Mit Björk im Bitstream
MTV spielt mit Formaten zur WWW-gerechten Umsetzung von Video-Clips
Die interaktive Breitbandrevolution mit Filmen, Dokumentar- und Kunstvideos, die per Internet ins Haus geliefert werden, scheint immer gerade um die Ecke zu sein, und das seit geraumer Zeit. Die meisten Heimuser haben jedoch noch immer das Problem mit den Übertragungsraten, um voll in den Genuss netzgerechter interaktiver Digitalfilmformate zu kommen. MTV, der Sender, der das Musikvideo populär gemacht hat, versucht sich jetzt mit sogenannten Webeos oder I-Clips an einem Format, das den Videoclip ins WWW übersetzen soll, bandbreitenschonend aber klickbar. Krystian Woznicki hat sich dem Geflackere pro Sekunde ausgesetzt und berichtet von der Front der vernetzten Heimunterhaltung.
Seit Ende August sind die Online-Plattformen des Musik-Fernsehsenders MTV nun durch interaktive Clips bereichert worden. Was in den USA Webeo genannt wird, heißt in Deutschland i-Clip. "Ein neues Medienformat", wie in begleitenden Erklärungen versprochen wird, sind diese Internetclips nun zumindest in technischer Hinsicht nicht. Gescriptet (programmiert, sollte man das ja nicht unbedingt nennen), sind die Clips in Macromedia Director und Flash, verpackt in Shockwave.
Die interaktiven Online-Clips, die alle unsere Erwartungen erfüllen und hoffentlich übertreffen, scheinen noch im Reagenzglas der Laptop-Virtuosen zu stecken, soviel sei vorausgeschickt. Dass die Webeos und i-Clips von MTV nicht unbedingt an die Videokunst im Experimentiergeist der 60er Jahre anknüpfen, war auch zu erwarten gewesen. Betrachten wir das Experiment mit den Online-Clips also auf seinem eigenen Terrain, aus der besonderen Position, die MTV in der Entertainment-Welt einnimmt.
Die MTV-Ästhetik Ende der 90er hat sich in einem seltsamen Zwischenbereich, bei einer Art esoterischem Futurismus eingependelt: oft nah an den kreativen Schnittstellen unserer Zeit, oft auch ganz dicht bei den eigenen ästhetischen Bedürfnissen, aber auch irgendwie in einem der Realität entrückten Vakuum der einlullenden Schäume und Träume verfangen.
Das amerikanische MTV.com setzt auch bei den Webeos auf populäre Acts wie Busta Rhymes, Björk und Moby. Die deutsche Dependence hingegen veranstaltete vor einigen Wochen einen Wettbewerb, um das Format unter Künstlern und Zuschauern populär zu machen. Interessant daran ist, dass der Musiksender Design- und Gestaltungshochschulen und freie Teams junger Gestalter einbezog. Das kann man einerseits als ein kleines Wagnis sehen, andererseits aber auch als smarten Schachzug, die Möglichkeiten des Formats auszutesten und hippen Content auf den Server zu bekommen.
Studenten zwischen Berlin und Frankfurt haben an interaktiven Clip-Umsetzungen für Acts wie Ian Pooly, Tocotronic und Gonzales gearbeitet. Sie sollten die Interaktivität des Internets mit den audio-visuellen Möglichkeiten eines herkömmlichen (Video)-Clips verbinden. Die Interaktivität beschränkt sich allerdings darauf, Bildelemente und Tonspuren zu- und wegschalten zu können, das Verhältnis zwischen Bild und Ton und die Timeline insgesamt sind nicht beeinflussbar (no scratching, please).
An "I've Seen It All" von Björk hat die allseits gepriesene Video-Regisseurin Floria Sigismondi gearbeitet - und dazu noch ein ganzes Team für die Umsetzung des Videos als Webeo. Für die Online-Fassung wurde sogar eine kürzere Version des Tracks eingespielt, wahrscheinlich um die Downloadzeit in erträglichen Grenzen zu halten und vielleicht auch um der eher begrenzten Aufmerksamkeitsspanne einer monitorisierten "Eyeball-Culture" entgegen zu kommen. Während die Musik mit einer - an MP3 gemessen - eher schwachen Qualität, von Streicherpassagen getragen, vorwärtsschwebt, können User auf bestimmte Bereiche des Screens klicken, um Björks handgeschriebene Lyrics über den Monitor flimmern zu sehen oder um den Sound neu auszurichten und zu verändern.
