"Mindestens zehnprozentige Steuer auf Millionenvermögen"
Interview mit Sahra Wagenknecht, Teil 2
Zu Teil 1 des Interviews
Sind mit dem Platzen der Finanzblase auch reiche Menschen ernsthaft betroffen oder fallen diese – aufgrund der von der Regierung gegebenen unbegrenzten Garantie für Sparguthaben wieder relativ weich?
Sahra Wagenknecht: Die Garantie wird noch gar nicht relevant weil bisher in Deutschland noch keine Bank derart zusammengebrochen ist. Das Problem mit den wirklich Reichen ist, dass sie ihr Vermögen so diversifiziert haben, dass sie, auch wenn sie an einzelnen Stellen Verluste haben, in der Summe ständig Vermögenszuwächse verbuchen können. Wenn man dort etwas ändern will, muss man tatsächlich politisch andere Schritte gehen. Ich bin z. B. der Überzeugung, dass man in Deutschland eine mindestens zehnprozentige Steuer auch auf Millionenvermögen erheben sollte um tatsächlich Vermögen umzuverteilen. Dann kann man auch mit diesem Geld solche Verluste übernehmen.
„Neue Dimension des Lohndumpings“
Das wäre ein erster Schritt einer Umverteilung währenddessen eine platzende Finanzblase relativ unkoordiniert verschiedenste Einkommensgruppen trifft und gerade die Reichen wegen der breiten Streuung ihrer Vermögen oft keine besonders gravierenden Verluste zu verzeichnen haben. Wenn Aktienkurse fallen ist das zwar auch ein Verlust, aber es ist beispielsweise für nächstes Jahr schon wieder angekündigt, dass hohe Dividenden ausgeschüttet werden sollen, was in der gegenwärtigen wirtschaftlichen Situation ein Unding ist.
Worin sehen Sie im Moment die größte Gefahr für die Lohnabhängigen?
Sahra Wagenknecht: Die größte Gefahr ist natürlich, dass die miserable Lohnpolitik, die wir sogar während des sogenannten Aufschwungs hattenl, mit dem Krisenargument und der Erpressung durch mögliche Arbeitslosigkeit fortgesetzt wird. Das ist genau der falsche Weg. Gerade als Reaktion auf die Krise brauchen wir kräftige Lohnsteigerungen. Das wäre auch der einzige Weg, wie sich die Wirtschaft wieder stabilisieren könnte. Aber man wird natürlich versuchen mit weiteren Entlassungen neue Dimensionen des Lohndumpings zu eröffnen.
Würde es zu Ihrer sehr empirisch orientierten Analyse nicht passen, wieder auf die Philosophie zurückzukommen, um z.B. anhand des Marxschen Entfremdungstheorems die wachsende Unterordnung der Menschen unter von ihnen selbst produzierte Dinge und Strukturen im Finanzkapitalismus zu kritisieren?
Sahra Wagenknecht: Freilich hat sich dieses System schon sehr stark verselbständigt und es besitzt eine immanente Logik, nach der das Ganze funktioniert, in die sich auch die Herrschenden einordnen, wobei sie auch diejenigen sind, die davon profitieren. Ihnen geht es ja nicht nur wie dem Zauberlehrling, der völlig entsetzt die Ergebnisse seines Tuns anschaut, sondern sie wollen das bisherige Modell eines entfesselten Kapitalismus fortschreiben, weil es ihnen nützt. Dennoch kann man auch an ihren Reaktionen ablesen, dass sie auch merken, dass sie die Entwicklung nicht mehr hundertprozentig im Griff haben.
„Es ist eindeutig, dass der Kapitalismus elementare Dinge nicht mehr gewährleistet“
Die Frage ist wie der Kapitalismus darauf reagiert. Historisch hat er in Situationen, in denen er große wirtschaftliche Probleme hatte, nicht nur Demokratie abgebaut, sondern wirklich abgeschafft. Die letzte Weltwirtschaftskrise hatte gerade in Europa nicht nur wirtschaftlich verheerende Folgen, sondern auch politisch.
