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NATO, Nord Stream und Europa: Geschäftsabschlüsse zählen

LNG-Importterminal in Świnoujście, Polen. Bild: Polskie LNG S.A./CC BY-SA-4.0

Der US-Präsident verknüpft Rüstungs- mit der Energiepolitik und macht den Verkäufer der amerikanischen "Exportschlager" Waffen und Fracking-Gas

Regelmäßig hatte die offizielle Außenpolitik der EU im vergangenen Jahr neue Schocknachrichten zu verarbeiten. Zumeist verursachte ausgerechnet die Regierung desjenigen Staates diese Zwischenfälle, die nominell weiterhin als der engste Verbündete gilt.

Unliebsame Konkurrenten

Inzwischen dürfte sich aber auch unter treuesten Transatlantikern herumgesprochen haben, dass der amtierende US-Präsident die EU und insbesondere Deutschland als unliebsame Konkurrenten betrachtet. Realistisch betrachtet handelt es sich dabei um keine Neuigkeit, aber in seiner unnachahmlichen Art bringt Donald Trump diese Haltung deutlicher zum Ausdruck als seine Vorgänger.

Entgegen jedem Protokoll verknüpfte Donald Trump öffentlich die Rüstungs- mit der Energiepolitik. Angeblich, so lamentierte der Geschäftsmann, würde Deutschland "50, 60 oder sogar 70 Prozent" seiner Energie aus Russland beziehen.

Aber für die Aufrüstung im Rahmen der NATO gebe die Bundesrepublik immer noch weniger als zwei Prozent ihres BIP aus. Deutschland sei wegen russischer Gaslieferungen ein "Gefangener Russlands", klagte Trump und jammerte, dass die Bundesrepublik "Milliarden über Milliarden" für Gas an Russland zahle und sich gleichzeitig von der NATO vor Russland beschützen lasse.

Steuergelder direkt an die amerikanischen Rüstungsschmieden

Diesen Text trug der amerikanische Präsident ausgerechnet auf den NATO-Gipfel vor. Dabei ist die Bundesregierung den amerikanischen Forderungen bereits erheblich entgegengekommen. Schon die eingeplante Aufrüstung wird den deutschen Rüstungsetat massiv vergrößern. Wie von der Trump-Regierung gefordert, wird ein großer Teil dieser Steuermittel direkt an die amerikanischen Rüstungsschmieden fließen.

So schlossen Frankreich und Deutschland gerade einen Vertrag [1] über Flugzeuge des Typs C-130J-30 Super Hercules mit dem Rüstungsunternehmen Lockheed Martin. Nach Angaben des US-Außenministeriums hat alleine der deutsche Beschaffungsauftrag ein Gesamtvolumen von etwa 1,1 Milliarden Euro.

Schon bei diesem berüchtigten "Zwei-Prozentismus" geht es dem Immobilien-Manager vor allem um die angeblich defizitäre Handelsbilanz seines Landes: In einem Brief an das Kanzleramt [2] hatte Trump bereits im Februar 2017 gefordert, die Bundesrepublik solle gefälligst mehr Waffen aus den USA kaufen, um das notorische Ungleichgewicht in der Handelsbilanz zu bereinigen.

Offiziell muss für die absurden Aufrüstungspläne natürlich die russische Bedrohung erhalten werden. Bis zum vergangenen Wochenende verhandelte die US-Regierung ihr zweites Geschäftsfeld, die Energiepolitik, jedoch einigermaßen getrennt.

Nun allerdings ruft Donald Trump seine beiden Exportschlager, Waffen und Fracking-Gas, zusammen auf. Immerhin gelang es der US-Regierung mit den expliziten Auftritten ihres Präsidenten, auch die Energiepolitik in der Gipfel-Erklärung [3] zu verankern.

In Absatz 78 erklären die NATO-Staaten, dass die "Sicherung der Energieversorgung bei unserer gemeinsamen Sicherheit eine wichtige Rolle" spiele. Man werde "weiter nach einer Diversifizierung bei der Energieversorgung" streben, was gemeinhin der Code dafür ist, russische Unternehmen aus dem europäischen Markt zu verdrängen.

Der EU-USA-Energierat

Den meisten Beobachtern entging bisher, dass sogar das offizielle Protokoll die Energiepolitik der EU eng mit dem NATO-Gipfel verknüpft hatte. Noch während des NATO-Treffens trat am Donnerstag in Brüssel der EU-USA-Energierat zusammen.

Dass diese Institution überhaupt existiert, ist den meisten Beobachtern gar nicht bewusst, obwohl diese Spitzentreffen zwischen der EU und den USA weitgehend transparent dokumentiert sind. Seit zehn Jahren treffen sich die Außenminister und die für Energie zuständigen Minister, um die wichtigsten energiepolitischen Strategien miteinander abzustimmen.

