Möglichkeiten künstlicher Intelligenz: Ein Golem spricht

Science-Fiction-Autor Stanisław Lem hätte an der aktuellen Debatte seine Freude. Sie erinnert auch an einen religiösen Mythos. Was bedeutet KI für unseren Stellenwert in Zukunft?

Die aktuelle Diskussion zu den Möglichkeiten künstlicher Intelligenz könnte aus dem religiös-mystischen Raum eine etwas andere Quelle gewinnen. Sie läuft sich aber seit Monaten in den Talkshows und auf den Seiten der Zeitungen heiß. Es fallen Begriffe wie "Genie", "Kreativität", "Mustererkennung", "Nachahmung", "fantastische Stimulation", "stochastischer Papagei" und "Originalität".

Alles Vokabeln, die dem polnischen Science-Fiction-Autor Stanisław Lem sicher gefallen hätten. Die Turbulenz, die die neue wissenschaftliche Forschung und technologischen Entwicklungen begleitet, hat er unter anderem in seinem Werk "Der Futurologische Kongress" geschildert.

Ja, die angesprochene mystische Figur Golem wurde selbst in einem Roman des polnischen Wissenschafts- und Kulturphilosophen verewigt: "Also sprach Golem", wobei Golem für einen Supercomputer steht.

Und als wären es der Zufälle noch nicht genug, hat das Weizmann-Institut in Rechovot (Israel) im Jahr 1965 auf Anraten des Religionshistorikers Gershom Scholem, der viel zu jüdischer Mystik forschte und schrieb, zudem mit Walter Benjamin bekannt war, ihren Großrechner Golem I getauft. Der Entwickler Chaim L. Pekeris willigte unter der Bedingung ein, dass Scholem die Einweihungsrede hielt.

Aber wer oder was ist der Golem?

Der Mythos des künstlichen Menschen

Tatsächlich können Bedingungen, unter denen sich Leben entwickelt, manipuliert und spezifisch menschliche Fähigkeiten wie logisches Denken und gezieltes Handeln auf technischem Wege simuliert werden. So beginnt sich die fiktive Geschichte des Naturwissenschaftlers Victor Frankenstein und seiner Kreatur in unserer Erfahrungswelt zu realisieren, und wie sie sich mit Hilfe von Erkenntnissen, Entdeckungen und Unternehmungen auf den Gebieten der Reproduktionsmedizin und Biogenetik, der Informatik und Telekommunikation allmählich im heutigen gesellschaftlichen Alltag manifestiert.

Drux 1999: 7-8

Die Vorstellung, nicht nur den Menschen in seinem Erfindungsreichtum zu ersetzen, sondern zu übertrumpfen, durchzieht die Literatur. Dabei vor allem die fantastische Literatur, besonders auch die Science-Fiction, die sich infolge der europäischen Romantik immer auch den Schattenseiten von Erkenntnis und Neugierde widmet.

Die fantastische Literatur lebt von der Ambivalenz und wenn Maschinen zu Entitäten mit Bewusstsein und eigener Willensbildung werden, dann haben wir eine perfekte ambivalente Ausgangslage.

Dabei ist die britische Autorin Mary Shelley mit ihrem Frankenstein-Roman ein besonders prominentes, weil auch gelungenes Beispiel von frühem naturwissenschaftlichen Problem-Text. Die Problematik war und ist bislang die folgende:

Ein Naturwissenschaftler namens Victor Frankenstein möchte etwas schaffen, was zuvor als unmöglich gegolten hat. Er möchte die Geheimnisse des Lebens erforschen und zeitgemäß – Anfang des 19. Jahrhunderts – macht er dabei vor den Grenzen der Naturwissenschaften nicht Halt.

Vom dreizehnten bis zum fünfzehnten Lebensjahr studiert er die mittelalterlichen Naturphilosophen Cornelius Agrippa, Paracelsus, Albertus Magnus, beschwört nach ihren Angaben Geister und Teufel und sucht nach dem Stein der Weisen und dem Elixier des Lebens.

Liebertz-Grün 1999: 50

Diese Nähe der Wissenschaft zur Naturphilosophie, wie sie damals noch genannt wurde beziehungsweise zur Alchemie, ermöglicht auch die Verzahnung von wissenschaftlichem Fortschritt mit magischem Assoziationsreichtum. Frankenstein setzt sich über die ethischen Grenzen des Machbaren hinweg, gerade weil er machen möchte, also: zum Ziel kommen, ein Geschöpf zu kreieren.

Er wischt Bedenken weg und setzt die Wissenschaft notfalls auch mit Gewalt durch. Mary Shelleys Roman funktioniert hierbei auf verschiedenen Ebenen: Der psychoanalytisch verstehbare Drang, ohne Frau gebären zu können, spielt in diesem Größenwahn eine bedeutende Rolle.

Der Mythos vom künstlichen Menschen wird häufig ohne Einbeziehung oder durch Ausgrenzung von Frauen entworfen. Auch in der Erschaffung eines Golems, eines Dieners in der jüdischen Kabbalistik, kommen keine Frauen vor.

Der Golem entsteht aus Lehm, und wird durch einen Zettel mit hebräischer Schrift und dem Wort ameth, das für Wahrheit steht, belebt. Wird der Golem nicht genau instruiert, wofür er auf diese Welt kommt, gerät er leicht in Rage und wirkt zerstörerisch, auch gegen die Angehörigen seines Herrn. Jener ist meist ein Rabbiner, weil er über die Reinheit und das Wissen verfügt, ein solches Wesen zu schaffen.

Aus Lehm geformt, wird er durch die Kraft des göttlichen Wortes belebt. Nach einer eher trivialen Fassung der Legende schuftet er schwer für den Schriftgelehrten bzw. Rabbiner, der ihn geschaffen hat und wieder in Staub zerfallen lassen kann, indem er die belebenden Buchstaben auf seiner Stirn verändert: "ameth" (= Wahrheit) wird durch Abwischen des ersten zu "meth" (= Tod). Dass er dabei unter den gewaltigen Lehmmassen des zusammenstürzenden Golems begraben wird, das stellt eine der ursprünglichen Sage hinzugefügte Variante des mythologischen Elementes von der Bestrafung dessen dar, der Gottes eherne Gebote mißachtet.

Drux 1999: 41

Staub ist Gift für jede Platine, verunreinigt die Fläche, auf der Informationsprozesse ablaufen. Aber der bereits erwähnte Autor Lem führt diesen staubigen Ursprung der Schöpfung eines künstlichen Wesens in den Digitalsektor.

GOLEM XIV ist eine äußerst intelligente Computer-Maschine des 21. Jahrhunderts, dem die Probleme seiner menschlichen Schöpfer zu banal geworden sind. Kurz vor seinem Eintritt in eine "Zone der Ruhe" hat er Vorlesungen über die Stellung des Menschen im Kosmos gehalten.

Klappentext, suhrkamp-Ausgabe von 1986

Die Golem-Figur erscheint in vielen Formen und Gestalten. Längst hat sie den rein jüdischen Kontext verlassen.