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Mündet der laue Herbst in ein heißes Jahr 2023?

Verdi-Streik, hier in Köln, 2018. Bild: Marco Verch, CC BY 2.0

Themen des Tages: Die Berliner stimmen über Klimapolitik ab. Macron hat Probleme mit seinem Volk. Und was der kommenden Mega-Streik über die Lage der Gesellschaft verrät.

Liebe Leserinnen und Leser,

1. Macron patzt im Fernsehen.

2. Die UNO sorgt sich um das Trinkwasser.

3. Und auf Seite 2 lesen Sie: Wie sich die sozialen Konflikte zuspitzen.

Doch der Reihe nach.

Wut über Macron

Hätte Emmanuel Macron mal geschwiegen [1]. Infolge einer TV-Ansprache des französischen Staatspräsidenten am Mittwoch geben in ersten demoskopischen Erhebungen 61 Prozent der befragten Französinnen und Franzosen an, seine Äußerungen seien dazu geeignet, "die Wut weiter zu steigern". Das berichtete am Donnerstag Telepolis-Autor Bernhard Schmid.

70 Prozent derer, die zuschauten, erklärten, trotz guten Zuredens habe das Staatsoberhaupt sie "nicht überzeugen" können. Und nicht alle schauten ihm auch zu, obwohl die Einschaltquote mit zehn Millionen nicht gänzlich geringfügig ausfiel. Doch die soziale Zusammensetzung der Zuschauerschaft dürfte sich aus der Uhrzeit ergeben.

Konferenz zu Trinkwasser

Ein soeben veröffentlichter Bericht des Internationalen Klimaausschusses IPCC prognostiziert wenig überraschend, dass wir noch immer mit rasantem Tempo in eine sich verschärfende Klimakrise steuern, berichtete am Donnerstag Telepolis-Autorin Jutta Blume [2]:

"Gleichermaßen vernehmen wir von den Vereinten Nationen, die dieser Tage eine Wasserkonferenz abhalten, dass menschliche Lebensgrundlagen und Ökosysteme von einer globalen Wasserkrise bedroht sind. Klimakrise und Wasserkrise sind miteinander verschränkt, die eine lässt sich nicht ohne die andere lösen."

In beiden Fällen wird Gerechtigkeit gefordert, die am stärksten von der Klimakrise Betroffenen müssen bei der Klimaanpassung und auch bei Schäden und Verlusten unterstützt werden, ebenso braucht es globale Unterstützung, um allen Menschen Zugang zu sauberem Trinkwasser und sanitären Anlagen zu ermöglichen.

Hoffnung in Energiewende

Auf den bevorstehenden Klima-Volksentscheid in Berlin geht heute Telepolis-Redakteur David Goeßmann ein. Die Energiewende, schreibt er, werde ein Kraftakt werden, "weil viel zu lange die fossilen Lobbys Politik und Öffentlichkeit lähmen konnten". Und es müsse sozial ablaufen, auf keinen Fall zulasten der Schwachen. Aber, so Goeßmann weiter:

So zeigt eine aktuelle Studie des Ökoinstituts, in Auftrag gegeben von der Rosa-Luxemburg-Stiftung, wie eine soziale Wärmewende aussehen könnte. Und die New York Times berichtet vor einigen Tagen über eine neue Studie nach Peer-Review, die darlegt, dass die Energiekosten bei einem schnellen Übergang von Fossil zu Erneuerbar gegenüber einem Business-As-Usual-Szenario schnell und drastisch sinken werden – wegen der Lerneffekte und technologischen Dynamiken.

Bei dieser Streikwelle ist etwas anders

"Müssen noch mehr Streiks wirklich sein?" "Wie angemessen sind Streiks?" Oder: "Einfach eine Zumutung." Angesichts massiver Arbeitskämpfe in Deutschland liegen die Nerven blank. Denn am kommenden Montag bewegt sich wohl kaum mehr etwas. Bahnen und Busse werden bestreikt, ebenso der Flugzeug- und Schiffsverkehr.

Mit einem doppelten Warnstreik werden die Eisenbahngewerkschaft (EVG) und die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi den Verkehr im Land lahmlegen. Ausfälle und Verspätungen werden Millionen Menschen zu spüren bekommen.

Da regt sich Unmut und die stets wiederkehrende Frage wird laut: Wieso müssen Bürger leiden, wenn bestimmte Belegschaften für Entlohnung und Arbeitsbedingungen kämpfen? Befördert wird dieses Narrativ von interessierter Seite.

