Multitransgenes Transplantationsschwein ante portas?
Die Deutsche Forschungsgemeinschaft fördert ein Xenotransplantationsprojekt mit Klonschweinen
Aus unserem Hausschwein durch Genmanipulation einen willigen Organspender für den Menschen zu machen, davon träumen spätestens seit Geburt der transgenen Klon-Polly viele Transplantationsmediziner. Jetzt wollen Wissenschaftler und Ärzte diese Vision forciert in Richtung klinische Anwendung treiben - unterstützt von der Deutschen Forschungsgemeinschaft, der die Erschaffung des multitransgenen Transplantationsschweins mit deutschen Pass drei Millionen Euro wert ist.
Menschliche Ersatzorgane sind bekanntlich knappes Gut, nicht nur in Europa, aber hier besonders. Nach Angaben der zentralen europäischen Anlaufstelle für Organtransplantationen, Eurotransplant in den Niederlanden, warten Dialysepatienten im Augenblick durchschnittlich fünf Jahre auf eine Ersatzniere.
Deutschland ist daran nicht ganz unbeteiligt: Der Organbedarf der Transplantationschirurgen hierzulande ist hoch. Doch sind Organe von deutschen Spendern im europäischen Vergleich und gemessen an der Größe des Landes besonders knapp. Als Grund wird üblicherweise die gesetzlich festgezurrte, so genannte erweiterte Zustimmungslösung genannt. Sie bedeutet in der Praxis, dass hierzulande nur dann Organe entnommen werden dürfen, wenn der Tote entweder einen Organspendeausweis bei sich trägt oder wenn ein naher Verwandter im vermuteten Sinne des Verstorbenen der Organentnahme ausdrücklich zustimmt.
Die Alternative, die Widerspruchslösung, bei der Organe entnommen werden dürfen, solange das nicht ausdrücklich vom Betroffenen zu Lebzeiten ausgeschlossen wurde, löst freilich auch nicht alle Probleme. Denn selbst in Ländern mit einer Widerspruchslösung ist die Nachfrage nach Organen in der Regel größer als das "Angebot".
Neue Schweine braucht der Mensch
Kein Wunder also, dass nach Alternativen gesucht wird. Die Xenotransplantation ist eine solche. Das Hausschwein steht hier schon länger als potenzieller Kandidat bereit, unter anderem, weil es die richtige Größe hat. Was nicht so ganz übereinstimmt, sind die immunologischen Eigenschaften von menschlichem und tierischem Gewebe. Doch im Zeitalter der Genetik sind die ja nicht (mehr) gottgegeben...
Schon mehrfach wurden Schweine mit einzelnen genetischen Veränderungen erzeugt, die die Oberflächenstrukturen der Körperzellen der Tiere veränderten und für das menschliche Immunsystem erträglicher machten (Klon-Schweine vor, noch ein Tor! und Erste transgene Klonschweine). Das waren freilich alles Einzelexperimente. Die daraus resultierenden Tiermutanten waren zwar (vom menschlichen Standpunkt aus betrachtet) immunologisch günstiger, aber für eine Transplantation längst nicht günstig genug.
Das soll jetzt anders werden: Transplantationsmediziner, Genetiker und Klonexperten aus ganz Deutschland haben sich zu einem Joint Venture zusammengeschlossen, an dessen Ende der regelhafte klinische Einsatz von Tierorganen oder zumindest Tiergeweben beim Menschen stehen soll. Der offizielle Startschuss für das Projekt fiel auf dem 7. www.rki.de/AKTUELL/DAX/DAX.HTM?/AKTUELL/DAX/MINI-S.HTM&1 Xenotransplantation des Robert Koch Instituts (RKI) in Berlin. Die Förderung durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) läuft bereits seit Anfang des Jahres.
Eine der Voraussetzung für das Joint Venture waren die ersten deutschen Klonschweine, die im Sommer letzten Jahres am Institut für Tierzucht der Bundesforschungsanstalt für Landwirtschaft in Mariensee das Licht der Welt erblickt haben. Die Expertise für die bei der transgenen Xenotransplantation unverzichtbare Technologie der Schweineklonierung ist damit auch in Deutschland vorhanden.
Wir wollen Schweine erzeugen, die für zukünftige Transplantationen in den menschlichen Körper Organe oder Gewebe liefern, auf die das menschliche Immunsystem nicht mit Abwehrmaßnahmen reagiert.
