Müssen wir konstruktiv über Krieg oder Klimakrise berichten?

Seite 2: Kann konstruktiver Journalismus gegen die AfD helfen?

Dazu kann als sehr aktuelles Beispiel die journalistische Arbeit zum AfD-Erfolg in Sonneberg im Speziellen und den guten Umfragewerten der rechtsnationalistischen Partei im Allgemeinen herangezogen werden. Denn manche wollen mit konstruktivem Journalismus die AfD klein halten. Doch was soll das eigentlich heißen?

Auf diese Frage gibt es keine klare Antwort. Das beste Beispiel ist die kurze Aufregung um ein Interview, dass die Illustrierte Stern mit potentiellen AfD-Kanzlerkandidatin Alice Weidel führte. Bei der linksliberalen Empörung wird aber übersehen, dass hier in erster Linie der Grundsatz gilt, dass gedruckt und auch gesendet wird, was Leser bzw. Quote bringt. Dafür tragen auch zwangsläufig alle bei, die sich jetzt so über das Stern-Titelthema aufregen.

Sie sorgen mit dafür, dass es noch bekannter auch bei Menschen wird, die sonst nicht den Stern beachten. Man kann sogar unterstellen, dass das Interview auch ein Ausdruck von Überlegungen zum Umgang mit der AfD im bürgerlichen Lager ist. Für sie ist die AfD erst einmal ein Konkurrent um Wählerstimmen. Daher war ihr größtes Interesse natürlich, dass die AfD, wie viele Rechtspartei-Gründungsversuche vorher, schnell wieder verschwindet, in dem sie sich selber zerlegt.

Als deutlich wurde, dass sich die AfD nicht nur auf Dauer etabliert, sondern sogar Umfragewerte nah an der SPD hat, begannen die bürgerlichen Kreise zu überlegen, wie sie mit dieser Partei umgehen sollen, die schließlich Teil des bürgerlichen Eigentümerblocks ist und in der Verteidigung der kapitalistischen Ordnung die Speerspitze der Reaktion darstellt. Da ist dann ein Interview mit besonders wirtschaftsnahen Alice Weidel naheliegend.

Dieser Flügel wird auch für die Teile der bürgerlichen Konkurrenz interessant, die jetzt noch – wie CDU-Chef Merz – die AfD mit starken Worten als Demokratiefeinde brandmarken. Doch diese starke Abgrenzung gehört zum politischen Geschäft. Manche werden sich noch erinnern, wie konservative Politiker die Grünen in Terrorismusnähe rückten wollten, zumindest, solange diese scheinbar nur Koalitionsabsichten mit der SPD hatte und der Union damit Machtoptionen nahm.

Erst nachdem die Grünen für fast alle Parteien koalitionsfähig wurden, wurde die Polemik gegen die Partei zurückgefahren. Wenn nun Merz die Grünen als Hauptgegner bezeichnet und die Unionspolitiker, die auf Länderebene in Koalitionen mit dieser Partei sind, dem widersprechen, so gehört das zum Geschäft. Manche werden sich noch erinnern, wie die PDS bzw. Die Linke von Politikern bis zur SPD für koalitionsunfähig erklärt wurde, bis sich zeigte, dass sie eben nicht in wenigen Jahren verschwindet.

Die SPD erkannte, dass sie sich durch eine Totalabsage an diese Partei selber Machtoptionen nahm und änderte ihre Rhetorik. Genau das werden wir in Zukunft auch von Teilen der Union im Verhältnis zur AfD erleben. Dabei geht es nicht um Moral, sondern um Machtoptionen und da sind die Parteien eben durchaus näher, als es jetzt erscheint. Dabei wird es immer auch Politiker geben, die als koalitionsunfähig gelten.

Diese Rolle hatte bei der PDS Sahra Wagenknecht schon, als sie sich noch auf Karl Marx statt auf Ludwig Erhardt berufen hat. In der AfD werden es Rechtsaußenpolitiker wie Höcke sein, die diese Rolle spielen werden. Damit die aber als ein Hindernis für eine Kooperation herausgestellt werden kann, muss das Signal an andere Flügel sein: Mit Euch könnten wir schon ins Geschäft kommen Genau dieses Signal sendet der Stern-Titel mit Alice Weidel.

Hier wäre vielleicht nicht konstruktiver, aber aufklärerischer Journalismus gefragt, der solche Zusammenhänge darstellt. Aber er würde vielleicht nicht nur über die AfD, sondern die bürgerliche Gesellschaft, zu der sie gehört, aufklären. Genau das kann und will der konstruktive Journalismus, der jetzt so sehr angepriesen wird, nicht.

Wenig Kritik am konstruktiven Journalismus beim Journalistentag

Leider ist eine solche Kritik am Konzept des konstruktiven Journalismus kaum zu hören. Sie fehlte weitgehend auf dem 35. Journalistentag der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di, der sich Anfang März mit dem konstruktiven Journalismus befasste. In einem Kommentar der ver.di-Zeitschrift Menschen Machen Medien (MMM) hieß es über diese Konferenz: "Positiv besetztes Vokabular prägte die vielfältigen Diskussionsformate: chancenreich, lösungsorientiert, verlässlich, gesprächsbereit, gemeinschaftlich, analytisch...". Bei so vielen positiven Adjektiven wäre doch eine kritische Nachfrage angebracht gewesen. Doch die unterblieb auf den Journalistentag weitgehend.

Das wird in den Tagungsberichten von Menschen Machen Medien deutlich. Da wird ziemlich argumentfrei getitelt: "Konstruktiver Journalismus ist guter Journalismus" und in einem Beitrag wird gefordert "konstruktiv über Kriege" zu berichten. Dazu gehört, dass die Menschen möglichst divers sind, die zum Krieg in der Ukraine befragt werden.

Ein aufklärerischer und wirklich konstruktiver Journalismus würde vielleicht den wenigen Menschen auf allen Seiten eine Stimme geben, die sich für ein Ende des Kriegs einsetzen. Das kann ein Pazifist in der Ukraine ebenso sein, wie Beschäftigte aus Belorussland, Italien und Griechenland, die im letzten Jahr in ihren Ländern Waffentransporte blockierten.

Das wäre ein konstruktiver Journalismus im besten Sinne. Von einem gewerkschaftlichen Journalismustag hätte man sich gewünscht, dass solche kritischen Ansätze im Mittelpunkt stehen. Aufklären in Zeiten des Krieges, das würde auch bedeuten, die Profiteure der Kriege zu benennen wie Rheinmetall und Co., deren Aktien steigen, wenn Menschen fallen. Da müsste ein solcher aufklärerischer Journalismus auch mal konfrontativ statt konstruktiv werden.