Mythos Wasserstoffwirtschaft

Seite 2: Bessere Lösungen

Autos, Lkws, Busse und Züge sollten langfristig möglichst elektrisch, mit Strom aus Akkus oder Oberleitungen, fahren. Wird der Strom mit einer Brennstoffzelle an Bord der Fahrzeuge aus Wasserstoff gewonnen, steigt der Stromverbrauch auf mehr als das Doppelte. Im Fernverkehr kann das dennoch die einzige gangbare Option sein.

Am schlechtesten ist die direkte Nutzung von Wasserstoff oder daraus hergestellten synthetischen Kraftstoffen in Verbrennungsmotoren: Hier wird pro Kilometer bis zu sechsmal so viel Strom wie bei direktem Elektroantrieb verbraucht! Für die Luftfahrt ist synthetisches Kerosin aus Wasserstoff aber wohl nötig, denn große Flugzeuge für Mittel- und Langstrecken lassen sich kaum elektrifizieren, und der Verzicht auf das Fliegen wird nicht ganz gelingen.

Zum Heizen sind Wärmepumpen unschlagbar. Die Verbrennung von "grünem" Gas, für die manche Lobbys derzeit Stimmung machen, verbraucht ca. die fünffache Menge Strom! Dabei ist bereits berücksichtigt, dass während Dunkelflauten – wenn es also wenig Wind und kaum Sonne gibt – der Strom kraftwerksseitig aus grünem Gas erzeugt werden muss. Das wird aber nur relativ selten (wir schätzen: in zehn Prozent der Zeit) notwendig sein.

Am dringendsten brauchen wir weitere Windkraftwerke und Photovoltaik-Module sowie stärkere Stromnetze. Die Erzeugung von Wasserstoff aus Strom macht ökologisch nur dann Sinn, wenn es so große Ökostromüberschüsse gibt, dass diese anders nicht verwertet werden können. Das wird zukünftig, wenn Wind und Sonne zeitweise ein Mehrfaches des Strombedarfs decken, häufig der Fall sein.

Aktuell sind solche Überschüsse noch selten, insbesondere in Österreich, wo es viele Pumpspeicher gibt, die in ihren Stauseen im Gebirge Strom mit nur 20 bis 30 Prozent Verlust für später aufheben können. Eine Umwandlung in Wasserstoff und spätere Rückverstromung hätten hingegen Verluste von 60 bis 70 Prozent zur Folge.

Wenn Wasserstoff aus Strom produziert wird, sollte dies jedenfalls nur so geschehen, dass das Energiesystem stabilisiert und das Netz entlastet wird. Wir müssen es endlich schaffen, mit entsprechenden Anreizen (z. B. flexiblen Netzgebühren) solche Verbraucher an die aktuelle Ökostrom-Produktion angepasst zu betreiben.

Die Wasserstoffproduktion mittels Elektrolyse wird zukünftig ein wichtiger flexibler Stromverbraucher zur Verwertung von Ökostromüberschüssen und Verringerung des Ökostrom-Speicherbedarfs sein. Deswegen sollten die Anlagen in Richtung Flexibilität optimiert werden – und nicht, wie derzeit, nahezu im Dauerbetrieb laufen.

Damit keine Altlasten entstehen, sollten neu installierte Anlagen in der Industrie – besonders in der Stahl- und Chemiebranche – bereits fit für eine spätere Umstellung von fossiler Energie auf Wasserstoff sein oder sogar heute schon mit Wasserstoff betrieben werden, wenn hier noch Erfahrungen gesammelt werden müssen.

Eine effiziente Wasserstoffwirtschaft zielt auf eine stoffliche Verwertung in der chemischen Industrie und Metallgewinnung als Ersatz von fossilen Rohstoffen ab; Wasserstoff ist nichts für Autos oder Gasthermen.

Generell müssen wir ganz massiv Energie einsparen – durch Effizienz, aber auch durch Verzicht auf Unnötiges. Ansonsten wird eine vollständig klimaneutrale Gesellschaft noch lange eine Vision bleiben.

Die Autoren:

Josef Gansch, hauptberuflich Projektleiter zum Thema Energie & Klima bei der Energie- und Umweltagentur NÖ (eNu).

Stephan Neuberger, hauptberuflich Energiemanager bei der UNIQA Insurance Group AG und Obmann vom Verein SOL.

Bernhard Reinitzhuber, hauptberuflich in einem Consultingunternehmen im Bereich Energie- und Umwelttechnik und Manager der Klima- und Energiemodellregion Kärnten.

Mario Sedlak, hauptberuflich unabhängiger Experte für die Stromwirtschaft, sedl.at.

Günter Wind, hauptberuflich Inhaber eines Ingenieurbüros (spezialisiert auf erneuerbare Energie sowie Klimaschutzprojekte) und Gründer des Klimaschutzvereins panSol.

Alle Genannten arbeiten ehrenamtlich in der "Taskforce Energie und Umwelt" des Vereins SOL.