Am vergangenen Donnerstag kamen in diesem Rahmen Außenminister Mike Pompeo und Energieminister Rick Perry mit den Spitzen der EU zusammen. Dort hatte das Format bereits als tot gegolten, weil die Trump-Regierung bisher keinerlei Anstalten gemacht hatte, das unter Barack Obama eingerichtete Format aufzugreifen.

"Energy Dominance!"

Unterdessen hatte Trump vor einem Jahr offiziell die Strategie ausgerufen, dass sein Land "weltweit den Energiemarkt dominieren" solle. Den Auftakt für diese Energy Dominance bot ausgerechnet ein Treffen der Trimare-Initiative in Polen [4], an deren Zustandekommen die amerikanische Außen- und Energiepolitik bereits einigen Anteil hatte.

Mit anderen Worten: Die neue US-Regierung, damals noch mit dem ehemaligen Chef von Exxon-Mobile, Rex Tillerson, betrieb von Anfang offensiv eine eigene Energiepolitik in Europa, allerdings ohne sich auf dem dafür vorgesehenen EU-USA-Energierat weiter abzustimmen.

Insofern begrüßten die EU-Staatschefs es diplomatisch, dass die Veranstaltung erstmals nach zweijähriger Pause überhaupt stattfand. Die Außenbeauftragte Federica Mogherini hatte, zusammen mit ihren Energie-Kommissaren Maros Sefcovic und Miguel Arias Cañete allerdings einen schwierigen Job.

Laut Insidern in Brüssel hatte die US-Seite bereits zuvor eine gemeinsame Erklärung vorbereitet, mit der sie ihre Energie-Dominanz gegenüber der EU deutlich untermauerte: Die EU solle zukünftig mehr Fracking-Gas aus den USA importieren. Dafür solle Brüssel zukünftig mehr öffentliche Förderung ausgeben, um den Import von verflüssigtem Erdgas - LNG - aus den USA zu unterstützen.

Außerdem hätte die EU sich offiziell festlegen sollen, Nord Stream 2 abzulehnen. Obwohl etwa Maros Sefcovic und Miguel Arias Cañete genau dieses Programm seit Jahren diskret unterstützen, dürfte es in Brüssel als Erfolg gelten, dass eine derart offenherzig imperiale Erklärung am Ende nicht veröffentlicht wurde.

EU: "Bereit für eine Ausweitung des LNG-Handels mit den USA"

Nur wenige Medien nahmen überhaupt von dem Treffen Notiz: Kritische Begriffe wie Fracking und LNG wurden weitgehend vermieden. Allein dass man im Rahmen von Arbeitsgruppen "in Kürze wieder zusammenkommt, um die Zusammenarbeit zwischen der EU und den USA voranzubringen", ging aus einer Pressemitteilung hervor.

Maros Sefcovic verwies anschließend vorsichtig darauf, dass die EU "bereit für eine Ausweitung des LNG-Handels mit den USA" sei. US-Außenminister Mike Pompeo forderte [5] die EU-Staaten noch auf, sich hinter "die amerikanischen Maßnahmen zur Abschottung des Iran von den Weltenergiemärkten" zu stellen.

Von amerikanischer Seite ist das Programm glasklar und offen: Mit der Brechstange sollen Österreich, Deutschland, die Schweiz und Frankreich dazu gezwungen werden, die Erdgasimporte via Pipeline aus Russland und dem Iran einzustellen bzw. nicht weiter auszubauen. Die US-Regierung will mit allen Mitteln einen Marktzugang für teures und dreckiges Fracking-Gas in Europa erzwingen.

Dabei kooperiert sie eng insbesondere mit Polen, das sich bereits als großer Energiezwischenhändler für Mittel-Ost-Europa aufstellt. Gerade vor zwei Wochen unterzeichnete [6] das polnische Staatsunternehmen PGNiG große Verträge mit der amerikanischen Fracking-Industrie.

Polen: Abnahme von jährlich 2 Millionen Tonnen LNG

Im Rahmen der Vereinbarungen will PGNiG von den beiden wichtigsten Erdgas-Verflüssigern über eine Laufzeit von 20 Jahren jährlich 2 Millionen Tonnen LNG abnehmen, das entspricht jeweils 2,7 Milliarden Kubikmeter Erdgas, größtenteils aus den nordamerikanischen Fracking-Feldern.

Die nordamerikanische Energie-Industrie richtet sich mit massiver Unterstützung der Regierung darauf aus, an der gesamten Atlantik-Küste, bis hoch nach Kanada, Export-Terminals für LNG aufzubauen. Mithilfe von Steuermitteln aus den EU-Haushalt bauen Polen, die baltischen Staaten, Kroatien und selbst Georgien an den dazu passenden Import-Strukturen.

