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NSU-Ausschuss: Zeuge gesteht Waffenbeschaffung

Grafik: TP

Im Stuttgarter Landtag legt ein Rechtsextremist eine unbekannte Lieferkette offen - Bundesanwaltschaft ermittelt seit langem im Hintergrund

Aktenzeichen NSU ungelöst. Der Zeuge Jug Puskaric hat vor dem Untersuchungsausschuss von Baden-Württemberg eingeräumt, drei Schusswaffen besorgt zu haben, die er dann dem Thüringer Neonazi Sven Rosemann übergab. Rosemann war Mitglied des rechtsextremen Thüringer Heimatschutzes und zählte zum unmittelbaren Umfeld des Trios Böhnhardt, Mundlos, Zschäpe.

Die Aussage könnte auch Auswirkungen auf den Mordprozess in München haben, wo die Verteidigung des Angeklagten Ralf Wohlleben eben Puskaric und Rosemann als Zeugen hören will. Die Aussage rückt aber auch das ungeklärte Kapitel der NSU-Bewaffnung wieder in den Mittelpunkt und die Frage: Wie groß war der NSU tatsächlich?

Der Zeuge Puskaric war bei seiner Befragung merklich unter Druck und gab Antworten, die er offensichtlich so nicht geben wollte. Seine Aussage muss man vor folgendem Hintergrund betrachten: In der Habe des NSU-Kerntrios wurden im November 2011 insgesamt 20 Schusswaffen sichergestellt. Darunter die Ceska 83, mit der neun Männer erschossen wurden sowie die Waffe Marke Bruni, die zweimal zum Einsatz kam.

Dann die Tatwaffen beim Anschlag auf die zwei Polizeibeamten in Heilbronn, eine polnische Radom und eine russische Tokarev. Sowie die Dienstpistolen, die den Opfern entwendet wurden. Doch nur von drei dieser 20 Waffen ist die Herkunft bekannt: Eben die Polizeipistolen und die Mordwaffe Ceska 83. Sie soll durch die Hände der Angeklagten Carsten Schultze und Ralf Wohlleben gegangen sein.

Die Herkunft der 17 anderen Waffen wurde nie ermittelt. Das Gericht interessiert sich nicht dafür, weil damit keine Taten oder Täter in Verbindung gebracht werden können. Für die Tatwaffen von Heilbronn gibt es keine Angeklagten, da die angeblichen Benutzer Böhnhardt und Mundlos tot sind.

Doch wo waren all die anderen Waffen her und wozu dienten sie?

Gedrehter Polygon-Lauf, der Geschosse stabiler macht

Hinzu kommt, dass das Trio Waffen benutzt haben soll, die nicht mehr da sind, zum Beispiel vom ersten Raubüberfall auf einen Supermarkt in Chemnitz.

Ralf Wohlleben hat eingeräumt, dass er eine Waffe samt Schalldämpfer in der Hand hatte, die Carsten Schultze dem untergetauchten Trio nach Chemnitz brachte. Es soll aber nicht die Mordwaffe gewesen sein. Seine Verteidiger stützen sich nun auf ein Ermittlungsverfahren wegen Waffenhandels, in dem eben Puskaric und Rosemann auftauchen.

Ein Zeuge hatte ausgesagt, bei Rosemann eine Ceska-Pistole gesehen zu haben, die Puskaric besorgt haben soll. Das Besondere: Sie hatte einen sogenannten gedrehten Polygon-Lauf, der Geschosse stabiler macht. Die Mord-Ceska hatte dagegen einen weniger guten sogenannten gezogenen Lauf.

Doch die Wohlleben-Verteidigung beantragte, die beiden zu vernehmen. Möglicherweise hätten sie auch die Mord-Ceska geliefert und ihr Mandant habe nur eine von den anderen Waffen in der Hand gehalten.

Das Gericht hätte wieder in die Beweisaufnahme eintreten müssen. Seit Juli 2017 werden die Plädoyers gehalten. Es lehnte den Antrag ab - und machte dabei möglicherweise einen Fehler. Es erklärte, ob Puskaric und Rosemann eine zweite Ceska geliefert haben, sei irrelevant. "Tatsächlich" sei Wohlleben für die Lieferung der Tat-Ceska 83 verantwortlich. Dass keine zweite solche Waffe beim Trio gefunden wurde, bedeute nichts, denn noch weitere Waffen seien nicht gefunden worden. Möglicherweise hätten die drei auch mal Waffen weggegeben.