Selbst immer noch mächtige Verdi steht im Visier, was lange nicht vorgekommen ist. Einige solcher Töne erinnern an die Kampagne gegen den Streik der Lokomotivführer 2014, als von "Partikularinteressen" und "Geiselhaft" die Rede war.

Doch es hilft alles nichts: Der Fernverkehr werde am Montag eingestellt, informierte die Bahn AG Am Donnerstag. Auch der Nahverkehr werde bundesweit massiv beeinträchtigt sein: "Wenn möglich, verschieben Sie bitte geplante Reisen."

Für ihre 2,5 Millionen Bundes- und Kommunalbediensteten fordern Verdi und der Beamtenverband (dbb) 10,5 Prozent mehr Einkommen, mindestens aber 500 Euro monatlich. Die EVG streitet mit mehreren Bahnunternehmen um mehr Geld für ihre Mitglieder, vor allem aber mit der Deutschen Bahn.

Die Arbeitgeber hatten drei und zwei Prozent Erhöhung in diesem und dem kommenden Jahr angeboten, hinzu sollten Einmalzahlungen gegen die inflationsbedingte Belastung kommen. Die Inflation lag 2021 und 2022 aber bei elf Prozent – und hält an.

Der Sozialkampf hat politische Folgen. Die Belastungen durch die Corona-Krise und dann den Ukraine-Krieg und die Folgen der Sanktionen sind bis weit in den Mittelstand zu spüren. Ob die Menschen noch die Haltung von Außenministerin Annalena Baerbock teilen?

Die Grünen-Politikerin sagte Anfang Februar in Kiew, "Deutschland" sei mit Blick auf die Russland-Sanktionen "bereit, dafür einen hohen wirtschaftlichen Preis zu zahlen".

Arbeitgeberverbände fordern angesichts der Kampfmaßnahmen der Gewerkschaften bereits eine Einschränkung des Streikrechtes. DGB-Chefin Yasmin Fahimi äußerte sich dazu sehr deutlich:

In Summe ist Deutschland ein Niedrigstreikland. Es wird bei uns im Vergleich zum europäischen-internationalen Vergleich extrem wenig gestreikt. Insofern ist das der Versuch, Stimmung gegen das Streikrecht zu machen, was ich wirklich hochproblematisch finde.

Yasmin Fahimi

Klar ist bislang: Der heiße Herbst ist ausgeblieben. Aber soziale Unsicherheit und wirtschaftliche Krisen sorgen für merkbaren Unmut. Dass die Arbeitgeberseite angesichts der zu erwartenden Arbeits- und Sozialkämpfe schon jetzt das Streikrecht in Frage stellte, ist ein Indiz dafür, wie die sich überlagernden Krisen das Fundament der deutschen Nachkriegsgesellschaft ins Wanken bringen. DGB-Chefin Fahimi weist zurecht darauf hin, dass hier mal eben so laut über die Abschaffung oder Einschränkung eines Grundrechts nachgedacht wird.

Die Zeichen stehen auf Sturm. Schafft es die Ampel-Koalition, die Herausforderungen zu meistern?

Artikel zum Thema:

Claudia Wangerin: Warnstreiks und Klima-Proteste: Wenn im Hamburger Hafen nichts mehr geht [3]
David Goeßmann: Wie Superreiche, fossile Konzerne und Krieg Inflation weiter anheizen [4]
Bernhard Schmid: Franzosen können Streik: Sturm auf die Rentenreform [5]


URL dieses Artikels:
https://www.heise.de/-7820514

Links in diesem Artikel:
[1] https://www.telepolis.de/features/Frankreich-Die-Wut-steigt-weiter-7696748.html
[2] https://www.telepolis.de/features/Ohne-Rezepte-in-die-Klima-und-Wasserkrise-7662783.html
[3] https://www.telepolis.de/features/Warnstreiks-und-Klima-Proteste-Wenn-im-Hamburger-Hafen-nichts-mehr-geht-7697900.html
[4] https://www.telepolis.de/features/Wie-Superreiche-fossile-Konzerne-und-Krieg-Inflation-weiter-anheizen-7542016.html?seite=all
[5] https://www.telepolis.de/features/Franzosen-koennen-Streik-Sturm-auf-die-Rentenreform-7539007.html