Mutter Beimer in Guantánamo
Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush. Bild: © Luna Zscharnt / Pandora Film
Wenn die Leinwand zum Megaphon wird: Andreas Dresens Film ĂĽber den "Fall Kurnaz" vereint politische Absicht und unpolitisches Filmemachen
Die Unsitte aber, ein Kunstwerk ausschließlich auf seinen kritischen Gebrauchswert hin durchzumustern, es auf dem Prüfstand entweder einer subjektiven "Betroffenheit" oder eines flachen Sozialkritizismus zu messen, untergräbt gewissermaßen die freiheitlich symbolische Grundordnung der Kunst.
Botho StrauĂź, "Paare, Passanten", 1981
Ob Frank-Walter Steinmeier nach seiner Wahl für eine zweite Amtsperiode wohl Zeit findet, ins Kino zu gehen? Zumindest diese Woche gäbe es Interessantes anzusehen, andererseits wäre er dort kaum richtig glücklich geworden. Denn nun kommt Andreas Dresens Film Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush ins Kino, und der erinnert an eine, nun ja, dunkle Seite in Steinmeiers Vergangenheit.
In der Amtszeit von Kanzler Gerhard Schröder war Steinmeier ja dessen Kanzleramtsminister, und unter anderem dafür verantwortlich, dass der unter falschen Voraussetzungen im US-Lager Guantánamo inhaftierte deutsche Staatsbürger Murat Kurnaz erst vier Jahre zu spät befreit wurde.
Niedliches Grundeinverständnis mit der Welt
Dieser Teil von Kurnaz Schicksal – die skandalöse Verschleppung und öffentliche Verdrängung der Angelegenheit durch deutsche Behörden – ist ein Erzählstrang unter mehreren in Andreas Dresens neuem Film und sozusagen dessen moralischer Kern. Überhaupt der einzige Kern, wenn man ehrlich ist.
Es handelt sich nämlich trotzdem nicht um einen Politthriller, sondern eher um ein emotionales und schwer moralisierendes Drama, das seinem ernsten Thema zum Trotz sich vor allem als Komödie präsentiert und tatsächlich gewisse fröhliche Seiten hat – Humor, sogenannte "Menschenfreundlichkeit" (aka Humanismus) und ein fast zu niedliches Grundeinverständnis mit der Welt sind seit "Halbe Treppe" Dresens Markenzeichen.
Banalität des Menschlichen. Und Apfelkuchen...
Wäre der Film nur als Film ein bisschen interessanter! Filmisch aber handelt es sich vor allem um eine stilistisch überaus ideenlose Illustration des jahrelangen Kampfes von Kurnaz' Mutter und deren Bremer Anwalt um Gerechtigkeit vor der amerikanischen Justiz.
Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush (0 Bilder) [1]
Aber Dresen reduziert diese im realen Leben bestimmt spannende Frau auf eine tĂĽrkische Mutter Beimer; sie spricht Akzent, sie "hat das Herz auf dem rechten Fleck", sie macht nichts falsch, sie kĂĽmmert sich um alles, ihre Jungs beschĂĽtzt sie aber sowas von..., ihrem Mann sagt sie die Meinung, und ihr Apfelkuchen ist unvergleichlich gut.
Es ist alles ein bisschen banal, es ist sehr menschlich, und wenn man dieses Menschliche banal nennt, dann wirkt das zynisch. So ist es aber nicht gemeint. Sondern es ist im Gegenteil ein sonderbares Menschenbild, wenn man glaubt, das nur in der Banalität das Menschliche aufscheint. Oder gerade da.
Subtile Parallelen zu unserer Gegenwart
Immerhin: Andreas Dresen hat auch einen Film über die subtilen Parallelen gemacht, die sich zwischen dem damaligen, inzwischen über 20 Jahre alten Fall Kurnaz und unserer Gegenwart eröffnen.
Denn vergessen wir nicht, was heute erwiesen ist und was man damals nicht nur im Mainstream der Medien als "Lügenpropaganda" gebrandmarkt hatte: Es gab eine Zeit, da unterstützte die komplette westliche Welt einen sogenannten "Krieg gegen den Terror", bei dem eine sogenannte demokratische Regierung bewusst gefälschte Unterlagen bei der Uno vorlegte, um gewünschte Beschlüsse zu erreichen.
Es wurde manipuliert, mit Fake-News, mit falschen Zeugen und mit falschen "Experten" gearbeitet. Und in der Folge wurde ein Land angegriffen und mit Krieg überzogen, das nicht das Geringste mit den Anschlägen vom 11. September zu tun hatte.
Es gibt nach wie vor ein demokratisches Land, das mit unserem Land nach wie vor verbündet ist. Dieses Land hat gefoltert, es unterhält auch in Europa offiziell Geheimgefängnisse, die keiner Jurisdiktion unterliegen, und es unterhält ein Lager auf dem Gebiet eines fremden Staates, für das die US-Justiz nicht zuständig ist, und über das der US-Präsident offensichtlich keine Machtbefugnis besetzt – denn es liegt ja im Ausland –, ein Ort, in dem 1.500 Soldaten 39 Häftlinge bewachen, (was den US-Steuerzahler nachweislich pro Jahr 13 Millionen Dollar pro Gefangenen kostet).
Gegen diese Gefangenen liegt keine Anklage vor. Gegen sie gibt es keinen Prozess; ihre Haftbedingungen werden nur selten und schlecht von unabhängigen Organisationen kontrolliert, und deren Gefangenschaft endet womöglich erst mit ihrem Tod.
"Wir müssen uns den Rechtsstaat zentimeterweise erkämpfen."
Es fällt schwer, beim Betrachten von Dresens Film nicht an einigen Stellen an die heutige außenpolitische Lage und zum Beispiel an den aktuellen Ukraine-Konflikt zu denken. Und an all das, was wir heute als Gewissheit ansehen. Warten wir mal ab, was hierüber in 20 Jahren gesagt werden wird.
Dies ist nicht zuletzt auch ein Film darüber, wie die Öffentlichkeit manipuliert wird, und wie sie sich manipulieren lässt. Hier liegt die unbedingte Aktualität und relative Stärke dieses Stoffes.
Der Rest... Nun ja. Dieser Film häuft Szenen und Befunde aufeinander, zieht aber keinerlei Konsequenzen daraus. Er ist weder gegen den Rechtsstaat, noch für ihn. Er nimmt eigentlich für nichts wirklich Partei – natürlich ist irgendwie schon klar, wo der Film politisch steht. Aber Dresen versagt sich alles Bekenntnis.
"Wir müssen uns den Rechtsstaat zentimeterweise erkämpfen", sagt der von Alexander Scheer glänzend gespielte Bremer Anwalt, der jahrelang für Gerechtigkeit für Murat Kurnaz kämpfte. Aber was bitte sagt das eigentlich über den Rechtsstaat?
URL dieses Artikels:
https://www.heise.de/-7065010
Links in diesem Artikel:
[1] https://www.heise.de/bilderstrecke/3529129.html?back=7065010;back=7065010
[2] https://www.heise.de/bilderstrecke/3529129.html?back=7065010;back=7065010
Copyright © 2022 Heise Medien