Mindestlohn für Saisonarbeiter: Stirbt der deutsche Spargel?
Landwirte beklagen steigende Produktionskosten durch Mindestlohn. Spargelbauern fürchten um ihre Zukunft. Warum die Arbeitsbedingungen der Erntehelfer trotzdem verbessert werden müssen.
Die Spargelsaison hat begonnen, an Ständen und auf Märkten ist das Gemüse wieder erhältlich. In den Zeitungen findet man Tipps für die richtige Zubereitung oder Informationen darüber, welche Sorten besser schmecken als andere. Es gibt auch Artikel, die dem Leser zum tausendsten Mal erklären, warum der Urin nach dem Spargelverzehr so auffällig riecht.
Inzwischen häufen sich aber auch Berichte, die für Spargelliebhaber von besonderem Interesse sein dürften: Die Preise ziehen in diesem Jahr deutlich an. Die Tagesschau berichtete kürzlich, dass mancherorts bereits Preise von über 20 Euro pro Kilogramm und mehr verlangt werden.
Als Grund werden steigende Produktionskosten genannt. Seit Oktober müssen die Bauern den Mindestlohn von zwölf Euro pro Stunde zahlen. Für die Saisonarbeiter aus Polen, Rumänien oder anderen osteuropäischen Ländern bedeutet das 20 Prozent mehr Lohn.
Auf der anderen Seite stehen die Spargelbauern. Sie können die Mehrkosten nicht beliebig auf die Preise aufschlagen. Früher oder später "streiken" die Verbraucher und verzichten. Hinzu kommt der Preisdruck der Handelskonzerne.
Noch stammen rund 80 Prozent des in Deutschland verkauften Spargels von heimischen Landwirten. Doch der internationale Wettbewerb nimmt auch hier zu. Für den Präsidenten des Deutschen Bauernverbandes, Joachim Rukwied, ist das ein Grund, den Mindestlohn in der Landwirtschaft infrage zu stellen.
"In Ländern, in denen der Mindestlohn deutlich niedriger ist als bei uns, können Landwirte ihre Produkte auch günstiger anbieten", sagte er der Tagesschau. Um europaweit gleiche Wettbewerbsbedingungen zu schaffen, sei ein einheitlicher Mindestlohn innerhalb der Europäischen Union notwendig.
In der Konsequenz bedeutet diese Forderung nichts anderes, als den Mindestlohn in Deutschland wieder zu senken. Die Annahme, dass Länder mit geringerer Wirtschaftsleistung einen Mindestlohn wie in Deutschland einführen könnten, dürfte unrealistisch sein.
Aber auch die Arbeitsbedingungen der Saisonarbeitskräfte auf deutschen Spargel- und Erdbeerfeldern werden in der Debatte oft ausgeblendet. Die gewerkschaftsnahe Initiative Faire Landwirtschaft (IFL) veröffentlicht dazu jährlich einen Bericht.
Im vergangenen Jahr wurde festgestellt, dass der Mindestlohn oft nicht eingehalten wird.
In den meisten Betrieben stellt nicht die Arbeitszeit, sondern die Dokumentation der geernteten Menge die eigentliche Grundlage für die Lohnberechnung bei der Ernte dar. […] Für die Beschäftigten ist deshalb kaum nachzuvollziehen, wie sich ihr Entgelt zusammensetzt und ob der gesetzliche Mindestlohn faktisch gezahlt wurde. Die gängige Praxis, dass die Nettolöhne oftmals erst bei Vertragsende unmittelbar vor der Abreise ausbezahlt werden, schwächt ihre Verhandlungsposition gegenüber den Arbeitgebern zusätzlich.
Saisonarbeit in der Landwirtschaft. Bericht 2022
Der erhöhte gesetzliche Mindestlohn stellt eine wichtige Verbesserung für Saisonarbeitskräfte dar. Aber auch hier klafft eine Lücke zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Landwirte hätten Wege gefunden, den Mindestlohn zu unterschreiten, indem sie etwa Überstunden nicht bezahlten oder Wuchermieten vom Lohn abzögen. Auch bei der Bereitstellung von Arbeitsmaterial würden teilweise Lohnabzüge vorgenommen.
Ein weiteres Problem stellt für viele Saisonarbeitskräfte die Krankenversicherung dar. Ihre Situation habe sich zwar verbessert, seit die Landwirte verpflichtet sind, ihre Saisonarbeitskräfte bei einer privaten Gruppenkrankenversicherung (PGK) anzumelden. Zuvor hätten sie oft ohne Krankenversicherung gearbeitet. Aber auch bei der PGK gab es viele Lücken.
Häufig erhielten die Beschäftigten keine Bescheinigung über die PGK, chronische Krankheiten seien nicht abgedeckt. Einige PGK hätten auch nur geringe Kostensätze übernommen, sodass die Saisonarbeiter einen Großteil ihrer Behandlungskosten selbst tragen müssten.
Die Industriegewerkschaft Bauen, Agrar, Umwelt (IG BAU) in Niedersachsen und Bremen fordert daher eine bessere Absicherung für ausländische Erntehelfer. Saisonarbeiter, die drei Monate oder kürzer in der Region arbeiten, seien immer noch schlechter gestellt als ihre deutschen Kollegen, sagte die Vorsitzende des IG BAU-Bezirks Niedersachsen-Mitte, Stephanie Wlodarski, am Donnerstag in einer Mitteilung. Auch wer nur für eine kurze Zeit aus dem Ausland komme, benötige vom ersten Tag an vollen Krankenversicherungsschutz.
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