"Moralisch verwerflich, aber nicht strafbar"
Bei eBay wurde ein "Original Juden Stern" aus der Nazizeit versteigert
Wie jedes Jahr vor Weihnachten, herrscht auch diesmal ein munteres Treiben in Deutschlands populärstem Online-Auktionshaus. Zu munter für die Honestly-Concerned-Mailingliste, eine mittlerweile vielbeachtete Einrichtung, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, auf Antisemitismus in Gesellschaft und Berichterstattung aufmerksam zu machen. In der Liste schildert eine Teilnehmerin, wie sie versuchte, eine eBay-Auktion zu stoppen, in der ein 'Original Juden Stern' feilgeboten wurde. Ohne Erfolg: die Auktion endete gestern Mittag, kurz nach zwölf.
Laut Artikelbeschreibung handelte es sich bei diesem Angebot um ein "100% Original! In dieser Ausführung verausgabt ab November 1944 im Generalgouvernement." Auf dem Bild war der Stern zu sehen, nebst Schwarz-Weiß-Portrait einer alten Frau mit Kopftuch und Stern am Revers. Ein großes Bild, im Gegensatz dazu ist der Text denkbar knapp. Außer der bereits zitierten Passage heißt es lediglich: "Für unversicherte Ware übernehme ich keine Haftung!" und gleich darunter "Öfter Reinschauen lohnt sich! Stelle jeden Tag neue Karten ein!" Karten? Tatsächlich, ein Blick ins aktuelle Angebot des Verkäufers beweist, dass fantasy19 hauptsächlich mit alten Ansichtskarten handelt. Ein weites Feld, wie jeder weiß, der schon mal einen Blick gewagt hat in die unendlichen Weiten des Postkartenuniversums. Da ist vom Schwarzwaldmädel über Konstantinopel bis hin zum Boxeraufstand alles drin. Weil früher gerne Original-Aufnahmen verwendet wurden, sind Ansichtskarten für Historiker wertvolle Quellen. Auch Zeichnungen können Zeugnis ablegen von vergangenen Zeiten - man denke nur an die Ausstellung Abgestempelt - judenfeindliche Postkarten, die aktuell im Berliner Museum für Kommunikation zu sehen ist.
Als die Teilnehmerin der Honestly-Concerned-Mailingliste von der Auktion erfuhr, kontaktierte sie umgehend den Verfassungsschutz in Berlin - und bekam von einem freundlichen Herrn mitgeteilt, dass die Auktion zwar "moralisch verwerflich", nicht jedoch strafbar sei. Weil der Davidstern - im Gegensatz zum Hakenkreuz etwa - kein verbotenes Symbol sei. "Da ich aber dennoch der Meinung bin, dass der Verkauf des "Judensterns" nicht nur moralisch verwerflich, sondern schlicht und einfach widerwaertig ist, habe ich sofort noch ebay angerufen." Schließlich hat sich eBay selbst ein paar Regeln im Hinblick auf Artikel mit Bezügen zum Nationalsozialismus auferlegt.
Ziel von eBay Deutschland ist es, zu verhindern, dass Symbole des Nationalsozialismus bzw. Artikel mit Bezug zum Nationalsozialismus durch kommerzielle Verwertung Eingang in die Alltagskultur finden.
Dazu gehören für eBay nicht zuletzt "sämtliche Artikel mit Bezug zum Völkermord an der jüdischen Bevölkerung, insbesondere Artikel zu Auschwitz und anderen Konzentrationslagern". Klare Sache: der von fantasy19 angebotene 'Original Juden Stern' zählt zu den 'fragwürdigen Artikeln' (siehe den Titel der eBay-Seite ganz oben im Browser); dienten die Stoffsterne doch der Markierung, Stigmatisierung und damit letztlich als Grundlage für die Tötung zahlreicher Juden. Seitens eBay verspricht man, sich die Auktion mal näher anzusehen - kann jedoch "nicht hundertprozentig versichern, dass der 'Judenstern' aus dem Sortiment genommen wird".