Unfreiwillig hat das Gericht damit die Frage aufgeworfen, ob das Trio nicht vielleicht auch die Mord-Ceska mal weggegeben haben könnte. Hätte es demnach weitere Täter gegeben? Andere Täter?

"Niemals kennengelernt"

In dieser sensiblen Situation erklärt nun der Zeuge Jug Puskaric, an einer Waffenbeschaffung mitgewirkt zu haben. Zugleich will er viele Fragen nicht beantworten. Und er bringt zum Ausdruck, dass sein "Geständnis" auch von den Ermittlungsbehörden nicht gerne gehört werde.

Jug Puskaric ist Baden-Württemberger, war eine der Neonazi-Größen des Landes und arbeitete unter anderem als Türsteher. In den 90er Jahren ging er nach Thüringen, wo er etwa zehn Jahre lang lebte, unter anderem in Erfurt. Heute wohnt er wieder in Baden-Württemberg.

Puskaric hatte nachweislich Kontakt zum Thüringer Heimatschutz (THS), will aber "niemals Teil des THS" gewesen sein, so seine Aussage vor dem Untersuchungsausschuss (UA). Auch das Trio Böhnhardt, Mundlos, Zschäpe will er, obwohl Mundlos seinen Namen in einem Brief erwähnte, "niemals kennengelernt" haben. Er habe erst nach dem November 2011 von ihnen erfahren.

Bekannt war er allerdings mit Sven Rosemann, einem Hardcore-Neonazi, THS-Aktivisten mit unmittelbaren Kontakten auch zu dem Drilling aus Jena sowie tätig im Rotlichtmilieu.

Für ihn soll er drei Waffen beschafft haben, irgendwann Ende der 90er Jahre, das genaue Datum wisse er nicht mehr. Auch an sämtliche weitere Details und Umstände will sich Puskaric nicht mehr erinnern oder nichts dazu sagen. Auch, weil er sich sonst "belasten" könnte. Bei wem hat er die Waffen besorgt? Wo, in welcher Stadt? Zu welchem Preis? Nur so viel noch: Rosemann legte das Geld für den Deal in den Kofferraum. Dort entnahm es der "Verkäufer" und stellte dafür die Tasche mit den Waffen hinein.

Ganz offensichtlich schützt Puskaric nicht nur sich, sondern auch andere Personen, inklusive Rosemann.

"Ostschrott"

Auffällig sind aber noch zwei Negativ-Antworten, die der Zeuge gibt: Er habe die Waffen definitiv "nicht in der Schweiz" besorgt. Und es sei definitiv "keine Ceska" darunter gewesen. Doch in der Logik seiner Aussage kann er das gar nicht wissen. Er will nämlich die Tasche mit den drei Waffen gar nicht geöffnet und hineingeschaut haben.

Dass keine Ceska darunter gewesen sei, ist ein Schluss von ihm. Rosemann habe ihm gesagt, er soll bloß "keinen Ostschrott" kaufen. Doch die tschechische Ceska sei ja Ostschrott. Und da von Rosemann hinterher keine Beschwerde kam, könne keine Ost-Ceska darunter gewesen sein.

Nebenbei: Ostschrott? Ungeschminkte Tatsache ist, dass die neun türkisch- und griechisch stämmigen Männer sowie die Polizistin Michèle Kiesewetter mit Waffen aus osteuropäischen Ländern äußerst wirkungsvoll getötet worden sind.

Warum will der Zeuge verschleiern, dass eine Ceska unter den beschafften Waffen gewesen sein könnte?

Schon seine Begründung, er habe die Tasche mit den Waffen nicht geöffnet, um keine Fingerabdrücke auf den Waffen zu hinterlassen, deutet an, dass er von einer möglichen kriminellen Verwendung ausgegangen sein muss. Dass sie lediglich für einen "Sammler" bestimmt gewesen sein sollen, kann man als Legende verbuchen.

