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Mit Russland kann es keinen Frieden geben

Nicolas Tenzer

Kein Gesprächspartner? Putin, 2023. Bild: kremlin.ru

Immer wieder ist von einem Verhandlungsfrieden mit Putin die Rede. Unser Autor hält das für falsch. Und er fordert einen radikalen Bruch mit Moskau.

Jüngst sind erneut Gerüchte aufgekommen, nach denen einige westliche Verbündete, allen voran die USA, eine diplomatische Lösung mit Russland im Ukraine-Krieg anstreben.

Wie immer bei indirekten Äußerungen, etwa durch Whistleblower in den Medien, sind diese Aussagen mit Vorsicht zu genießen. Oft geht es einer Seite lediglich darum, die Moral der Gegenseite zu untergraben.

Bestimmte Tendenzen werden jedoch von Diplomaten, mit denen der Autor vertraulich gesprochen hat, bestätigt. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat in seiner Rede vor der UN-Generalversammlung am 19. September offen darauf hingewiesen, als er sagte:

Ich weiß von ... von Versuchen, hinter den Kulissen dubiose Deals zu machen. Aber man kann dem Bösen nicht trauen. Fragen Sie (den ehemaligen "Wagner"-Chef Jewgeni) Prigoschin, wenn Sie auf Putins Versprechen vertrauen wollen.

Die deprimierenden Realitäten sind ohnehin klar: Die militärische Unterstützung für Kiew bleibt weit hinter dem Möglichen und Notwendigen zurück; das katastrophale Kommuniqué des letzten G-20-Gipfels, das von den Sherpas der westlichen Staats- und Regierungschefs abgesegnet wurde, hat es versäumt, Russland zu verurteilen.

Unterdessen wird die angebliche schleppend verlaufende ukrainischen Gegenoffensive kritisiert, obwohl deren Tempo vor allem von der mangelnden Unterstützung des Westens abhängt.

Manchmal wird dieses Friedensgerede von Vorbehalten aufrichtiger Verbündeter der Ukraine unterstützt. Einige Regierungsvertreter erklären, die Zeit für Verhandlungen sei bisher nicht reif und der Kreml wolle sie ohnehin nicht. Indirekt gestehen solche Äußerungen jedoch ein, dass die theoretische Möglichkeit in Betracht gezogen wird.

Die Ukraine hat ihre Position dargelegt, und sie ist beeindruckend klar. Der Zehn-Punkte-Friedensplan von Präsident Selenskyj ist perfekt, denn er kann nur umgesetzt werden, wenn Russland vollständig besiegt ist.

Der ukrainische Plan ist kein Verhandlungsplan, denn die ukrainische Führung hat zu Recht deutlich gemacht, dass sie mit dem russischen Regime nicht reden kann, solange Putin an der Macht ist.

Diese Haltung müssen auch die westlichen Staats- und Regierungschefs einnehmen. Mit Russland kann es keinen Frieden geben, so wie es 1945 keinen Frieden mit Nazi-Deutschland und dem kaiserlichen Japan geben konnte. Das müssen sie auch sagen, wenn sie nicht dem Kreml sein teuflisches Werk erleichtern wollen, zu dem auch ein falscher Friedensdiskurs gehört.

Erstens kann es keine Pax Russica geben. Das wäre eine Kapitulation vor der selbst ernannten Friedenslobby, einer uneinheitlichen Gruppe, die nie genau festlegt, wie viele ukrainische Zugeständnisse möglich und akzeptabel wären.

Jeder Schritt in diese Richtung würde sowohl gegen das Völkerrecht als auch gegen die Verpflichtungen verstoßen, die die Alliierten seit Beginn des totalen Krieges am 24. Februar 2022 eingegangen sind.

Jedes noch so begrenzte territoriale Zugeständnis wäre ein halber Sieg für das russische Regime und würde die gewaltsame Verletzung des Völkerrechts billigen. Es würde die einhelligen westlichen Erklärungen zum Prinzip der territorialen Integrität der Ukraine ins Lächerliche ziehen.

Die Verbündeten können auch nicht über eine Amnestie für die russische Führung für ihre Verbrechen der Aggression, des Völkermordes, der Verbrechen gegen die Menschlichkeit und des Krieges verhandeln, denn es sind diese vier Verbrechen, deren sie sich schuldig gemacht hat. Das Völkerrecht ist nicht verhandelbar.

Wir können auch nicht über die Rückkehr der deportierten ukrainischen Kinder verhandeln, was nach der Konvention von 1948 den Tatbestand des Völkermordes erfüllt, und wir können auch nicht erwarten, dass westliche Staats- und Regierungschefs ihren Bürgern erklären, dass sie Russland nicht für die massiven Zerstörungen zur Kasse bitten, die es verursacht hat, sondern sich stattdessen an ihre eigenen Steuerzahler wenden.

