Mythos China - warum wir das Land nicht verstehen können und wollen
China steigt zur Supermacht auf und wird im Westen zunehmend als Rivale angesehen. Den Aufstieg verdankt das Land nicht zuletzt seinen Kritikern. Warum sie das nicht verstehen.
Kaum etwas scheint den Deutschen und den übrigen Europäern unverständlicher als die große kommende Supermacht China. Wie kann ein Land, das von einer kommunistischen Partei mit strenger Hand dirigiert wird, wirtschaftlich so erfolgreich sein? Das ist offenbar so unheimlich, dass die USA unter Biden noch mehr als unter Trump China zum globalen Rivalen hochstilisiert haben, den es energisch zu bekämpfen gilt, auf dass er niemals größer als die USA werde.
Dieses Ziel ist zwar gegenüber einem 1,4 Milliarden-Volk an Lächerlichkeit nicht mehr zu überbieten, aber die Neocons (siehe dazu etwa Jeffrey Sachs hier) sind so verblendet von ihrer eigenen Größe, dass sie auch gegen jede Logik und Erfahrung bereit sind, gefährliche Spiele, in diesem Fall mit Taiwan, zu spielen. Genau damit setzen sie China derart unter Druck, dass dem Land gar nichts anderes übrig bleibt, als massiv aufzurüsten, will es seine Unabhängigkeit bewahren.
In treuer Gefolgschaft zu jeder amerikanischen Marotte sind auch einige deutsche Politiker dazu übergegangen, China als "systemischen Rivalen" anzusehen. Insbesondere die Grünen mit Habeck und Baerbock sind scheinbar besessen davon, China auf eine Weise so sehr zu schaden, dass die amerikanische Vorherrschaft niemals endet.
Auch die Europäische Kommission unter Ursula von der Leyen steht natürlich voll hinter den Neocons, auch wenn sie damit unmittelbar amerikanische Interessen vertritt und europäische mit Füßen tritt. In diesem Geiste ist der Außenbeauftragte der Europäischen Kommission nach Peking gefahren und hat mit den Chinesen Tacheles geredet.
Chinesische Überschüsse mit Europa als Problem?
Laut Financial Times sagte Josep Borrell, Chinas Handelsüberschuss mit Europa, der sich im vergangenen Jahr auf fast 396 Mrd. Euro belief, könne nicht allein mit Produktivitätsfragen oder einem größeren Wettbewerbsvorteil begründet werden. Der Überschuss habe wahrscheinlich eher mit dem unzureichenden Marktzugang der Länder des (europäischen) Blocks zur zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt zu tun.
Solch eine Erklärung zeigt die europäische Ahnungslosigkeit in ihrer ganzen Breite. Zunächst muss man zur Kenntnis nehmen, dass bilaterale Leistungsbilanzsalden (also der hier gemeinte Überschuss Chinas mit der EU) überhaupt keine Aussagekraft haben.
Wenn China gleichzeitig Defizite im Handel mit den Entwicklungsländern hat, die Vorprodukte für die chinesischen Exporte nach Europa liefern, gibt es nichts, was man den Chinesen vorwerfen könnte. Am Ende zählt immer nur der Überschuss eines Landes gegenüber dem Rest der Welt, und der ist, gemessen am BIP, in China deutlich kleiner als der europäische Überschuss (siehe Schaubild aus dem Atlas der Weltwirtschaft).
Zweitens, und das ist noch viel wichtiger, sind die chinesischen Exporte noch immer nicht mit den Exporten eines europäischen Landes zu vergleichen. China war über Jahrzehnte und ist noch heute das Ziel westlicher Investoren, die dort ihre hochmodernen Anlagen installierten und mit billigen chinesischen Arbeitskräften betreiben.
Diese Investoren haben wegen der Kombination hoher westlicher Produktivität mit niedrigen chinesischen Löhnen entweder extrem hohe Gewinne gemacht oder waren in der Lage, Marktanteile auf dem Weltmarkt zu gewinnen, weil sie angesichts ihrer geringen Lohnstückkosten wesentlich billiger anbieten konnten als Unternehmen, die nur in den Industrieländern produzieren.
Die Rolle der Direktinvestitionen
Zu den Hochzeiten dieser Direktinvestitionen kamen mehr als 50 Prozent der "chinesischen Exporte" direkt aus den Fabriken westlicher Unternehmen, es waren also unsere eigenen Exporte, die nur aus China heraus geliefert wurden. Natürlich hat die chinesische Regierung danach alles darangesetzt, auch eigene chinesische Firmen auf dem Weltmarkt zu etablieren, indem sie dabei mithalf, die westliche Technologie auch in rein chinesischen Firmen einzusetzen.
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Folglich haben die Erfolge Chinas auf dem Weltmarkt immer diese beiden Seiten. Wer sagt, die chinesischen Erfolge hätten nichts mit "Produktivitätsfragen oder Wettbewerbsvorteilen" zu tun, zeigt nur, dass er diesen entscheidenden Zusammenhang nicht verstanden hat oder nicht verstehen will.
Obwohl die chinesischen Löhne in den letzten beiden Jahrzehnten stark gestiegen sind, liegt ihr Niveau immer noch weit unter dem des Westens. Das ist der Tatsache geschuldet, dass die durchschnittliche Produktivität der chinesischen Volkswirtschaft trotz des rasanten Aufholens ebenfalls noch viel niedriger als im Westen ist.
Das schafft für die chinesischen Unternehmen, die bisher nicht in den Genuss des Einsatzes westlicher Technologie gekommen sind, enorme Probleme. Wo die hochproduktiven westlichen Unternehmen auch für den chinesischen Binnenmarkt produzieren, kommen die heimischen Unternehmen enorm unter Druck oder verschwinden gar vom Markt.
Andererseits ist es nahezu selbstverständlich, dass die rein westlichen Unternehmen, also diejenigen, die in Europa oder den USA geblieben sind, kaum noch mit ihren Exporten auf dem chinesischen Markt Fuß fassen können, da sie niemals so wettbewerbsfähig sein können wie ein westliches Unternehmen, das in China produziert. Auch das trägt dazu bei, dass China Exportüberschüsse gegenüber hoch entwickelten Regionen aufweist, ohne dass man daraus einen Vorwurf an die chinesische Regierung konstruieren könnte.
Die regelbasierte Ordnung
Zu den Zeiten, als China sehr hohe Leistungsbilanzüberschüsse (in Prozent des BIP wiederum) aufwies, also in der Mitte des ersten Jahrzehnts, hat insbesondere die amerikanische Regierung in internationalen Verhandlungen und in der Öffentlichkeit massiven Druck auf die chinesische Regierung ausgeübt, um einer Reduktion dieser Überschüsse zu erreichen.
Das ist tatsächlich gelungen, wie das obige Schaubild zeigt, weil die chinesische Regierung eine erhebliche reale Aufwertung ihrer Währung zugelassen hat und damit eine erhebliche Verschlechterung der Wettbewerbsfähigkeit des Landes. Auch das ging in erster Linie zulasten der originär chinesischen Unternehmen, weil die westlichen Unternehmen in China das angesichts ihrer riesigen Gewinnmargen viel leichter verkraften konnten.
In der heutigen Lage China bilaterale Überschüsse vorzuwerfen und mit eigenen protektionistischen Maßnahmen zu drohen, ist ein glatter Verstoß gegen den gesunden Menschenverstand und gegen die Regeln der Welthandelsorganisation. Offenbar ist die "regelbasierte internationale Ordnung", von der unsere Neocon-Anhänger immer wieder fabulieren, nur dann von Bedeutung, wenn es um die amerikanische Vormachtstellung auf dieser Welt geht.
Europa macht sich nicht nur lächerlich, Europa verspielt jedes Vertrauen im Rest der Welt, wenn es nicht bald begreift, dass es seine eigenen Interessen vertreten und für einen rationalen globalen Rahmen eintreten muss, der auch den ärmeren Ländern eine echte Chance gibt.
Die Regeln, die in den vergangenen 70 Jahren von den USA vorgeschlagen und durchgesetzt wurden, dienten immer nur deren eigenen Interessen. Wer sich von vorneherein zum "Vasallen" (E. Macron) anderer Mächte macht, sollte Worte wie Wertebasierung und Regelbasierung einfach nicht mehr in den Mund nehmen.
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