Mit den Spermien stirbt nicht nur der Mann

Die durchschnittliche Spermienzahl je Milliliter Samenflüssigkeit sinkt - aber was bedeutet das?

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"Und. Wie viele habe ich?"
"Wissen Sie was: Sie möchten das gar nicht wissen."
"Und warum nicht?"
"Weil Sie das unnötig verunsichern würde. Wir wissen nämlich weder, warum es so ist, noch wissen wir, was es bedeutet."

"Es" - das ist der Rückgang der Spermienzahl in der männlichen Samenflüssigkeit. Der Urologe in der Londoner Privatpraxis, mit dem obenstehender Dialog stattfand, ist mit seinem sokratischen Nichtwissen bereits der Gruppe der besser Informierten zuzurechnen. Da wir aber die Spermienzahl römischer Legionäre, von Rittern der Artusrunde und kaiserlichen Offizieren nie kennen werden, geht es uns mit den Spermien wie mit dem Klima: Die Werte einer durchschnittlichen Messgröße verändern sich. Wir wissen aber nicht, wie die Werte zu Zeiten waren, in denen wir nicht messen konnten. Deshalb fällt es uns schwer, Gründe für den Rückgang oder Zuwachs zu finden.

Die durchschnittliche Spermienzahl je Milliliter Samenflüssigkeit sinkt; der CO2-Gehalt der Atmosphäre steigt. Könnte dies ein Hinweis auf eine umgekehrte Korrelation sein? Über solche Scherze können Klimaschützer und Männer mit Angst vor Unfruchtbarkeit nicht lachen.

In Deutschland gehen seit Jahrzehnten folgende Messgrößen gemeinsam zurück: tödliche Autounfälle, Drogentote, Geburten, Einbruchdiebstähle, Raubüberfälle, Autodiebstähle, verkaufte überregionale Tageszeitungen, Fernseheinschaltquoten, durch Waldsterben geschädigte Bäume, Bauernhöfe, Hauptschulabschlüsse, ehemalige Angehörige der Waffen-SS, deutsch-französische Ehen, Besucher staatlicher Spielbanken, Bierverbrauch, Wohnungsneubauten, Zahl der Raucher, US-Soldaten, Katholiken und Kleingärten.

Diese Parallelbewegung bietet Anlass für allerlei plausible Korrelationen. Würden die Geburten durch mehr weibliche Hauptschulabschlüsse befördert? Tatsächlich sinkt die Geburtenrate, je höher die Bildung der Frau ausfällt. Umgekehrt proportional eben.

Ziehen Sie einen Korrelationsfaktor in der Lotterie der Wechselbeziehungen.

Zur sinkenden Spermienzahl fehlt allerdings bisher der dazu passende Korrelationsfaktor. Diese Aussage berücksichtigt bereits, dass es durchaus Studien gibt. So, wie international zur Länge des männlichen Gliedes gerne vergleichende Messungen publiziert werden, bietet sich auch die Spermienzahl je Milliliter als komperativer Aufreger an.

Dieser Messansatz erscheint zunächst sehr attraktiv, denn theoretisch könnten Männer, deren Schwanzlänge eher unterdurchschnittlich, deren Kontostand eher im Minus ist, stattdessen mit hoher Spermiendichte punkten. In besamungsbedürftigen Surroundings ließen sich so Paradigmenwechsel anstoßen, die nicht ohne Auswirkung auf das Sexual- und Familienleben blieben. Die bewährten Kriterien der Zuchtwahl würden auf den Kopf gestellt werden.

Aus weiblicher Sicht In jeder Hinsicht zuchtwürdig, aber bisher ohne Nachwuchs: George ClooneyBild: Georges Biard/CC-BY-SA-3.0

George Clooney etwa kann durchaus als ein Exemplar der Gattung Mann bezeichnet werden, der in den Augen und weiteren Erkenntnisorganen einer großen, nein, einer überwältigenden Mehrheit von Frauen alle wesentlichen zuchtwürdigen Eigenschaften zu besitzen scheint. Allein, Mega-Beau Clooney ist bis heute kinderlos geblieben, während Hollywoodzwerge wie Dustin Hoffmann (sechs) und Danny DeVito (drei) die durchschnittliche Kinderzahl ihrer ohnehin bereits fruchtbaren Heimat deutlich übertreffen konnten.