Welchen Hintergrund hat die Geschichte? Hinweise auf die Waffenlieferung von Puskaric zu Rosemann haben Bundeskriminalamt und Bundesanwaltschaft seit langem aus den NSU-Ermittlungen, die vor über sechs Jahren begannen. An die Öffentlichkeit gedrungen ist das immer nur punktuell. Zum Beispiel im Herbst 2016 im NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestages. Nach dem Baden-Württemberger Jug Puskaric gefragt, antwortete eine hochrangige Ermittlerin des Landeskriminalamtes (LKA) von BaWü: "Da kümmerte sich das BKA drum. Wir hatten kein Go."

Bei der Bundesanwaltschaft "immer angeschrien" worden

Die Ermittlungen und Vernehmungen im Falle Puskaric-Rosemann müssen in jüngster Zeit intensiviert worden sein. Offensichtlich wurde Puskaric im Mai 2017 von höchster Stelle verhört. Auf die Frage des BaWü-Ausschusses, warum er seine Aussage zum Teil "revidiert" habe, macht er eine Bemerkung, die sein widersprüchliches Verhalten erklären könnte. Bei der Bundesanwaltschaft, so Jug Puskaric, sei er "immer angeschrien" worden, er dürfe niemanden falsch bezichtigen, sonst sei er wegen Falschaussage dran: "Deshalb habe ich alles zurückgezogen."

Gibt der Waffenbeschaffer keine weiteren Details preis, weil die Bundesanwaltschaft ihm das nahegelegt hat? Rührt daher seine demonstrative Bestreitung einer Ceska? Wie auskunftsfreudig war Puskaric gegenüber den Chefermittlern im Falle NSU? Nach seiner Vernehmung seien wegen ihm "die ganzen Leute geladen" worden, über 60, erklärt er. Hat er also Namen genannt?

"Wurden Sie von einer Behörde als Mitarbeiter angeworben?", will der Obmann der Grünen wissen. Der Vertreter des Innenministeriums interveniert, die Frage dürfe nicht gestellt werden. Der Abgeordnete beharrt: "Doch! Wenn er kein Mitarbeiter einer Behörde war, kann er das ja sagen." Außerdem seien sie ein "Untersuchungsausschuss", also müssen sie untersuchen. Jug Puskaric antwortet: "Ich kann versichern, dass ich nie für die gearbeitet habe. Ich wurde nie angesprochen. Die suchen sich schon ihre Leute aus."

"Wie soll mich etwas Staatliches vor dem Staat schützen?

Nächste Frage des Ausschusses: "Kann es sein, dass Sie bedroht werden?" Antwort: "Ja, von einer eindeutigen Seite her." - "Welche?" - "Einer staatlichen. Dem Verfassungsschutz." - "Wie sah die aus?" - "Eindeutig." - "Sollen wir das in nicht-öffentlicher Sitzung besprechen?" - "Das bringt doch nichts. Wie soll mich etwas Staatliches vor dem Staat schützen? Vielleicht bekomme ich ja einen Zuckerschock."

An einem Zuckerschock soll der V-Mann Thomas Richter gestorben sein. Puskaric erklärt, er sei beim Joggen im Wald verfolgt und eingeschüchtert worden. Ob das alles so stimmt, ist schwer zu sagen. Die Abgeordneten glauben ihm diese Geschichte nicht. Dass es den brisanten Waffendeal gegeben haben muss, dagegen aber sehr wohl.

Woher stammen die Waffen und warum sagt er das nicht? In den Akten gibt es Hinweise auf einen Stuttgarter namens Volker W., den Jug Puskaric seit der Schulzeit kennen soll. Der erklärt: "Dazu sage ich nichts." Als der Ausschuss wissen will, ob gar mehrere Leute aus Stuttgart an dem Geschäft beteiligt waren, ist seine Antwort, darüber wolle er zuerst mit seinem Anwalt reden.

