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NSU-Ausschuss betreibt Geheimnishuberei

Grafik: TP

Das Bundestagsgremium anonymisiert Zeugen und vernimmt sie nicht-öffentlich - im Interesse des Verfassungsschutzes [Update]

Am 8. September setzt der NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestages nach zweimonatiger Sommerpause seine Arbeit fort. Doch irgendetwas muss in dieser Zeit passiert sein. Bisher war die Öffentlichkeit informiert worden, was für Zeugen vernommen werden sollten. Doch diesmal werden nur die Initialen von fünf Zeugen mitgeteilt: Dr. C.P., A.S., R.K., R.G., G.B. [1].

Um wen es sich handelt und wozu die Zeugen befragt werden wollen, bleibt der Phantasie des Betrachters überlassen. Transparenz sieht anders aus. Von der Pressestelle des Bundestages erfährt man zwar fünf vollständige Namen, - Carsten Proff, Aline Schnalke, Richard Kaldrack, Rüdiger Grasser, Günter Borstner - aber ebenfalls nicht ihren Verantwortungsbereich oder ihre berufliche Herkunft.

Carsten Proff ist BKA-Beamter, Aline Schnalke eine Bekannte des Neonazis und V-Mannes Ralf Marschner aus Zwickau.

Bei den anderen drei - Richard Kaldrack, Rüdiger Grasser, Günter Borstner - handelt es sich um Beamte des Bundesverfassungsschutzes, verantwortlich unter anderem für die drei V-Männer Thomas Richter alias "Corelli", Ralf Marschner alias "Primus" sowie um einen dritten. Dieser könnte Michael See alias "Tarif" oder Mirko Hesse sein. Die Informationen dazu gehen auseinander. Jedenfalls bewegten sich alle im Umfeld der Terrorgruppe NSU ("Nationalsozialistischer Untergrund"), der zehn Morde zur Last gelegt werden. Wenn sie nicht sogar selbst, vor allem Richter und Marschner, Mitglied des NSU waren. Einer der anonymisierten Beschaffer des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) soll zweitweise sogar alle drei Quellen geführt haben. Der Geheimdienst wäre damit so etwas wie der Kitt zwischen den Personen dieser rechtsradikalen Terrorszene gewesen.

Diabetes oder Rattengift?

Michael See, der sich heute Michael von Dolsperg nennt und der sich vor Jahren selber als Ex-V-Mann des BfV offenbarte, sollte nach eigenen Angaben einst mithelfen, das untergetauchte Trio Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos, Beate Zschäpe in Sicherheit zu bringen. Von Dolsperg will das seinem V-Mann-Führer gemeldet haben, der abgewiegelt haben soll, das Amt würde sich schon selber darum kümmern. Mirko Hesse war Anführer der rechtsextremen Hammerskins in Sachsen und gut bekannt mit Thomas Richter und Ralf Marschner.

Marschner soll mindestens Mundlos in einem seiner zahlreichen Geschäfte beschäftigt haben. Und Thomas Richter war fast 20 Jahre lang als BfV-Spitzel in der Neonaziszene unterwegs, wo er mindestens zu Mundlos Kontakt hatte. Richter kam Anfang April 2014 im Zeugenschutzprogramm des BfV unter mysteriösen Umständen ums Leben. Zunächst soll er an einer unerkannten Diabeteskrankheit verstorben sein. Seit Juli 2016 wird untersucht, ob nicht auch Rattengift im Spiel gewesen sein könnten. Laut Auskunft der Staatsanwaltschaft Paderborn hält die Untersuchung noch an. Vor Ende September sei nicht mit einem Ergebnis zu rechnen.

Unterwirft sich das Bundestagsgremium den Regeln des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV)?

In jüngster Vergangenheit musste das BfV immer weitere Details aus der Zusammenarbeit mit Richter/Corelli bekannt geben, die bisher nicht bekannt waren, selbst dem Bundestag nicht. Unter anderem soll im Amt eine Anzahl von mindestens 22 Handys des V-Mannes gelegen haben, ohne ausgewertet worden zu sein. Der Bundestagsbeauftragte Jerzy Montag, der die Vorgänge im BfV untersuchen sollte, hat jetzt seinen zweiten, überarbeiteten Bericht fertiggestellt, der wie der erste als geheim eingestuft ist. Erneut kommt Montag zu der Einschätzung, V-Mann "Corelli" habe "keinen Kontakt zum NSU" gehabt [2].

