Morde im Namen der Ehre oder "Das sind keine Äpfel, das ist Obst"

Gedenkstein für die 2005 ermordete Hatun Sürücü in Berlin. Der Fall hatte damals bundesweit für Entsetzen gesorgt. Bild: LezFraniak, CC BY-SA 3.0

Es mag Gründe geben, den Begriff "Ehrenmord" in Anführungszeichen zu setzen. Den rückständigen Ehrbegriff als Mordmotiv zu leugnen, ist trotzdem falsch

Weil zwei Brüder sich dafür zuständig fühlten, über den Lebensstil ihrer Schwester zu wachen, die sich ihren Moralvorstellungen einfach nicht fügen wollte, ist sie jetzt tot. Maryam H. war 34 Jahre alt, geschieden und lebte in einer neuen Beziehung. Nach Erkenntnissen der Berliner Staatsanwaltschaft haben ihre Brüder sie am 13. Juli getötet und dann in einem Rollkoffer über einen Berliner Fernbahnhof nach Bayern transportiert, um sie in einem Waldstück zu vergraben. Maryam H. war Mutter von zwei Kindern. Ihre Familie stammte aus Afghanistan - und nicht zuletzt deshalb ist eine Debatte darüber entbrannt, ob die Vorstellungen ihrer Brüder von "Familienehre" im Zusammenhang mit dem Mord öffentlich benannt werden sollen.

Denn darum geht es eigentlich, wenn Berlins Sozialsenatorin Elke Breitenbach (Die Linke) für folgende Aussage gegenüber dem Tagesspiegel kritisiert wird:

In Deutschland wird jeden dritten Tag eine Frau von ihrem Partner oder Ex-Partner getötet. Das ist kein Ehrenmord, das ist Femizid.

(Elke Breitenbach)

Wer sich mehr als nur oberflächlich mit Femiziden befasst hat, weiß, dass diese Aussage in etwa so zutreffend ist wie: "Das sind keine Äpfel, das ist Obst." Denn der Obergriff "Femizid" schließt Morde im Namen der "Familienehre" aufgrund patriarchaler Moralvorstellungen ein - und im Mordfall Maryam H. ist nicht der Partner oder Ex-Partner dringend tatverdächtig, sondern es sind die Brüder.

Ansprüche und Erwartungshaltungen

Femizide sind allgemein Morde an Frauen und Mädchen aufgrund ihres Geschlechts und der damit verbundenen Ansprüche und Erwartungshaltungen von Männern. Das kann sexuelle Verfügbarkeit sein, aber auch Keuschheit oder Treue in einer arrangierten Ehe. Wenn der Täter nicht der Ehemann oder Partner ist, sondern ein blutsverwandter selbsternannter Moralwächter - oder auch zwei davon - liegt das Motiv in einem pervertierten Ehrbegriff. Deshalb mag es gute Gründe geben, den Begriff "Ehrenmord" in Anführungszeichen zu setzen. Dafür hatten sich die Staatsanwaltschaft und das Landeskriminalamt Berlin in einer Pressemitteilung vom 6. August entschieden. Keine guten Gründe gibt es dafür, Motive wie dieses pauschal zu leugnen oder sie durch Verwendung von Oberbegriffen unsichtbar zu machen.

Die Bezeichnung des Mordes an Maryam H. als Femizid ist zwar nicht falsch, aber ungenau. Breitenbach nahm diese Ungenauigkeit aus Angst vor einer rassistischen Instrumentalisierung in Kauf. Sie habe "leider keine Idee, wie man Männer besser integrieren kann", erläuterte sie und fügte hinzu:

Es geht nicht um die Herkunft und die Nationalität der Täter, es geht um die Frage des Geschlechts.

(Elke Breitenbach)

Gegen diese Ungenauigkeit sprechen sich anderem die Journalistin Düzen Tekkal, der Psychologe Ahmad Mansour und die Berliner Bürgermeisterkandidatin Franziska Giffey (SPD) aus. Die Anwältin, Publizistin und Frauenrechtlerin Seyran Ates begründete im Magazin Cicero, warum ihrer Meinung nach der Begriff "Ehrenmord" in diesem Fall richtig ist:

Wer den kulturellen oder religiösen Hintergrund einer solchen Tat ausblendet, schützt die Täter, aber nicht die Opfer. Gerade sie aber haben unseren Schutz nötig. Und Prävention kann nur funktionieren, wenn wir präzise sind.

(Seyran Ates)

Um die bloße Herkunft und Nationalität der Täter geht es der Gründerin der liberalen Ibn-Rushd-Goethe-Moschee dabei nicht - sehr wohl aber um deren Welt- und Frauenbild.

Keine Prävention ohne Kenntnis der Denkweise

Das ist logisch, denn wer Präventionsarbeit leisten will, muss dafür einen Ansatzpunkt finden, die Denkweisen der Täter analysieren und herausfinden, in welchen Milieus diese Denkweisen verbreitet sind. In einer Hippie-Kommune oder auf einem Techno-Festival Flyer zu verteilen, die darüber aufklären, dass arrangierte Ehen keine gute Idee sind, wäre sinnlos. Auch wenn das nicht heißt, dass Frauen und Mädchen dort hundertprozentig sicher vor Übergriffen sind und in der Technoszene nicht über andere Dinge - wie zum Beispiel die Wirkung synthetischer Drogen oder das "Nein heißt nein"-Prinzip - aufgeklärt werden müsste.

Es heißt auch nicht, dass keiner der lässigen westlichen Jungmänner dort je seine Partnerin oder Expartnerin töten wird. Aber sehr wahrscheinlich wird er sich weniger in das Beziehungsleben seiner Schwester einmischen, als es ein junger islamischer Fundamentalist für nötig hält. Somit ist es auch sehr viel unwahrscheinlicher, dass daraus ein Mordmotiv erwächst.

Elke Breitenbach hat ihre Aussagen an diesem Montag damit zu erklären versucht, dass es bei Mord keine Ehre gebe. Auch das ist richtig. Aber eben kein Grund, den Ehrbegriff der Täter zu ignorieren.

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