Müsste die langjährige Diskussion über die Verwerflichkeiten und Vorteile des Kapitalismus nicht auch einmal grundlegend in die Bahnen einer Diskussion über Fremd- und Selbstbestimmung des Menschen gebracht werden?
Sahra Wagenknecht: Vor allem muss man sich die Frage stellen, zu welchem Zweck die Wirtschaft überhaupt existiert. Es ist eindeutig, dass der Kapitalismus elementare Dinge, die eigentlich eine wirtschaftliche Ordnung gewährleisten sollte, nicht mehr gewährleistet. Er ist eine Wirtschaftsordnung, die im globalen Maßstab Hunger erzeugt und Menschen ermordet, denn anders kann man es nicht beschreiben, wenn Menschen verhungern und selbst in den Industrieländern immer mehr Menschen ausgegrenzt und in schlimme Armut gestürzt werden obwohl wir technologisch längst in der Lage wären, jedem Menschen einen gesicherten Lebensstandard zu sichern. Eine Wirtschaftsordnung, die hier versagt ist krank und gerade in der Krise sollte man über Alternativen nachdenken.
Das Thema Finanzkrise sollte für die Linke ein gefundenes Fressen sein. Doch in den Medien ist derzeit nicht viel von Ihrer Partei zu hören? Warum?
Sahra Wagenknecht: Zum Teil wird die Linke mit ihren Vorschlägen auch geschnitten. Wir haben ja konkrete Vorschläge wie die Millionärssteuer und erheben die Forderung, nicht jetzt in der Krise die Verluste zu verstaatlichen, sondern überhaupt den gesamten Finanzsektor in öffentliches Eigentum zu überführen um die blinde Renditejagd mit ihren negativen Folgen in Zukunft überwinden zu können. Ich denke schon dass die Linke Antworten hat, aber vielleicht könnte man diese in der Öffentlichkeit etwas offensiver vertreten.
„Zu wenig starke Akteure“
Das Problem mit dieser Krise aber ist, dass man sich nicht einfach hinstellen kann und eine Steuer und mehr Regulierung fordern, sondern die Krise ist schon der Anlass um die Frage nach einer grundlegenden Systemalternative zu stellen. Und das sollte die Linke meines Erachtens ruhig noch lauter tun.
Sehen Sie im Moment einen gesellschaftlichen Akteur, der sich gegen die von der Politik weltweit eingeschlagene Entwicklung einer Sozialisierung der Verluste und einer baldigen Reprivatisierung der Gewinne stemmt?
Sahra Wagenknecht: Sicherlich gibt es noch viel zu wenig starke Akteure und internationale Abstimmung und solange das so ist wird die Politik ihr Spiel wie gehabt durch ziehen. Wir brauchen eine starke Bewegung außerhalb der Parlamente aber auch politische Kräfte, die der Bewegung eine Stimme geben. Das ist die Aufgabe der Linken und anderer linker Parteien in Europa. Leider agieren die Linken in vielen Ländern zu defensiv. Gerade die grundlegende Frage nach einer Systemalternative sollte man international stellen.
Könnte hierbei die derzeitige deutsche Gewerkschaftsbewegung eine Rolle spielen und wenn ja, warum tut sie es nicht?
Sahra Wagenknecht: Weil die Gewerkschaften in sich nicht einig sind. Es gibt Teile der Gewerkschaften, die ihre Anhängerschaft der SPD, die nun wirklich eine neoliberale Partei geworden ist, überwunden haben aber auch einen immer noch erheblichen Anteil, der sich genau in dieser Gefolgschaft sieht. Das bringt große Schwierigkeiten mit sich. Insoweit ist der letzte Abschluss im Metallbereich nicht gerade ein Beleg der Stärke. Man muss also sehen wie man die Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften in eine wesentlich offensivere Richtung lenken könnte.
Könnte man die Krise sogar nutzen um etwaige gesellschaftliche Alternativen voranzubringen?
Sahra Wagenknecht: An sich braucht man die Krise nicht, um Alternativen zu erreichen. An sich sind Alternativen immer eine Frage von Kräfteverhältnissen. Alternativern sind auch möglich, wenn es keine Krise gibt. Aber natürlich haben wir gerade eine wirtschaftlich desaströse Situation und eine Krise, die auch in einem Jahr nicht überwunden sein wird. Die Hoffnung ist, dass dies schon bei immer mehr Menschen ein Nachdenken hervorruft.