Was verraten Spermienzahl und –dichte über die (Un)Fruchtbarkeit?

Auf jeden Fall gelten Spermienzahl und -dichte als ein Indikator bei der Erklärung männlicher – und damit immer auch weiblicher Unfruchtbarkeit. Es gibt wenige Diagnosen, die das Selbstbewusstsein eines Mannes ohne Erektionsstörungen nachhaltiger zerstören können. Für ein junges Paar, das sich vornimmt, dereinst, nach Karriere und Selbstverwirklichung, das Projekt "Familie" in Angriff zu nehmen, könnte die zu niedrige Spermienzahl das Ende bedeuten: Zu wissen, dass man nie selbst Nachkommen zeugen kann, raubt ein Potential, eine Hoffnung, eine Möglichkeit, ohne die auch die Sexualität einen noch zu definierenden Teil ihrer göttlichen Magie verliert.

Dieses Potential ist das letzte Exklusivum der Heterosexualität, ohne das alle Grundwerte der Zivilisation, insofern sie auf der Fortsetzung und Weitergabe von Generationen beruhen, in Frage gestellt werden.

Sinkt die Spermienzahl weiter, so bedeutet dies das Ende der Gattung Mensch, weshalb auch die Freunde und Freundinnen gleichgeschlechtlicher Gymnastik diesem Schicksal Beachtung schenken sollten.

"Der Mensch wuchert. Der Mensch ist der Krebs der Erde." Dieser Satz des aus Rumänien stammenden französischen Existentialisten Emile Cioran gilt als eine Grundwahrheit der Misanthropie. Eine allgemein und länderübergreifend sinkende Spermienzahl könnte die in der Ökologie versteckte Misanthropie der Naturwidrigkeit des Menschen biologisch beweisen. Der Mensch schafft sich sozusagen an der Quelle seines Lebens ab, bevor er im Eistock zur Welt kommen kann. Eine rätselhafte Auto-Eugenik, die an die Pest im Mittelalter erinnert.

Die Studien zum Spermienrückgang fallen vor allem durch ihre geringe epidemiologische Basis auf. So veröffentlichte etwa das Berliner Ärzteblatt im Februar 2013 die Ergebnisse einer Studie an 189 jungen Männern im Alter von 18-22 Jahren. Die Forscher glaubten, dort eine Korrelation zum Fernsehkonsum feststellen zu können. Die Spermiendichte der sportlicheren Kerle sei um 73 Prozent höher als die der Coach Potatoes. Vielleicht hatten sie aber auch nur mehr Erfolg beim anderen Geschlecht? Und damit einen Anlass für qualitativ erhöhte Samenproduktion?

Allerdings versichern Fachleute, dass die Spermiendichte noch nichts über die Zeugungsfähigkeit aussage. Inzwischen ist die größte und spektakulärste Veröffentlichung zum "sperm counts dropping" 21 Jahre alt. Bei 5.000 in der Kabine gecasteten dänischen Rekruten etwa konnte 2011 kein Rückgang vermeldet werden. Ironisches Fazit der dänischen Samentruther: "The saga continues." Eine der letzten Veröffentlichungen datiert aus dem Jahre 2012 und moniert, dass keine Samen aus Entwicklungsländern zur vergleichenden Begutachtung vorlägen.

Bringen wir also unsere aus möglicherweise ganz anderen Gründen niedrige Geburtenrate selbstquälerisch völlig zu Unrecht mit zurückgehender Samenqualität in Verbindung? Eines ist sicher: Die Fruchtbarkeit unserer Samen wird in der Praxis zu selten im Feldversuch getestet. Das Primat der Verhütung, der Trend zur Selbstbefriedigung, das Lob der Distanz – das sind die Elemente, die die außerklinischen Fruchtbarkeitstests an Samen, sozusagen den ambulanten Feldversuch, zur immer selteneren Ausnahme machen.

Der Londoner Urologe hatte deshalb völlig Recht, seinen Patienten nicht durch sinnlose medizinische Informationen vom kostenlosen Fruchtbarkeitstest, etwa in Londoner Besenkammern, abzuhalten.