Mindset-Coaches: Ihr liebstes Totschlagargument – das Resonanzprinzip

Urs Rathmann
Sehr verärgerte Frau in Großaufnahme

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Schlechte Schwingungen – dein Pech? Wenn Verzweiflung den Markt durchzieht, wird Trost zur Ware. Über den problematischen Gleichschritt des Mitschwingens.

Das Resonanzprinzip in logischen Fettnäpfchen

Auf LinkedIn und in sonstigen Ersatzbildungssystemen ist es mittlerweile gängig, von Resonanz zu sprechen. Und wer hat's erfunden?

Fast ein Schweizer: Hartmut Rosa, Professor für Allgemeine und Theoretische Soziologie in Jena und Direktor des Max-Weber-Kollegs für kultur- und sozialwissenschaftliche Studien der Universität Erfurt, wurde 1965 geboren an der Grenze zur Schweiz.

Das Original

Er hat Politikwissenschaft, Philosophie, Germanistik und Ökonomie studiert, mit einer Arbeit über Charles Taylor promoviert und dann 2019 ein dickes Buch namens "Resonanz. Eine Soziologie der Weltbeziehung" veröffentlicht.

Darin schlug er angesichts allgemeiner geistiger Verarmung zwischen Konsum und Leistung sogenannte resonante Weltbeziehungen. Diese semiphysikalischen Effekte sind auch bekannt unter den Decknamen reiches Innenleben oder schöne Momente. Vorkommen sollen solche in Musik, Natur, Kunst, Arbeit, zwischenmenschlichen Begegnungen und bei Kolumnisten beim Tippen.

Soweit das Original.

Die Alternativversion

Aber verwendet wird zunehmend eine Alternativversion. Die besagt: Resonanz meint, "was Du denkst, das ziehst Du an", außer im Sinne eines Pullovers. Denn wer denkt schon Pullover.

Wer also beispielsweise schon von Kindergartenzeiten an mit wenig Selbstbewusstsein gesegnet meint, er sei sicher nicht leistungsfähig genug für den beruflichen Konkurrenzkampf dieser Tage, so jemand ist nachvollziehbarerweise wahrscheinlicher dem Untergang geweiht als andere mit sicherem Auftreten bei völliger Ahnungslosigkeit.

Zwar sind solche meist introvertierte Psyche-Versehrte nicht selten fachlich kompetenter. Doch das hilft kurzfristig wenig und für Langfristigkeit fehlt oft die Zeit oder genauer gesagt das Geld. In dementsprechend viel vorhandener Verzweiflung auf dem Markt ist Trost gefragt.

Dafür gibt es dann einen speziellen Untermarkt, nämlich das Mindset-Coaching.

Selbstoptimierung und Misere

Spezies dieses Segments beraten viel und gern unter Zuhilfenahme neo-mittelalterlicher Selbstoptimierungstechniken wie allem voran dem Resonanzprinzip. Beispiel: Dass jemand zahlungsunwillige Kunden hat, die ihn mit Klagen überhäufen und in Mails beschimpfen wie Hafenarbeiter mit Tourettesyndrom, daran ist derjenige unter Umständen indirekt selbst schuld.

Denn diese Misere kann bei einer statistisch vermeintlich unwahrscheinlichen Häufung nur daran liegen, dass ein ursächliches Gedankenmuster beim Anbieter vorliegt. Demnach zieht dessen Denken nicht positiv zahlungsfreundliche Menschen an, sondern nur negativen Schwachmaten. Selber schuld.

Zwei Rückschlüsse

Dass Schwachmatismus heutzutage zur Kernkompetenz mancher Geschäftsmodelle zählt, bleibt in dieser Weltanschauung nebensächlich. Solche Business-Trolls werden dieser naiven Resonanzprinzip-Logik zufolge herbeimanifestiert. Das führt zu zwei möglichen Rückschlüssen.

Erstens schreit diese seelische Schieflage nach professionellem Coaching. Zweitens dräut die historische Erkenntnis, dass die Jüdin Anne Frank 1944 wohl etwas grundsätzlich falsch gemacht und für sie sehr suboptimale energetische Schwingungen verbreitet haben muss, so dass sie von der NS gefunden und abgeführt wurde.

Dass Menschen im Leben Pech haben und dann auch noch die Schuld dafür zugeschoben bekommen, macht doppelt Pech. Victim Blaming in brutalesoterisch.

Aber 1944 gab es schließlich noch keine Coaches so wie heute. Das wiederum beweist erst recht den Rückschluss Nummer eins oder exemplifiziert, was für ein überpauschlaisierender Stuss aus einem an sich netten Gedanken werden kann.

Gewaltbereitschaft als Dialog

Denn es ist ja nicht so, dass nicht ein Teil dieser Resonanztheorie Sinn machen würde. Natürlich gibt es selbsterfüllende Prophezeiungen wie zum Beispiel:

Wenn Du beim Autofahren zu mir als Beifahrer herüberschaust, weil ich völlig grundlos behaupte, von Dir im dritten Monat schwanger zu sein, wirst Du einen Auffahrunfall bauen.