Müsste man, um dem Machtmissbrauch der Eliten Einhalt zu gebieten, die Gesetze verschärfen oder die bestehenden Gesetze adäquat anwenden - oder nützen in diesem Fall die besten Gesetze und Gesetzeshüter nichts?
Sahra Wagenknecht: Den Sozialismus wird man nicht nur anhand von Gesetzen einführen, dazu braucht man eine ganz andere gesellschaftliche Bewegung. Aber erste Schritte wären durchaus Gesetze, welche z.B. einen Großteil der spekulativen Kapitalbewegungen verbieten und den Kapitalverkehr wieder regulieren. Dafür sollte man sich schon einsetzen.
Teile der marxistischen Linken, wie etwas Robert Kurz, werfen den Globalisierungskritikern vor, mit ihrer Kritik des raffenden und der Lobpreisung des schaffenden Kapitals in antisemitische Denkstrukturen zurückzufallen. Ist dieser Vorwurf Ihrer Meinung nach ganz abwegig oder steckt dahinter auch ein realer Kern?
Sahra Wagenknecht: Erst einmal glaube ich nicht, dass linksorientierte Globalisierungskritiker das Vokabular vom raffenden und schaffenden Kapital benutzen. Es ist völlig absurd die Globalisierungskritik als antisemitisch zu verunglimpfen.
„Es haben sich erhebliche Entwicklungen vollzogen“
Dass man zwischen produktiven, realen Investitionen und Finanzkapital differenziert und berücksichtigt, dass im heutigen Kapitalismus das Finanzkapital letztlich bei der Verringerung von Verteilungsspielraum eine erhebliche Rolle spielt, was hat das mit Religion zu tun? Die antiproduktiven und antiinnovativen Tendenzen des heutigen Finanzkapitalismus sollte man zum Thema machen. Wo Herr Kurz hier Antisemitismus wittert ist mir unerfindlich.
Wobei in der marxschen Analyse die sogenannte Überakkumulation von Kapital und das Ausweichen in die Sphären des fiktiven Kapitals, also Produktion und Spekulation miteinander verzahnt sind...
Sahra Wagenknecht: Die sind auch miteinander verzahnt. Gerade heute sind viele Produktionsunternehmen Finanzunternehmen geworden. Z.B. hat General Motors jahrelang mehr Gewinne gemacht mit seinen Finanzgeschäften als mit dem Verkauf von Autos. Deswegen ist dieses Unternehmen auch technologisch zurückgeblieben und das hat auch damit etwas zu tun, dass die reale Nachfrage auf Grund der kapitalistischen Verteilungsverhältnisse nicht vorhanden ist. Das mit zu thematisieren heißt ja nicht, dass man die antiproduktive Tendenz des heutigen Kapitalismus leugnen muss. Und ich finde schon gar nicht, dass man damit in die Nähe der Nazis kommt. Ich finde solche Denunziationen ziemlich absurd.
Noch eine letzte Frage: Was ist Ihrer Meinung nach das größte Manko der Marxschen Analyse?
Sahra Wagenknecht: Das größte Manko besteht darin, dass es eine Weiterentwicklung der Marxschen Analyse seit den 70er Jahren und einen lebendigen marxistischen Diskurs kaum noch gegeben hat. Aber ich hoffe, dass sich das wieder langsam entwickelt und die Marxsche Analyse fortgeführt werden kann. Hier gibt es aber auch ein Problem: Wir brauchen wieder Diskussionszusammenhänge, in denen marxistische Theorie weiterentwickelt wird. Natürlich kann man die Welt anhand des “Kapitals“ allein nicht erklären, aber es gibt Grundlagen, Hilfsmittel und Werkzeuge um die Realität zu verstehen. Aber wir brauchen die eigenen Köpfe um hier noch ein ganzes Stück weiter zu denken, denn es haben sich erhebliche Entwicklungen vollzogen, die jetzt analysiert und begriffen werden müssen.