Angeführt von Polen sind dies genau diejenigen Staaten, die in Brüssel mit allen Mitteln die Erweiterung von Nord Stream verhindern wollen. Die Ostsee-Pipeline wird ab dem kommenden Jahr 55 Milliarden Kubikmeter Gas pro Jahr zusätzlich in das Gebiet der Europäischen Union leiten. Dieses Projekt wird nicht nur die Preise für konventionell gefördertes Pipeline-Gas senken.

Preissenkung über Nord Stream 2

In ihrer Studie [7] zu den Auswirkungen von Nord Stream 2 gehen Harald Hecking und Florian Weiser sogar davon aus, dass das Projekt die weltweiten Preise für LNG-Importe drücken wird:

Die Preisbildung auf den europäischen Gasmärkten kann als Ergebnis des Wettbewerbs zwischen LNG und russischem Pipelinegas verstanden werden. Wenn Nord Stream 2 verfügbar ist, kann Russland mehr Gas in die EU liefern, was den Bedarf an teurerem LNG verringert. Daher sinkt der Einfuhrpreis für die verbleibenden LNG-Mengen, wodurch sich das Preisniveau in der EU-28 insgesamt verringert.

Harald Hecking und Florian Weiser

Dieses Szenario, das auch Analysten teilen [8], die der amerikanischen Energiepolitik näher stehen, ist die eigentliche Erklärung für die teilweise irrationalen Angriffe, welche die besonders intimen Freunde der US-Außenpolitik auf das russische Projekt fahren.

Die Ukraine

Den Gipfel der Absonderlichkeit bietet dabei die Regierung in Kiew. Obwohl das Land inzwischen vollständig aus der EU mit Erdgas versorgt wird, inszeniert sich die Poroschenko-Regierung, als ob von den Durchleitungsgebühren, welche Gazprom an Naftogaz abführen muss, das volkswirtschaftliche Überleben des Landes abhinge.

Tatsächlich hat das Staatsunternehmen Naftogaz von den jährlich etwa 2 Milliarden Euro laut seiner eigenen Jahresbilanzen bisher überhaupt nichts an den ukrainischen Staatshaushalt abgeführt. Im Gegenteil: Bis einschließlich 2015 musste der ukrainische Steuerzahler das größte Energieunternehmen des Landes sogar zusätzlich subventionieren, weil Naftogaz angeblich ein Defizit erwirtschaftete.

Wie dieses angebliche Defizit entstand, können wahrscheinlich nur die zahlreichen ukrainischen Politiker erklären, die in den Vorständen der verschiedenen Naftogaz-Unternehmungen abgefüttert werden.

Der vorläufige Kompromiss in dieser Angelegenheit lautet, dass Angela Merkel bei ihrem letzten Besuch von Wladimir Putin die Zusicherung erhielt, dass Gazprom die Wegelagerei der ukrainischen Politiker auch zukünftig bedient, auch wenn Nord Stream 2 fertig gestellt ist.

"Nach dem Start für Nord Stream 2 ist nicht geplant, den Transit von Gas über die Ukraine einzustellen", erklärte der russische Staatschef bei der Pressekonferenz mit Angela Merkel im Mai in Sotschi. Einschränkend schob er allerdings hinterher, Russland werde die Gaslieferungen fortsetzen, "solange diese wirtschaftlich gerechtfertigt sind".

Dieser Kompromiss hindert unterdessen Polen und andere zuverlässige US-Partner innerhalb der EU nicht daran, weiterhin Nord Stream 2 anzugreifen. Die polnische Regierung dringt mit osteuropäischer und skandinavischer Unterstützung weiterhin darauf, dass die EU-Kommission die Zuständigkeit für die Pipeline an sich zieht - natürlich um das Projekt zu beerdigen.

Trump setzt auf Steigerung der LNG-Exporte

Und auch für Donald Trump ist das Thema keineswegs beendet, wie er in den vergangenen Tagen deutlich machte. Im vergangenen Jahr haben die in den USA aktiven Unternehmen ihre Exporte von Flüssiggas bereits um das Vierfache gesteigert [9].

Laut einer aktuellen Studie [10] des amerikanischen Energieministeriums kann die Trump-Regierung davon ausgehen, dass ein Szenario mit niedrigen Gaspreisen erhebliche volkswirtschaftliche Mindereinnahmen verursachen wird.

Verglichen mit dem Niveau von 2017 sollen sich die Exporte zukünftig um das Zehnfache steigern. Die an dem Konflikt beteiligten Energie-Unternehmen stellen sich unterdessen breit auf: So finanzieren etwa Shell und Uniper nicht nur Nord-Stream 2.