Geschehen ist nichts. Die Auktion ging gestern Mittag zu Ende. Für 66 Euro bekam airamave7 den Zuschlag. eBay-Pressesprecher Joachim Guentert erklärte gegenüber Telepolis, weshalb eBay die Auktion nicht vorzeitig gestoppt hat: weil der Davidstern kein verbotenes Symbol ist. Im Gegenteil: man findet es sogar auf der israelischen Flagge. Das Problem von Symbolen sei ja nicht das Symbol an sich, sondern vielmehr die Tatsache, dass sie vom Betrachter angereichert werden mit Bedeutung. Und nur weil der Davidstern im Dritten Reich missbraucht worden sei, ergebe sich daraus für eBay "keine konkrete Lösch-Richtlinie". Auf die Diskussion, ob man es in diesem Fall nicht mit einer ganz speziellen Verwendung des Symbols zu tun habe, möchte Guentert sich nicht einlassen. "Sonst wird uns immer der Vorwurf der Zensur gemacht, hätten wir diesen Artikel gelöscht, hätte sich womöglich jemand aus der jüdischen Gemeinde darüber beschweren können, dass da etwas unterdrückt wird," so Guentert. Man habe sich die Entscheidung nicht leicht gemacht - sei am Ende aber davon überzeugt gewesen, dass in diesem Fall keine Regeln verletzt werden.
Ich aber bin erschuettert, wie man versucht, auch heute noch mit Relikten aus der Nazi-Zeit Geld zu machen
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Zum Schluss noch ein kleiner Exkurs in die Historie der beiden Handelspartner:
Der Käufer - das ergibt ein Besuch im Bewertungsprofil von airamave7 - hatte schon in der Vergangenheit mit fantasy19 zu tun. Bei eBay nichts Ungewöhnliches: Man handelt miteinander, ist zufrieden, und trifft sich wieder. Zumal, wenn der eine mit großer Regelmäßigkeit das anbietet, was der andere sucht. Historische Aufnahmen und Postkarten zum Beispiel. Darauf hat sich fantasy19 ganz offensichtlich spezialisiert. Und airamave7 scheint eine Passion für Original-Bildmaterial aus vergangenen Zeiten zu pflegen: Postkarten von Synagogen, Juden und Fotos vom Boxeraufstand um 1900 konnte airamave7 bereits ergattern. Letztere für stolze 372 Euro bei fantasy19.
Auf den ersten Blick aus der Reihe fallen nur die Postkarten von Brigitte Bardot - doch siehe da: die Abbildung zeigt nicht etwa die französische femme fatale, sondern vielmehr jede Menge Braunhemden mit Hakenkreuzen am Ärmel. Das Mismatch könnte seinen Grund darin haben, dass der Verkäufer - post-woman - nicht den eBay-Bilderservice benutzt, sondern die Bilder zur Auktion auf einer Website seiner Wahl ablegt; gut möglich, dass er aus organisatorischen Gründen immer wieder dieselben Namen verwendet für ständig wechselnde Bilder - die Brigitte-Bardot-Foto-Auktion ging bereits Anfang Oktober zu Ende.
Richtig bizarr wird die Bardot-HJ-Allianz jedoch, wenn man sich die URL zum Bild ansieht (dazu muss man einfach nur den Quelltext der Seite nach 'jpg' durchsuchen). Denn das Bild liegt doch tatsächlich auf derselben Website, die auch von fantasy19 zur Bildablage benutzt wird. Wenn das kein Zufall ist. Sogar die Artikelbeschreibung von post-woman deckt sich mit den Auktionstexten von fantasy19. Zugegeben: es ist durchaus nicht verboten und deshalb auch nicht unüblich, dass ein und dieselbe Person mehrere eBay-Accounts hat. Oder dass sich ein Ehepaar zwei eBay-Accounts zulegt und die jeweiligen Bilder auf ein und derselben Website deponiert. Trotzdem merkwürdig.