"Mit Ruanda zu vergleichen"

Der Bürgerkrieg im Sudan eskaliert. Die internationalen Organisationen bleiben wider besseren Wissens untätig

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Alle Warnungen der UN-Vertreter blieben ohne Folgen. Rund einen Monat, bevor die UN-Menschenrechtskommission am Freitag eine mehr als vorsichtig formulierte Erklärung des Kommissionsvorsitzenden zum eskalierenden Bürgerkrieg in Sudan verabschiedete, hatten gleich acht UN-Sonderberichterstatter ihre Sorge über die Zuspitzung in der westsudanesischen Provinz Darfur geäußert. Der oberste UN-Stellvertreter im Land, so hieß es in ihrer Stellungnahme vom 26. März, habe die Lage dort als "den weltweit wahrscheinlich heißesten Krieg" beschrieben. Wenn auch nicht von den Ausmaßen, so seien die bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen Regierungstruppen und den Aufständischen im Süden und Westen des Landes zumindest doch in ihrer Art mit dem Völkermord in Ruanda vor zehn Jahren zu vergleichen. Damals hatten die Vereinten Nationen untätig zugesehen.

Flüchtlinge im Inland. Quelle: UN

Derweil sind bei Kämpfen zwischen der "Sudanesischen Volksbefreiungsbewegung - Armee" (SPLM-A) und Regierungstruppen seit der jüngsten Eskalation vor einem Jahr schätzungsweise 10.000 Menschen - meist Zivilisten - getötet worden. Mitarbeiter mehrerer Hilfsorganisationen berichten von brutalen Übergriffen der arabischen Milizen, der "Dschendschawids". Nach Berichten mehrerer Beobachter sie von Armeeeinheiten Khartums militärisch unterstützt. Die SPLM-A hat sich inzwischen auf Angriffe gegen Ölförderanlagen der Regierung in der Provinz Oberer Nil spezialisiert.

Ein Waffenstillstandsabkommen, das unter Vermittlung des Tschad-Präsidenten Idriss Deby am 11. April in Kraft trat und 45 Tage halten sollte, blieb quasi folgenlos. Gleiches droht für die Verhandlungen, die zwischen den Konfliktparteien am Dienstag begonnen haben. Auch die Menschen vor Ort haben die Zuversicht in eine friedliche Lösung verloren. Knapp 100.000 Menschen sind in den Tschad geflohen. Dort drohen ihnen in Anbetracht von Nahrungsmittelmangel und der bevorstehenden Regenzeit Hunger und Krankheiten.

Verständlich also, dass nicht nur innerhalb der UN eine internationale Intervention im Westen von Sudan diskutiert wird. Dass ein solches Unternehmen von partiellen Interessen gesteuert wäre, liegt auf der Hand. Zwar klingt es inzwischen schon fast wie ein Klischee, aber auch in Sudan sind, zumindest in Bezug auf ein internationales Engagement, die Ölressourcen des Landes ausschlaggebend. Die Ausbeutung dieser Reichtümer nährt seit fast zwanzig Jahren den bewaffneten Konflikt zwischen der arabischen Regierung im Norden und den Aufständischen im Süden. Die Verteilungskämpfe werden zudem von der geografischen Gegebenheit des Landes angeheizt, das nur im südlichen Teil fruchtbaren Ackerboden bietet. Die These, es handele sich um einen religiösen Konflikt zwischen den arabischen Muslimen im Norden und den christlichen Bevölkerungsteilen im Süden grenzt die Ursachen des schwelenden Bürgerkrieges aus. Schon zu Beginn seines Mandates als UN-Sonderberichterstatter für Sudan hatte der deutsche FDP-Politiker Gerhart Baum 2001 das erkannt:

Es gibt eine eindrucksvolle Stellungnahme der Comboni-Missionare, die im Süden des Landes agieren. Sie sagen: Die Religion wird missbraucht in diesem Konflikt, sie ist nicht die Ursache. Ein Problem ist, dass fundamentalistische christliche Gruppen in Amerika einen anderen Eindruck erwecken, mit viel Geld ihre Version des Religionskrieges verbreiten und damit den Frieden nicht fördern.

Interview mit Gerhart Baum im Mitgliedermagazin der Menschenrechtsorganisation amnesty international

Aber auch die US-Regierung versucht von den wirtschaftlichen Grundlagen des Konfliktes abzulenken. Das jüngste Beispiel lieferte der US-Vertreter Richard Williamson bei den Beratungen über die Situation in Sudan am Freitag vor der UN-Menschenrechtskommission in Genf. Williamson bestand auf eine scharfe Verurteilung der Regierung von Präsident Omar al-Bashir in Khartum wegen dessen Verantwortung von "ethnischen Säuberungen".

Wer sich an den Beginn der internationalen "Friedensmission" im Balkan erinnert, ahnt die politischen Ziele bei einer solchen Sprachwahl. So nahm die Kommissionssitzung ein abstruses Ende: Trotz Kritik an Khartum stimmten die EU-Vertreter zusammen mit afrikanischen Vertretern für die "Kompromissresolution" in Form einer Erklärung des Kommissionsvorsitzenden. Eine Verurteilung Khartums wurde damit verhindert. Am Ende hieß es nur noch, es lägen "Berichte von Menschenrechtsverletzungen vor".

Ursprünglich war auch in einem EU-Resolutionsentwurf von "systematischen Angriffen auf Zivilisten" die Rede. Dokumentiert seien "Vergewaltigungen und andere Formen der sexuellen Gewalt als Mittel der Kriegsführung". Auch nach Ende der Sitzung der UN-Menschenrechtskommission mitsamt ihrer weichgespülten Sudan-Erklärung äußern zahlreiche europäische Menschenrechtsbeauftragte ihre Besorgnis über die Lage in dem afrikanischen Staat. Der Vorsitzende des EU-Militärausschusses, Gustav Hegglund, hatte die Möglichkeit eines EU-Einsatzes in Sudan unlängst sogar ausdrücklich bekräftigt.

Weder die EU noch die USA, so scheint es, wollen der Gegenseite aber mit der offiziellen Anerkennung der Katastrophe einen Vorwand für die Entsendung der eigenen Truppen zur Sicherung von Frieden und Öl geben.