Wenn Montag aber erneut bekennt, er gehe davon aus, dass ihm "das BfV nicht alle Informationen vorgelegt" habe, entwertet er damit gleichzeitig sein eigenes Urteil. Der Bundestag lässt sich fortgesetzt von einer Behörde vorführen.

Um diese Hintergründe und Zusammenhänge geht es bei der kommenden Sitzung des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses (PUA) am 8. September im Deutschen Bundestag, und die Frage ist, warum der NSU-Ausschuss unter Leitung des CDU-Abgeordneten Clemens Binninger das nicht transparent machen will. Vielleicht deshalb, weil, wie jetzt erst zu erfahren war, die Geheimdienstvertreter in nicht-öffentlicher Sitzung befragt werden sollen. Lediglich bei den ersten beiden Zeugen sind Zuschauer und Presse zugelassen.

Auch die ausgeschriebenen Namen der anonymisierten BfV-Vertreter sind - mutmaßlich - Decknamen. Bei "Richard Kaldrack" ist das bestätigt. Warum werden diese Personen weiter verfremdet? Unterwirft sich das Bundestagsgremium den Regeln des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV)?

Differenzen zwischen den Obleuten

Schon in den letzten Wochen vor der Sommerpause, als das BfV und sein Präsident Hans-Georg Maaßen zunehmend unter politischen Druck gerieten, waren Differenzen zwischen den Obleuten sichtbar geworden. Während die Vertreter von SPD, Grünen und Linkspartei Kritik an Maaßen und seinem Amt formulierten, nahmen die Vertreter der Union ihn eher in Schutz.

Hat der Ausschuss begonnen, eine Kehrtwende zu vollziehen? Gestartet war er mit einem anderen Anspruch und Auftrag: Danach sollte auch das BfV durchleuchtet werden. [3]

Jetzt wird versucht, das Amt zu schonen. Auch das Statement von PUA-Obleuten "Kennen wir eigentlich dieses NSU-Netzwerk wirklich? Kennen wir alle Unterstützer? Kennen wir eigentlich den Kopf schon?" scheint vor den Mauern des BfV Halt zu machen (vgl. NSU-Ermittlungen: Schirmte die Bundesanwaltschaft den Verfassungsschutz gegenüber dem Bundeskriminalamt ab? [4]).

Warum soll eine Behörde, die Untersuchungsgegenstand eines Ausschusses ist, über die Beweismittel dieser Untersuchung bestimmen? Seit wann darf ein Ladendieb aussuchen, was dem Gericht zu seiner Tat vorgelegt wird? Und hier geht es, man muss daran erinnern, um zehnfachen Mord. Besonders seltsam ist, dass die Beweisbeschlüsse des Ausschusses, auf die die Ladung der Zeugen 143, 144, 147, 149, 151 - eben die fünf Dr. C.P., A.S., R.K., R.G., G.B. - zurückgeht, nicht erkennbar sind. Der letzte identifizierbare Beweisbeschluss zu einem Zeugen (Z 142) datiert vom 23. Juni 2016. Auf welcher Sitzung wurde beschlossen, die Zeugen 143 bis 151 zu laden? Keines der angeschriebenen PUA-Mitglieder hat diese Frage bisher beantwortet. Gibt es neben den nicht-öffentlichen Beratungssitzungen des Untersuchungsausschusses inzwischen auch geheime Sitzungen?


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https://www.heise.de/-3315296

Links in diesem Artikel:
[1] http://www.bundestag.de/blob/438386/84c291ec1f966faa5893e0a4323518b9/to_29-data.pdf
[2] http://www.tagesschau.de/inland/corelli-113.html
[3] http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/18/063/1806330.pdf
[4] https://www.heise.de/tp/features/NSU-Ermittlungen-Schirmte-die-Bundesanwaltschaft-den-Verfassungsschutz-gegenueber-dem-3379049.html