Nach Corona: Ein sinnvoller Neustart
Seite 2: Verschleppte Überproduktionskrise
Deshalb haben wir eine faktisch seit langem verschleppte Überproduktionskrise. Diejenigen, die Geld und damit Kaufkraft haben, haben keinen ausreichenden Bedarf und kaufen deshalb nicht, sondern machen lieber Spekulationsgeschäfte und diejenigen, die wirklich noch Bedarf haben, haben kein Geld und fallen deshalb als Käufer aus.
Die Lager sind voll und die Industrie produziert oft auf Halde, es wird mit allen Mitteln (Werbung, Mode, Statusdenken usw.) künstlich zusätzlicher Bedarf erzeugt, nur um die Wirtschaft durch Verringerung der Kapitalumschlagszeiten am Laufen zu halten. Dabei wird keinerlei Rücksicht auf Ressourenverbrauch, Umwelt-und Klimaschutz genommen. Zwar ist den meisten Menschen klar, dass es so nicht ewig weitergehen kann, aber der Zwang zum Wachstum, der dem kapitalistischen System innewohnt, hat bisher ein immer weiteres Fortschreiten auf diesem falschen Weg erzwungen.
Die Mängel und Fehler des kapitalistischen Systems sind seit Marx bekannt, aber alle Versuche, es zu verändern oder abzulösen, sind bisher gescheitert. Ich bin überzeugt, dass wir so wie bisher nicht weitermachen können, aber bevor wir ein weiteres Experiment mit untauglichen Mitteln starten, sollten wir analysieren, warum die bisherigen Versuche fehlgeschlagen sind.
Ein Grund ist, dass in allen bisherigen Gesellschaftsformen Mangel herrschte, und die effektivste Methode, die Produktion zu steigern, um den Mangel zu beseitigen, ist nun mal der Kapitalismus. Dass wir heute in der Lage sind, genug zu produzieren, um alle materiellen Bedürfnisse unserer Gesellschaft abzudecken, ist ja eine völlig neue, noch nie dagewesene Situation.
Dazu kommt ein zweiter Grund. Karl Marx war ein Wirtschaftswissenschaftler und hat in den ersten beiden Bänden des Kapitals die Entwicklung und Funktion der kapitalistischen Wirtschaft und Gesellschaft beschrieben. Dabei hat er auch klar die Mängel des Systems und die Ursachen für die Krisen erkannt. Was er dort geschrieben hat, gilt bis heute. Und natürlich haben er und Engels sich Gedanken gemacht, wie man diese Mängel abändern und eine bessere Gesellschaftsordnung schaffen kann.
Leider sind Sozialismus und Kommunismus, so wie sie im dritten Band des Kapitals stehen, Konstruktionen vom grünen Tisch, die in der Praxis bisher nie funktioniert haben.
Warum? Marx sah als Wirtschaftswissenschaftler die gesamte Gesellschaft ausschließlich unter ökonomischen Gesichtspunkten und konstruierten dann unter eben diesem Blickwinkel eine "Bessere Gesellschaft". Er berücksichtigte dabei aber offenbar soziologische Probleme nicht ausreichend.
Werte, Geld und Bezahlung
Jeder Mensch ist Mitglied der Gesellschaft und muss deshalb seinen Platz in ihr finden und einnehmen. Zu jeder Gruppe gehört aber auch eine Rangordnung. Und darin liegt ein großes Problem. Theoretisch soll jeder in der Rangordnung umso höher stehen, je wichtiger er für die Gruppe ist und je mehr er für sie leistet.
Das ist in einer Horde von Jägern und Sammlern einfach. Der beste Jäger und tapferste Krieger wird Häuptling und führt den Stamm. Die Auswahl ist relativ einfach, denn alle sind Jäger und Krieger, so dass ihre Erfolge direkt miteinander verglichen werden können. Und ein schlechter Jäger kann nicht erzählen, dass er besser ist als ein erfolgreicher. Die Beute zählt. Ebenso im Kampf. Alle wissen, ob einer wegläuft oder verbissen kämpft. Deshalb ergibt sich hier die Rangordnung relativ unproblematisch.
Aber wir leben heute in einer hochkomplexen, arbeitsteiligen Gesellschaft. Wie will man die Leistung eines Handwerkers mit der eines Arztes oder Polizisten vergleichen? Wer ist "mehr Wert" für die Gesellschaft und steht deshalb höher in der Rangordnung? Man kann Äpfel nicht mit Birnen vergleichen.
Deshalb braucht man einen Wertemaßstab. Und der existiert in Form des Geldes." Haste was, dann biste was". Wie begehrt ein Beruf ist, richtet sich weitgehend nach dem erzielbaren Einkommen und der dafür notwendigen Arbeitsbelastung (sowohl im Beruf als auch während der Ausbildung). Und wenn die Ausbildung dann vorbei ist, beginnt die Karriere.
Ein Facharbeiter kann Vorarbeiter und Meister werden, der Assistenzarzt im Krankenhaus Facharzt und Oberarzt, danach Chefarzt und evtl. Professor. Oder er lässt sich in einer eigenen Praxis nieder. Der Beamte kann in seiner Beamtenlaufbahn aufsteigen. Und die meisten wollen aufsteigen, denn jeder Schritt auf der Karriereleiter ist ja mit mehr Geld und höherem gesellschaftlichen Ansehen verbunden.
Allerdings ist die Bezahlung als Wertemaßstab für eine Tätigkeit fragwürdig. Verkäuferinnen und Altenpflegerinnen werden beispielsweise schlecht bezahlt und die Berufe bringen auch kein besonderes soziales Ansehen. Aber ohne sie würde unsere Gesellschaft zusammenbrechen.
Andererseits genießen Manager und Bänker großes Sozialprestige und bekommen Spitzengehälter, obwohl sich in ihren Reihen leider auch viele Ganoven und "Nieten in Nadelstreifen" tummeln. Aber da ihre Entscheidungen eine sehr große Tragweite haben, geht man davon aus, dass sie sich dessen auch bewusst sind und verantwortungsvoll handeln (leider häufig ein Irrtum), wofür sie auch entsprechend entlohnt werden müssen.
Außerdem gilt bei den Berufen wie überall: Angebot und Nachfrage bestimmen den Preis. Und es gibt nun mal sehr viele Verkäuferinnen und Altenpflegerinnen und wesentlich weniger Führungspersonal. Außerdem bilden die Topmanager einen exklusiven, kleinen Kreis, faktisch ein Kartell, und sorgen schon dafür, dass sie unter sich bleiben und dass kein Außenstehender ihnen Konkurrenz macht.
Wer sich nicht in einer der großen Unternehmensberatungen hochgedient und dabei einige Schweinereien mitgemacht hat, hat sowieso keine Chance in den Kreis der Topmanager aufgenommen zu werden. Beziehungen sind halt alles.
Aber wie dem auch sei, in der jetzigen Situation mit der Corona-Epidemie können wir heilfroh sein, dass wir durch die kapitalistische Überproduktionskrise überall volle Lager mit Waren aller Art haben. Dadurch können wir uns nämlich einen Lockdown überhaupt erst leisten. Andernfalls würde uns nämlich durch den Produktionsausfall die Versorgung zusammenbrechen.