Multipolare Weltordnung: Brics gewinnen mit Indonesien an Schlagkraft
(Bild: Danawan Purbanggoro/Shutterstock.com)
Der südostasiatische Tigerstaat komplettiert vorerst die Runde der Staatengruppierung. Welche Perspektiven ergeben sich daraus? Eine Analyse.
Der französische Anthropologe und Historiker Emmanuel Todd schlägt in seinem neuesten, lesenswerten Werk "Der Westen im Niedergang" (Westend Verlag) düstere Töne an. Der Nihilismus der USA als hegemoniale Schandamerie falle spätestens in der Trümmerlandschaft von Gaza wie im Kampf mit der ökonomisch stärkeren Macht China wie ein Kartenhaus in sich zusammen.
"Coup für den Globalen Süden"
Der kollektive Westen aus den USA, Nato und Kontinentaleuropa, also auch Berlin, Brüssel oder Stockholm, würde als dominante Triade abgelöst. Dass dies nicht aus der Luft gegriffen ist, sondern handfesten diplomatischen und vor allem ökonomischen Machtverschiebungen folgt, wurde Anfang Januar deutlich.
Die Berliner Zeitung bezeichnete das Geschehen zu Recht als "Coup" und als "geopolitischen Durchbruch für den Globalen Süden".
In der brasilianischen Hauptstadt Brasilia wurde verkündet, dass mit dem südostasiatischen Bevölkerungsriesen Indonesien ein zehntes Vollmitglied der multipolaren Gemeinschaft der Brics Plus beigetreten ist.
Indonesien hat nach offiziellen Angaben 281 Millionen Einwohner (2023), die Bevölkerungsprognosen zeigen im Gegensatz zum kollektiven Westen steil nach oben. Bis zum Jahr 2050 werden weit über 320 Millionen Indonesier erwartet.
Das Brics-Mitglied Brasilien unter dem links-sozialdemokratischen Präsidenten Lula da Silva, derzeit Vorsitzender der Staatengruppe 2025, konnte mit einiger Genugtuung, die frohe Botschaft verkünden. Dass globale Umwälzungen nicht mehr im Oval Office entschieden oder in westlichen Hauptstädten der Presse verkündet werden, ist ein erwähnenswerter Nebeneffekt. Doch was bedeutet der Beitritt des islamischen Landes zu den Brics Plus?
Südliche Neuordnung
Wie eine Pressemitteilung der brasilianischen Regierung deutlich macht, trägt die Aufnahme Indonesiens positiv zur Vertiefung der Partnerschaft in der südlichen Hemisphäre bei.
Ähnliche Töne kamen aus Beijing: Man begrüße die Teilnahme Indonesiens und traue dem Land eine positive und aktive Rolle bei der Weiterentwicklung der Brics zu. Unter dem Ruf nach Multilateralismus, Solidarität und Kooperation sehen sich die KPCh und Jakarta global verbunden.
Wirklich neu oder überraschend war die Ankündigung allerdings nicht: Bereits beim 15. Gipfeltreffen in Johannesburg im August 2023 war der Antrag Indonesiens formell angenommen worden. Allerdings wollte Indonesien lieber die Wahlen (Februar 2024) und den Amtsantritt der neuen Regierung (Oktober 2024) abwarten.
Nach den letzten Beitritten zum 1. Januar 2024, als Iran, Ägypten, Äthiopien sowie die Vereinigten Arabischen Emirate zu den namensgebenden Bündnisstaaten hinzukamen, komplettiert Indonesien vorerst die Riege.
Dutzende Staaten haben den offiziellen Status eines Partnerstaates, etwa Belarus, Kuba oder Thailand. Selbst der Nato-Staat Türkei hat den Partnerstatus zugesagt, auch wenn die formale Abstimmung noch aussteht.
Damit vereinen die Brics fast 40 Prozent der globalen Wirtschaftsleistung auf sich, sie machen in Zahlen mehr als 40 Prozent der Weltbevölkerung aus und haben ein gewichtiges Pfund auf ihrer Seite: das rasante Wirtschaftswachstum. Während der IWF für die USA ein Wirtschaftswachstum von 2,7 Prozent und für Deutschland sogar nur 0,3 Prozent prognostiziert, sieht die Welt im Globalen Süden rosiger aus.
Indonesien beispielsweise erwartet bis zu acht Prozent. Die Weltordnung wird vom Süden aus neu geschrieben.
Chance für eine gerechtere Weltordnung
Das viertbevölkerungsreichste Land der Welt verändert die geopolitische Landkarte erneut zugunsten der Brics-Staaten. Während der designierte US-Präsident Donald Trump dem Bündnis mit Strafzöllen von bis zu 100 Prozent droht, ein verzweifelter Akt des Frontalangriffs, denkt die südliche Staatenelite Schritte voraus.