Genauso gibt es Spiegelneuronen und nonverbale Signale, die beim Gegenüber zu Reaktionen führen wie zum Beispiel das Aufschlagen mit dem Kopf auf dem Tisch bei einem Bewerbungsgespräch. Auch ist es interessant zu wissen, dass es einmal ein Experiment bei IKEA gab, bei dem im Rahmen einer Anti-Mobbing-Kampagne zwei Pflanzen aufgestellt wurde.

Das Experiment

Von denen wurde eine von Vorbeikommenden gelobt und die andere beschimpft. Danach hätte nur noch eine der beiden verkauft werden könnten und die andere sah aus wie der Grund dafür, warum bei IKEA oft günstig neue Pflanzen nachgekauft werden.

Angeblich gab es ein ähnliches Experiment auch noch in einer japanischen Schule mit einer dritten Pflanze, die ignoriert wurde. Der ging es dann noch schlechter. Leider wurden diese Experimente nicht wissenschaftlich überprüft.

Auch meine eigenen Studien führten nur zu einer flächendeckendem Kompostschicht, obwohl ich mir viel Mühe gegeben hatte. Angeschrien habe ich die beiden Fici. Mit Lob und Liebe zugeschüttet. Aber es war sinnlos.

Sie begingen stillen Selbstmord, trotzdem ich mit mir selber absolut im Reinen bin. Seither nervt mich die Rede vom Resonanzprinzip. Der nächste, der mir gegenübermit dem Resonanzprinzip argumentiert, wird von mir voll eine in die Fresse kriegen – und auf seine Erklärung bin ich dann gespannt.

Notfalls lege ich noch einmal nach, bis ich mich in meinen Bedürfnissen wieder gesehen fühle. In mir resoniert nämlich die Utopie von dialogischer Wahrheitsfindung und zwischenmenschlicher Harmonie.

Das richtige Resonanzprinzip im valschen

Was wollen wir mit einer Vereinfachung des Resonanzprinzips bis zur Hirnblutung?

So wenig und so viel, wie Beten die Wirklichkeit ändert, verbessert dieses Resonanzprinzip-Variante den Umgang mit der Welt.

Die kognitive Dosis macht das Gift. Es ist klug davon auszugehen, dass Dinge gibt, die es gar nicht gibt. Das Gegenteil ist nicht beweisbar. Genau genommen ist das sogar ein ganz alter Hut der Systemtheorie, demnach jedes System einen blinden Fleck hat, an dem es sich nicht selbst beweisen kann.

Beten

Das ist die Hintertüre des Systems für Transzendenzen aller Art. Das aber zu absolutieren, ist ein logischer Fehlschluss. Beispiel: Beten soll und darf, wer will und vielleicht hilft es ja tatsächlich. Aber nicht jeder, dem Schlechtes passiert, ist selbst daran schuld, weil er schlecht gebetet hat.

Die meisten beten noch dazu nämlich gar nicht. Unsere naturwissenschaftliche Welt mag das nicht so, bietet aber außer gesellschaftlich legitimiertem Alkoholabusus wenig Ersatz für erhebende Gefühle.

Das schöne Gefühl der Übereinstimmung mit Werten

Dadurch wird das aus dem schönen Gefühl der Übereinstimmung mit Werten und anderen Welten geborene Resonanzprinzip potentiell zur Steilvorlage für Billigverkäufer vermeintlich sinnstiftender Emotionen ultra.

Mit dem Versprechen eines ganzheitlichen Transformationsprozesses werden derzeit mit hohen Eintrittspreisen weltweit große Veranstaltungshallen gefüllt, wo Menschen im Kollektiv meditieren, um in der angeblichen Verschränkung von Geist und Materie ihre Hirnwellen in einem Quantenfeld unbegrenzter Möglichkeiten zu verändern oder zu synchronisieren.

Keine Ahnung, warum ich dabei an das Wort Resonanzkatastrophe denke. Die definiert den Effekt, wenn eine Gruppe im Gleichschritt über eine Brücke marschiert und die dann mitschwingt bis zum Zusammenbruch.

Der drittmögliche Kompromiss

So ist es mit allen verdächtig schönen Welterklärungen: Oft zu schön, um wahr zu sein. Dummerweise ist das Gegenteil davon zu einseitig, um vollständig zu sein und der drittmögliche Kompromiss ist schwer vermittelbar.

Denn nur gelebte Teilzeitschizophrenie oder extrem gute Laune ermöglichen gleichzeitig sowohl rational zu denken als auch offen zu sein für alles andere. Dann aber ist man sicherlich ein sehr guter Resonanzkörper, und vielleicht stimmt das Ganze dann ja doch.

Manches zieht man an, anderes zieht einem die Schuhe aus. Manchmal denke ich, man sollte einfach nur nicht so viel über das Resonanzprinzip reden, sondern es wortlos fördern durch das, was die Grundhaltung dergestalt Hoffendender ausmacht.

Denn mit dem Prinzip Pflanzen habe ich abgeschlossen, aber mit dem Prinzip Hoffnung nicht.