Die Zukunft liegt zunächst mal in der Vergangenheit
Das verwendete Autorentool hat einen auffälligen Einfluss auf die Bildsprache. Vom Flow und von der Slickness digitaler Fernseh-Produktionen ist nichts geblieben. Eher Collage-artig werden einzelne Frames neben- und übereinandergeschichtet. Björks Körper, der wie zu einer Statue erstarrt ist, wird ins Bild gefahren und nicht mit aufwendigen Special Effects reingebeamt. Bemerkenswert ist, dass das Auge und Blickvorrichtungen als Leitmotiv den Clip durchziehen. Anfangs entströmen Björks Augenhöhlen Kugeln, die wie Glühwürmer den post-kinematographischen Raum in sanftes Licht tauchen. Später bilden ornamentale Lamellen in der Form eines Blendenverschlusses den Rahmen für das Bild.
Dieser Anachronismus lässt an die Anfänge des Films denken und auch daran, dass der Weg nach vorne eher zurück führt - zu Einschränkungen dessen, was mit dem bewegten Bild gemacht werden kann. Da die Webeos letztlich genau wie herkömmliche Musikvideos den Verkauf fördern sollen, werden die animierten Sequenzen durch Informationen über Künstler und Veröffentlichungen ergänzt.
Werfen wir kurz einen Blick auf offzielle Selbstdarstellungen der MTV-Macher. In ihren Augen soll das Format i-Clip im Internet-Zeitalter das sein, was die Musikvideos für das Fernsehen bedeutet haben: eine Revolution, nicht mehr und nicht weniger. In einer Erklärung heißt es:
"Wie MTV in den 80er Jahren dem Videoclip zum Durchbruch verholfen hat, erschließt MTV nun das Internet für ein neues Medienformat, den I-clip."
Ist es im Grunde nicht aber genau umgekehrt? Ähnlich wie andere Unterhaltungskonzerne (z.B. Time Warner und Disney), sucht MTV selbstredend die Möglichkeit, seinen zentralen Content, das Musikvideo, auch via Internet zu verbreiten. Dass man dabei nach internetspezifischen Umsetzungen sucht, ist eine Notwendigkeit. Längst hat sich herumgesprochen, dass Offline-Content-Anbieter wie Tageszeitungen online nur dann auch wirklich von Interesse sind, wenn sie eigens für das Web produzieren. Ist MTV jedoch tatsächlich ein großer Wurf mit der Einführung von Webeos und I-clips gelungen?
Schließlich sind interaktive Clips kein Novum mehr. Mit Formaten wie Quicktime oder dem NetMedia-Player, um nur zwei der bekanntesten zu nennen, tut sich ein riesiges Spielfeld zwischen professionellen und amateurhaften Videoangeboten im Netz auf. Eine weitere kreative Arena bietet sich mit den freien Game-Engines wie z.B. Quake oder Doom an. Über interaktive Clips als Vermarktungsstrategie hat Telepolis erst kürzlich am Beispiel des Vermarktungskanals Pop.com berichtet. Neue Angebote und Formate schießen ständig aus dem Boden. Die auf Streaming-Files und zum Download angebotene Multimedia-Files spezialisierte Suchmaschine StreamSearch, im Februar 1999 ins Leben gerufen, gilt mit ihrer enormen Datenbank nicht zu Unrecht als "Fernbedienung des Internet". Derzeit sind dort allein mehr als zwei Millionen Files verzeichnet - Entertainment, Nachrichten, Sport, Musik, Kino, Lifestyle, bis hin zu sogenannten Web-only-special-events. Die Datenbank wächst wöchentlich um 25,000-50,000 Links und wird in einem Jahr erwartungsgemäß 5 Millionen übersteigen.
Klar, das ist die Angebotsseite. Doch wie sehen die Zugriffszahlen aus? Das Online-Video von Fullerene Productions für den Duran Duran Song "Someone Else Not Me" gilt bereits als Internet-Hit, für nicht mehr als 15,000 Downloads im Juni. Spitzenreiter bei Internetkinos wie Ifilm.com erreichen aber angeblich die 1 Millionen Marke. Da prognostiziert selbst die Tagespresse inzwischen, dass Computernutzer bald mit einer ähnlich großen Häufigkeit nach Videofiles suchen werden, wie bislang nach Musik- und davor nach Textfiles.
Doch bevor Internet-Clips zum neuen Hype nach Napster und MP3 werden, braucht zumindest die MTV-Deutschland-Website noch ein wenig mehr Saft. Wie das Unternehmen auf seiner Website noch kürzlich bekannt gab, lagen die letzten Monatsstatistiken bei ca. 2 Millionen Page Impressions und das ist für einen doch recht populären Sender, der sich gerade freut, endlich Viva überholt zu haben, not very impressive. Ob das nun vom noch nicht so durchschlagenden Erfolg der i-Clips zeugt oder von einem weniger als optimalem Design der Site insgesamt, wird sich mit zukünftigen Zugriffszahlen zeigen.