Wie die Tagesschau berichtet, sollen die Brics als Gegengewicht zu westlichen Institutionen ausgebaut werden. Indonesien leistet dazu einen enormen Beitrag: als Brücke in die dynamische Welt Südostasiens und als Kette in die muslimische Gesellschaft, mit einer starken Wirtschaft und dem Willen einer neu gewählten Regierung, globale Institutionen zu überarbeiten.
Laut Weltbank ist Indonesien ein gigantischer Markt und ein neues Zugpferd: eine immense Armutsreduktion, ein kaufkräftiger werdender Binnenmarkt, eine erfolgreiche G20-Präsidentschaft 2022 (wie auch die Asean-Präsidentschaft 2023) und vor allem eine selbstbewusst auftretende, neu entstandene Mittelklasse.
Als Chance erhofft sich Indonesien einen Wachstumsschub. Für mehr lokale Verarbeitung und Produktion benötigt das asiatische Land ausländische Kapitalinvestitionen und will absehbar unabhängig von Lebensmittelimporten werden (Wirtschaftsausblick Indonesien). Indonesien will in einer gerechteren Weltordnung mehr mitreden, zitiert die FAZ die neue Regierung.
Indonesien erhält zweifellos neue Kooperationsmöglichkeiten, sein Einfluss wächst, indonesisches Kapital wird freier, Wissens- und Rohstofftransfers könnten angeregt werden und Indonesien erweitert seine diplomatischen Kanäle deutlich.
Geopolitisches Risiko?
Die große Unbekannte bleibt die Reaktion des Westens. Vor allem die Reaktion der Trump-Regierung. Sicher ist, dass Washington nicht tatenlos zusehen wird, wie der Globale Süden seine Dollar-Dominanz durch den Aufbau einer Alternativwährung untergräbt. Schließlich stützt sich das Imperium neben seiner bröckelnden Wirtschaftsmacht und seinem Militär auf die Knute der Dollarnoten.
Der Beitritt könnte das Verhältnis zu den USA massiv belasten, signalisiert aber zugleich, dass es alternative Handlungsoptionen gibt.
Der indonesische Wunsch nach aktivem Handel nach allen Seiten könnte sich als Wunschtraum erweisen, ähnlich wie die geplante Isolierung Beijings, Teherans oder Moskaus, und vom Westen betrieben, die Gräben zu einem stabilen Frieden vertiefen.
Wie das Institut der deutschen Wirtschaft zeigt, übersteigt das nominale BIP der G7 das der Brics bzw. Brics Plus noch deutlich.
Es besteht also ein ökonomisch definiertes Restrisiko für Jakarta. Die Gretchenfrage in Bezug auf Rohstoffsicherheit und Souveränität bleibt die Entwicklung der Volksrepublik China. Denn chinesische Unternehmen kontrollieren weite Teile des rohstoffreichen Landes.
Neue Ordnung, aber wohin?
So deutlich sich die Vorboten einer südlich dominierten Weltordnung mit divergierenden Polen abzeichnen, so unklar und vielfältig ist ihre konkrete Ausgestaltung.
Innerhalb der Brics treffen unterschiedliche Staaten, Akteure, Interessen und Ideologien aufeinander. Russland befindet sich in einem heißen Konflikt mit dem Westen, Indien und China liegen teilweise im Clinch miteinander, kapitalistische Tigerstaaten treffen auf einen proklamierten chinesischen Sozialismus des 21. Jahrhunderts.
Die Frage, ob das gut gehen kann, muss vorerst unbeantwortet bleiben. Sicher ist nur, dass der gemeinsame Nenner die Ablehnung unipolarer westlicher Arroganz ist. Wie der Analyst Jörg Kronauer (German Foreign Policy) in herausstellt, sind die Brics kein Block. Natürlich werde die indonesische Regierung sowohl mit Beijing als auch mit Washington in Kontakt treten und Handel treiben wollen. Ein Ritt auf der Rasierklinge, ohne klare ideologische Grundlage.
Zudem sind die Brics sehr ungleich, allein China und Indien repräsentieren 86 Prozent der Bevölkerung der Brics, China allein 65 Prozent des Brics-BIP.
Ob es den Brics und ihrer New Development Bank gelingen wird, eine neue Währung zu etablieren, ist offen. Nach einer Analyse der FDP-nahen Friedrich-Naumann-Stiftung ist dieser Schritt in den kommenden Jahren jedoch weniger zu erwarten.
Der 17. Brics-Gipfel im Juni dieses Jahres in Rio de Janeiro wird neue Antworten geben müssen – und neue Konflikte hervorbringen.
Redaktionelle Anmerkung: Im drittletzten Absatz wurde die Studie der Konrad-Adenauer-Stiftung zugeschrieben. Richtig ist, dass die Studie von der FDP-nahen Friedrich-Naumann-Stiftung stammt.