verwandt werden, belaufen sich auf 459 Dollar jährlich, Tendenz steigend. Auf jeden Dollar, der investiert wird, ehemalige Geheimnisse zu veröffentlichen, kommen 120 Dollar, Geheimnisse zu bewahren, die längst keine mehr sind.
"Secrecy Report Card: Quantitative Indicators of Secrecy in the Federal Government" heißt der von Open The Government initiierte Versuch, nachvollziehbare Maßstäbe für die Geheimhaltung zu etablieren. Denn nicht nur die Kosten bereiten Open Government Sorgen - vielmehr bedeutet die bisherige Praxis auch, dass es für Privatpersonen immer schwieriger wird, Informationen nach dem Freedom of Information Act zu erhalten. Denn sobald ein Dokument als vertraulich gilt, greift der FOIA nicht mehr. Aufklärung wird so fast unmöglich - was sich auch im Fall der Folterungen im Gefängnis von Abu Ghraib (Folteraufklärung im Pentagon) zeigte. Auch dort waren die für ein Aufklärung der Geschehnisse erforderlichen Unterlagen vertraulich. Anthony H. Romero von der American Civil Liberties Union kritisierte die "Stonewall Politics" der Regierung in Bezug auf Abu Ghraib und Guantanamo Bay bereits im Zuge der "Safe and Free" Kampagne.
Dabei steigt der Wunsch der Bevölkerung nach Information durchaus. 3,2 Millionen Anfragen im Zuge des FOIA wurden im Jahr 2003 verzeichnet, über eine Million mehr als 2001. Ein Großteil dieser Anfragen kommt von Bürgerrechtsorganisationen wie eben der American Civil Liberties Union oder dem Electronic Privacy International Center. Der FOIA bietet hier Möglichkeiten, die in Deutschland trotz des bereits 1998 gegebenen Versprechens der rot-grünen Koalition, ein Informationsfreiheitsgesetz zu verabschieden, noch immer auf sich warten lassen (Bürger für ein Informationsfreiheitsgesetz)
Doch zu all diesen Punkten kommt noch ein Problem hinzu: Etwa 4.000 Personen sind berechtigt, Dokumente als vertraulich zu klassifizieren, darunter fallen unter anderem auch Mitarbeiter der Departments für Landwirtschaft oder Gesundheit. Für Christopher Shays ist dies einer der Kernpunkte des Problems. Es müsse, so Shays, dringend überprüft werden, warum so viele Mitarbeiter über dieses Recht, öffentliche Informationen in vertrauliche Informationen umzuwandeln, verfügen; dies sei für eine Reduzierung der Kosten unerlässlich.
Shays und Bürgerrechtsorganisationen sind nicht allein mit ihrer Kritik. Vielmehr kommt diese auch von William J. Leonard, Direktor des Information Security Oversight Office und verantwortlich für die Geheimhaltungsrichtlinien der Regierung. Während er die von Open The Government veröffentlichten Zahlen durchaus kritisiert und korrigiert (die vorgenannten 14 Millionen Dokumente, so Leonard, seien irreführend da es sich einerseits zwar um neue Dokumente, andererseits aber auch um die damit zusammenhängenden Informationen handele, die tatsächliche Zahl der Dokumente sei weitaus niedriger), sieht auch er in der bisherigen Praxis einen Nachteil. Sein Fazit ist ähnlich dem von Christopher Shays. Wichtige Informationen und Daten gingen in dem Wust der unwichtigen Daten unter.
So wird aus der ursprünglichen Idee, Sicherheit durch Geheimhaltung zu gewährleisten, nicht nur ein Milliardengrab, sondern vielmehr auch eine Gefahr für eben diese Sicherheit. Denn wenn Informationen aus vermeintlichen Sicherheitsgründen nicht mehr zwischen einzelnen Abteilungen oder Behörden weitergegeben werden können, werden sie oftmals wertlos. Eine Tatsache, die momentan nicht nur die sogenannte 9/11-Komission feststellt. Zu befürchten ist allerdings, dass dieses Fazit nicht zu einer Änderung der Geheimhaltungspolitik führt, sondern lediglich zu einem Wunsch nach mehr Data Mining Möglichkeiten, von denen es zur Zeit schon genug gibt (Der überwachungsindustrielle Komplex).