So beschreibt Projektkoordinator Professor Bruno Reichart von der Abteilung für Herzchirurgie der Ludwig-Maximilians-Universität München das Ziel der Bemühungen. Mit einem Verfahren à la Polly, der gentechnischen Einfügung einer Einzelmutation als Grundlage einer Klonherde, will man sich dabei nicht abgeben: Um die Organe oder Gewebe für den Menschen immunverträglich zu machen, sind multitransgene Tiere gefragt. Kandidaten für den Knock out - die gezielte Entfernung eines Gens - und den Knock in - ein Gen wird hinzugefügt, das die Aktivität von problematischen Genen bremst - gibt es reichlich. Was passiert, wenn alle Schalter gleichzeitig umgelegt werden, ist unklar und harrt der Klärung durch den Ring der Xenotransplanteure.
Erste Erfahrung gibt es beispielsweise mit den Galactose-(1,3)-Galactose-Disacchariden, Zuckerreste auf der Oberfläche der Schweinezellen, gegen die im menschlichen Blut vorgefertigte Antikörper vorhanden sind, die zu einer so genannten hyperakuten Abstoßung führen. Durch einen Knock-out lässt sich das Gen des Enzyms, das diese Zuckerreste zusammenbastelt, entfernen. Alternativ können Schweine durch einen Knock-in mit einem Gen für ein Enzym ausgestattet werden, das bereits erzeugte Disaccharide wieder zerlegt.
Nach Angaben des Robert Koch-Instituts wurden bisher weltweit rund 200 Patienten mit Schweinezellen behandelt. In der Regel handelte es sich dabei um zeitlich limitierte Transplantationen von Schweinehaut bei schwer Brandverletzten. In einigen Fällen wurden auch immunologisch abgekapselte, insulinproduzierende Zellen der Bauchspeicheldrüse übertragen, mit allerdings mäßigem Erfolg. Paviane und andere Affen haben auch Organe von transgenen Schweinen erhalten und überlebten damit 90 bis 300 Tage. Diese Zeitspanne stark zu verlängern ist ein wichtiges Etappenziel beim Projekt "multitransgenes Transplantationsschwein".
"Nicht den Teufel mit dem Beelzebub austreiben"
Ein bisher ungelöstes Problem, das unter anderem durch die SARS-Krise wieder an Brisanz gewonnen hat, ist die mögliche Übertragung von Krankheitserregern. Vor allem die endogenen porcinen Retroviren (PERV) machen Sorgen. Das sind Viren, die im Erbgut praktisch aller Schweinerassen ein neues Zuhause gefunden haben und die an den Nachwuchs weitergegeben werden, ohne für die Tiere zum Problem zu werden. PERV können aber im Laborversuch menschliche Zelllinien infizieren.
De facto allerdings wurde eine PERV-Übertragung von einem lebenden Organismus auf den anderen in Tierversuchen bisher kaum beobachtet, sodass niemand so genau weiß, wie groß diese Gefahr tatsächlich ist. Bruno Reichart gab in Berlin zu bedenken, dass es zumindest möglich wäre, dass eine solche Virusübertragung durch die mit der Erzeugung transgener Schweine verbundene Veränderung des Immunsystems der Tiere unbeabsichtigt erleichtert wird.
Außer um PERV müssen sich die Xenovisionäre auch um Herpesviren kümmern, von denen bekannt ist, dass sie vor dem Menschen nicht halt machen. Eine Reihe verschiedener Herpesviren sind beim Schwein mittlerweile beschrieben worden, von denen gegen eines, das Pseudorabiesvirus, ein Impfstoff existiert. Die meisten anderen werden nach der Geburt übertragen, sodass sich diese Schwierigkeit möglicherweise umgehen lässt, wenn die Tiere früh von der Mutter getrennt werden. Diskutiert wurde in Berlin auch eine gezielte, antivirale Behandlung infizierter Tiere und/oder transplantierter Menschen, zum Beispiel mit Antisense-Nukleinsäuren, was allerdings selbst noch ein hochexperimentelles Verfahren ist.
Professor Karin Ulrichs von der Universität Würzburg ist trotz all dieser Hürden optimistisch, dass Xenotransplantate bereits in ein paar Jahren klinisch eingesetzt werden: Vor allem die Verpflanzung von insulinproduzierenden Inselzellen des Schweins zur Behandlung von Diabetikern hält sie für ante portas. Schwieriger in den Griff zu bekommen sei die Immunologie bei ganzen Organen, vor allem wenn sie, wie die Leber, hunderte Substanzen produzieren, die ins Blut abgegeben werden. Ein paar Oberflächenantigene genetisch zu manipulieren ist das eine. Eine ganze Palette von Eiweißstoffen zu verändern, um Abstoßungsreaktionen zu verhindern, ist eine etwas andere Liga.
Vom Autor ist gerade in der Telepolis-Reihe das Buch Vernetzte Medizin. Patienten-Empowerment und Netzinfrastrukturen in der Medizin des 21. Jahrhunderts (224 Seiten, 19 Euro) erschienen.