Nach Corona: Ein sinnvoller Neustart

Seite 4: Ein besseres Verkehrssystem - ÖPNV

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Nehmen wir die Radwege, bzw. Fahrradspuren. Sehr gute Absicht, den Radfahrern mehr Sicherheit im Straßenverkehr zu geben und das Radfahren so attraktiver zu machen. Aber leider ist in den engen Innenstädten kein Platz für zusätzliche Radspuren oder-wege, so dass diese immer zu Lasten andere Verkehrsteilnehmer gehen.

Entweder nutzen wir die Fahrbahn und verringern so ihre ohnehin schon zu geringe Durchlassfähigkeit weiter oder wir nehmen die Bürgersteige, dann sind die Fußgänger die Leidtragenden. Und wenn Verkehrsminister Scheuer jetzt ein Gesetz auf den Weg gebracht hat, das einen Mindestabstand von 1,5 m beim Überholen von Radfahrern vorschreibt, ist das auch keine sinnvolle Lösung.

Die Straßen sind nämlich zu eng und können den Verkehr nicht bewältigen. Wenn das Gesetz eingehalten werden soll, bedeutet das in vielen Fällen praktisch ein Überholverbot von Radfahrern, wodurch die ohnehin zu geringe Durchlassfähigkeit der betreffenden Straße weiter gedrosselt wird. Wenn wir uns also an das Gesetz halten, verschlechtern wir den ohnehin schon schlechten Zustand weiter, wenn nicht, ist das Gesetz sinnlos und sorgt nur für endlose juristische Streitereien.

Auch Busse und Bahnen mit dichtem Liniennetz und kurzen Taktzeiten sind schön und gut, aber immer noch unbequemer als mein eigenes Auto, das mich ohne Umsteigen von der Haustür bis direkt ans Ziel bringt. Und wenn die Taktzeiten wirklich kurzgehalten werden sollen, werden die Fahrzeuge häufig nur schwach ausgelastet sein, wir erzeugen also eigentlich unnötigen Verkehr und unnötige Kosten.

Andererseits müssen wir aber extrem kurze Taktzeiten und ein dichtes Streckennetz anbieten, sonst wird der ÖPNV unattraktiv und nicht angenommen. