Mythos Multitasking?
Auch mit Freisprechanlage vermindert das Telefonieren beim Fahren die Aufmerksamkeit, wie Untersuchungen der Gehirnaktivität zeigen
Manche würden es wohl gerne sehen, wenn die Menschen durch zerebrales Multitasking mehr Informationen aufnehmen und verarbeiten könnten, da die Aufmerksamkeit oder der neuronale Arbeitsspeicher sich allmählich als Flaschenhals der sogenannten Wissensgesellschaft erweist. Prekär wird der information overload natürlich besonders in Situationen, in denen es wie beim Steuern eines Fahrzeugs oder an anderen Hightech-Arbeitsplätzen auf blitzschnelles Reagieren ankommt. Mit der funktionalen Kernspin-Tomographie (fMRI) konnten jetzt Wissenschaftler zeigen, dass Menschen nicht wirklich gleichzeitig komplexere visuelle und sprachliche Aufgaben bewältigen können: das Telefonieren erhöht also trotz Freisprechanlage das Unfallrisiko beträchtlich.
Eigentlich wusste man schon seit längerem, dass Telefonieren mit dem Handy beim Steuern eines Fahrzeugs auch dann das Unfallrisiko erhöht, wenn dies mit der Freisprechanlage geschieht. Das Handy-Verbot ist eher eine symbolische Aktion, zumal mit dem Einzug weiterer Informations- und Kommunikationsmedium ins Auto sich die Belastung der Aufmerksamkeit noch erhöhen wird, wenn möglicherweise gleichzeitig Emails ankommen, man telefoniert, das Navigationssystem eingeschaltet ist, das Radio läuft oder der neueste Stand der Aktien durchgegeben wird.
Erst kürzlich haben Donald Redelmeier und Robert Tibshirani, die 1997 eine vielbeachtete Untersuchung über den positiven Zusammenhang zwischen dem Telefonieren mit Handys und Autounfällen veröffentlicht haben, auf einige "Missverständnisse" in Bezug auf die Studie hingewiesen, wodurch das Risiko unterschätzt worden sei. Sie hatten herausgefunden, dass Fahrer, die ein Handy benutzen, eine vier Mal höheres Risiko eingehen, in einen Unfall verwickelt zu werden. Nicht genug beachtet worden sei, dass das höhere Risiko auch dann bestand, wenn der Fahrer mit den üblichen Ablenkungen konfrontiert war: "Mit einem Mobiltelefon ein Gespräch zu führen, ist deutlich riskanter als Radio zu hören, mit den Beifahrern zu sprechen und anderen Aktivitäten nachzugehen, die man beim Fahren ausübt." Das Risiko war genau so hoch, wenn Gespräche entgegen genommen wurden oder wenn der Fahrer jemand angerufen hat. Auch Fahrer, die schon lange Erfahrung im Umgang mit Handys hatten, schnitten nicht besser ab, woraus die Wissenschaftler ableiten, dass Lernen und Aufmerksamkeit hier auf eine Grenze stoßen könnten.
Dass dies in der Tat so sein könnte, haben jetzt Wissenschaftler aus dem Center for Cognitive Brain Imaging der Carnegie Mellon University anhand von fMRI-Untersuchungen nachweisen können, wie sie in der neuesten Ausgabe der Zeitschrift NeuroImage berichten. Bei 18 Versuchspersonen wurden alle drei Sekunden Messungen der Gehirnaktivität mit der funktionalen Kernspin-Tomographie durchgeführt, während diese sprachliche und visuelle Aufgaben lösen mussten.
Wenn den Versuchspersonen Sätze vorgelesen wurden, während sie mit dem Vergleich von zwei komplexen dreidimensionalen Objekten eine anspruchsvolle visuelle Aufgabe bewältigen mussten, nahm die Hirnaktivität, die für die Verarbeitung der visuellen Informationen aufgewendet wurde, um durchschnittlich 29 Prozent ab. Konzentrierter sie sich hingegen eher auf die Verarbeitung der visuellen Informationen, sank die für das Sprachverständnis aufgewendete Hirnaktivität gar um 53 Prozent.
"Die dem zugrunde liegende Implikation ist", so Marcel Just, der die Studie leitete, "dass die Beschäftigung mit einem anspruchsvollen Gespräch die Urteilskraft und die Reaktionszeit beeinträchtigen kann, wenn eine untypische oder ungewohnte Fahrsituation entsteht." Just betont, dass die Lösung durch Freisprecheinrichtungen und folglich wohl auch für andere Systeme durch Spracheingabe- und ausgabe das Risiko nicht entscheidend reduzieren kann: "Der Gebrauch von Handys lenkt nicht nur die Augen ab. Das Gespräch selbst lenkt das Gehirn ab." Auf der anderen Seite mag es auch nicht ratsam sein, ein wichtiges Gespräch beim Autofahren zu führen, da hier eben auch die sprachlichen Kapazitäten herabgesetzt sind.
Ganz allgemein zeigen die Ergebnisse, dass Multitasking für das Gehirn nicht ohne weiteres möglich ist, wenn damit gemeint ist, dass zwei oder mehr Aufgaben gleichzeitig mit gleicher Aufmerksamkeit und Leistung bewältigt werden. Die Aktivität in einem neuronalen System scheint vielmehr Ressourcen von anderen Systemen zu beanspruchen, so dass die Menge dessen, was gleichzeitig auf höheren Ebenen der Kognition geleistet werden kann, beschränkt ist. "Übung kann eine oder beide der Aufgaben automatisieren, aber es gibt immer eine Grenze", meint Just. "Das Verstehen gesprochener Sprache ist die am meisten automatisierte Aufgabe ist, die es gibt, und auch Autofahren kann fest genauso gut automatisiert werden. Doch bevor das Fahren automatisiert ist, kann für einen Anfänger ein Gespräch extrem ablenkend sein."
Ganz unmöglich ist allerdings nach der Studie ein gewisses Multitasking nicht, ganz im Gegenteil zeigt sie, dass durchaus zwei anspruchsvolle Aufgaben, die nicht automatisiert sind, gleichzeitig geleistet werden können. Eine Aufgabe tritt dabei nur immer in den Hintergrund, während die Aufmerksamkeit sich stärker auf die andere richtet. Durch Abwechseln der Aufmerksamkeitsfenster in kurzen Zeitabständen könnte also durchaus ein relativ gleichwertiges Multitasking auch für kognitiv bewusste Abläufe möglich sein (Gehirnareal für Multitasking entdeckt).