Zweitens würde jedes territoriale Zugeständnis Russlands brutale und blutige Besatzung mit Folter, Massenhinrichtungen und Kindesentführungen billigen. Dies ist in den rund 17 Prozent der Ukraine, die Russland hält, einschließlich der seit 2014 beschlagnahmten Gebiete, ausführlich dokumentiert.

Nicht weniger als eine radikale Niederlage nötig

Schließlich wäre jede Form eines Verhandlungsfriedens ein Vorbote künftiger Kriege. Moskau könnte seine Streitkräfte neu ordnen und seinem Volk einen Erfolg verkaufen, selbst wenn die Eroberungen geringer ausfallen würden als erwartet oder die Situation vor dem 24. Februar 2022 wiederhergestellt würde.

Noch einmal: Alles, was für Putin weniger als eine radikale Niederlage bedeutet, wäre ein großer Gewinn.

Die Folgen eines solchen Abkommens außerhalb Europas liegen auf der Hand. Es würde nicht nur das denkbar schlechteste Signal an China senden, sondern auch für Unruhe unter unseren asiatischen Verbündeten sorgen.

Für unsichere Nationen oder solche, die sich an einem Wendepunkt befinden, wie viele Entwicklungsländer, wäre es kein Anreiz, sich vom Kreml abzuwenden. Sie könnten sich einreden, dass Russland zwar sichtbar schwächer, aber immer noch in der Lage ist, ideologische Schlachten zu gewinnen, während der Westen durch seine doktrinäre Wankelmütigkeit auffällt.

Für diese Staaten ist die einzige Ideologie die Macht. Und wenn sie über die zukünftige Macht der Nationen nachdenken, ist es alles andere als sicher, dass sie auf die USA und ihre Verbündeten setzen.

Schließlich würde jede Form der Einigung (in Worten oder Taten) unweigerlich ein Ende der Entschlossenheit erfordern, die Mörder, Vergewaltiger und Folterer Russlands vor Gericht zu stellen. Diese Verbrechen sind in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg beispiellos und übertreffen sogar die Schrecken der jugoslawischen Nachfolgekriege der 1990er-Jahre.

Damit würde ein Präzedenzfall geschaffen, dass Verbrechen gegen die Zivilbevölkerung, die einem nationalen Vernichtungskrieg gleichkommen, von zwei Parteien einfach wegverhandelt werden können. Das wäre ein gewaltiger Sieg für Putin und andere Möchtegern-Kriegsverbrecher. Es würde die Errungenschaften von Nürnberg zunichtemachen.

Die westlichen Staats- und Regierungschefs haben es zwei Jahre lang versäumt, zu begreifen, was vor sich ging und was auf dem Spiel stand, weil sie die Augen vor dem Verbrechen verschlossen haben. Mit dieser Akzeptanz beginnt die Putinisierung der Köpfe.

Sie schrecken zurück, denn wenn das Ausmaß von Putins Verbrechen verstanden wird, folgt daraus, dass Putins Russland verschwinden muss. Mit anderen Worten: Es kann nicht Teil irgendeines Sicherheitsabkommens oder einer Sicherheitsarchitektur sein. Es muss aus allen Gebieten vertrieben werden, in denen es noch Einfluss hat, auch über die Ukraine hinaus.

Während einige demokratische Führer immer noch in Kategorien der Stabilität denken, indem sie sich auf Moskau berufen und deshalb ein schwarzes Loch in der Mitte Europas befürchten, müssen wir erneut erklären, dass Putin nicht die "am wenigsten schlimme" Lösung ist, sondern die schlimmste.

Selbst wenn Russland auseinanderbrechen würde – eine unwahrscheinliche Hypothese übrigens –, böte es mehr Sicherheit als das heutige, randalierende Russland.

Denn genau das ist das Problem: Diejenigen, die von einer Verständigung mit Putin sprechen, die glauben, dass Russland "zu groß ist, um zu fallen", die vor allem eine "Konfrontation zwischen der Nato und Russland" fürchten und die glauben, dass alles in Verhandlungen enden wird (eine historische Unwahrheit übrigens), stehen im Bann des russischen Narrativs, so gut es auch erforscht sein mag.

Es ist an der Zeit, dass sie lernen, mit ihrem eigenen Verstand zu denken und nicht mit dem des Feindes.

Nicolas Tenzer ist Senior Fellow am Center for European Policy Analysis (Cepa) und Vorsitzender des Center for Studies and Research on Political Decision (Cerap). Derzeit ist er Gastprofessor an der Paris School of International Affairs (Psia, Sciences-Po) und Blogger bei Tenzer Strategics, einem Blog über internationale Sicherheit und Außenpolitik. Er ist ehemaliger Direktor des Online-Magazins Desk Russia. Sein Kommentar erschien auf Englisch zuerst auf der Seite des US-Thinktanks Cepa, das sich, wie Telepolis, die Meinung des Autos nicht zu eigen macht.


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