Aktuell will die deutsche Uniper auch in das Goldboro-LNG-Terminal in Kanada einsteigen, das im Wesentlichen aus dem größten amerikanischen Fracking-Feld, der Marcellus-Formation im Nordosten der USA, versorgt werden wird.

Anlässlich der letzten Hauptversammlung von Uniper kritisierte die Umweltorganisation Urgewald [11], dass das deutsche Unternehmen den Bau des neuen Terminals für LNG an der kanadischen Ostküste durch langfristige Abnahmeverträge überhaupt erst ermögliche.

Die kanadische Energiefirma Pieridae Energy will von dort künftig bis zu 10 Millionen Tonnen Gas pro Jahr liefern. Davon verspricht Uniper eine garantierte jährliche Abnahme von 4,8 Millionen Tonnen für die nächsten 20 Jahre. Die Bundesregierung wird das Geschäft zwischen Uniper und Pieridae Energy mithilfe von Garantien in Höhe von 3 Milliarden US-Dollar sogar absichern.

"Die Nutzung von LNG als Energieträger ist extrem teuer und klimaschädlich. Die zusätzliche Energie, die benötigt wird, um das Gas zu verflüssigen, zu exportieren und wieder in den Ursprungszustand zu versetzen, verschlechtert die Klimabilanz von LNG erheblich", so Regine Richter von Urgewald. Darüber hinaus müssten für das Gas aus Kanada viele neue Quellen erschlossen werden, teilweise mittels der gefährlichen Fracking-Technologie, die in Deutschland weitgehend verboten ist.

Putin: Russland "nicht an einem extremen Preissturz interessiert"

Ausgerechnet der russische Präsident Wladimir Putin, der ansonsten als Schreckgespenst erhalten muss, um den anderen Geschäftszweig, die Rüstungsindustrie, anzukurbeln, machte nun in Helsinki ein rettendes Angebot: Russland sei "nicht an einem extremen Preissturz interessiert", so Putin auf der Pressekonferenz nach dem Gespräch mit Trump.

Man könne bei der Frage der Energiepreise zu einer "Regulierung" greifen. Dies würde bedeuten, dass die großen Anbieter sich nach dem Vorbild der Öl-Kartelle auf einen Mindestpreis einigen, der auch die teuersten Anbieter, sprich: die amerikanische Fracking-Industrie, am Leben lässt.

Für die EU-Staaten und insbesondere Deutschland könnte dieser Vorschlag wieder einmal teuer werden. Nachdem man sich in den vergangenen vier Jahren von den USA in eine anti-russische Kampagne hat treiben lassen, bei der die EU-Staaten politisch und wirtschaftlich den höchsten Preis zahlen, einigt sich Trump mit der russischen Regierung nun möglicherweise auf Kosten der EU-Staaten.

Am Ende zahlen die Verbraucher in Deutschland und der EU dafür, dass ihre Politiker nicht rechtzeitig selbstbewusst ihre Interessen gegenüber den USA durchgesetzt haben, sei es in der NATO oder bei der Frage der Sanktionen, welche die EU gerade wieder frisch verlängert hat.

Dumm gelaufen EU…. Merke: Vertretung der eigenen Interessen geht vor Werte-Blabla.


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Links in diesem Artikel:
[1] http://www.bundeswehr-journal.de/2018/us-aussenministerium-gruenes-licht-fuer-kauf-der-c-130j/
[2] https://www.zeit.de/wirtschaft/2017-02/wto-roberto-azevedo-donald-trump-usa
[3] https://nato.diplo.de/blob/2117930/013c5039a92ee43bd31dd9002d792b3f/erklaerung-gipfeltreffen-bruessel-data.pdf
[4] https://www.reuters.com/article/us-usa-oil-record-geopolitics/trump-energy-dominance-policy-pits-washington-against-moscow-idUSKBN1FT0OE
[5] https://www.i24news.tv/en/news/international/middle-east/179327-180712-pompeo-urges-eu-to-get-tough-on-iran-cut-off-funding
[6] https://www.spglobal.com/platts/en/market-insights/latest-news/natural-gas/062718-pgnig-signs-agreements-for-lng-deliveries-with-two-us-companies
[7] https://www.ewi.research-scenarios.de/cms/wp-content/uploads/2017/09/EWI-1163-17-Studie-Impacts-of-Nord-Stream-2-web.compressed.pdf
[8] http://bruegel.org/2017/06/nord-stream-2-means-gains-for-germany-but-pain-for-europe/
[9] https://www.eia.gov/todayinenergy/detail.php?id=35512
[10] https://www.energy.gov/sites/prod/files/2018/06/f52/Macroeconomic%20LNG%20Export%20Study%202018.pdf
[11] https://www.energiezukunft.eu/wirtschaft/dreckige-geschaefte-eines-energiekonzerns/?L=0