Sollte es eine direkte Waffenlinie zwischen Baden-Württemberg und Thüringen gegeben haben? Das würde eine ganz neue Seite im NSU-Komplex öffnen. Und: Selbst wenn bei der Waffenbeschaffung von Puskaric und Rosemann keine Ceska-Pistole dabei gewesen war, bleiben drei Schusswaffen, die sie besorgt haben und die zum Beispiel an das Kerntrio gegangen sein könnten. Das würde eine Lücke im NSU-Waffenarsenal mit den 17 ungeklärten Asservaten schließen. Und es würde belegen, dass es mindestens drei weitere Helfer gab. Die offizielle Drei-Täter-Version wäre ein weiteres Mal grundlegend in Frage gestellt.

Sven Rosemann erschien zum zweiten Mal nicht vor dem U-Ausschuss in Stuttgart. Er meldete sich krank. Schon vor zwei Wochen sollte er befragt werden. Damals hatte er angezeigt, auf seinem Briefkasten eine Patrone gefunden zu haben. Wurde der Zeuge bedroht? Das ermittelt jetzt die Polizei. Der Ausschuss sah deshalb jedoch von Rosemanns Erscheinen zunächst ab.

Die Puskaric-Rosemann-Waffen-Connection erscheint wie ein Stoß ins Wespennest. Ob sie Einfluss auf den Prozess in München hat, ist zur Zeit nicht abzusehen. Den Verhandlungstermin am 8. März hat das Gericht abgesetzt. Weiter geht es am 13. März, möglicherweise mit den Plädoyers der Zschäpe-Verteidigung.

Markus F.

Zur Causa Jug Puskaric gehört die Causa Markus F., einer zweiten Neonazi-Größe in Baden-Württemberg. Seit Jahrzehnten in der Szene führend, Aktivist im Ku Klux Klan, bei Blood and Honour und dem militanten Combat 18, Gründer von Furchtlos und Treu - und mutmaßlich V-Person einer Sicherheitsbehörde. Jug Puskaric und Markus F. kennen sich. Doch unerfindlicher Weise entließ der Ausschuss Puskaric aus dem Zeugenstand, ohne auch nur eine Frage zu Markus F. gestellt zu haben.

Das war umso unverständlicher, als eine Vertreterin des Staatsschutzes von Baden-Württemberg als erste Zeugin mehrere aufschlussreiche Details zu Markus F. von sich gab. Sowie Hinweise, die den Verdacht stützen, dass er tatsächlich mit einer Sicherheitsbehörde in Kontakt stand oder noch steht. Beispiel: Bei einer Razzia gegen mehrere Personen im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens wegen Waffenbesitzes wurde bei allen etwas gefunden, nur bei F. nicht, beziehungsweise lediglich eine Waffenattrappe.

Das kennt man vom V-Mann Tino Brandt, von dem man inzwischen weiß, dass er vor Razzien gewarnt wurde und verdächtiges Beweismaterial verschwinden ließ.

Oder: "Furchtlos und Treu" (F&T) wurde gegründet, ehe "Blood and Honour" (B&H) verboten wurde. Woher wusste Markus F., dass das Verbot kommt? F&T war eine B&H-Ersatz, hatte dieselben Ziele und dieselben Strukturen. Dennoch wurden nie, wie bei B&H, Ermittlungen wegen Gründung einer kriminellen Vereinigung aufgenommen. Ermittlungen gab es gegen einzelne Mitglieder, aber nie gegen F.

Oder: Die Staatsschützerin will im Amt vorgeschlagen haben, unter anderem gegen Markus F. weitere polizeiliche Maßnahmen durchzuführen. Doch die Staatsschutz-Leitung habe dagegen entschieden: "Keine weiteren Maßnahmen."

Markus F. wurde bisher vom Ausschuss nicht geladen.

Geladen war, sei aus Chronistenpflicht vermerkt, Ralf Marschner, Ex-Neonazi-Figur aus Zwickau mit Kontakten zum Trio und zugleich V-Mann des Bundesamtes für Verfassungsschutz, zur Zeit im Exil in der Schweiz. Er erschien nicht. In Deutschland liegt ein Vollstreckungshaftbefehl der sächsischen Justiz wegen einer nicht bezahlten Geldstrafe gegen Marschner vor. Der Ausschussvorsitzende hatte vor der Sitzung gegenüber der Presse erklärt, er gehe davon aus, dass Marschner verhaftet wird, sobald er aus der Sitzung entlassen ist. 1


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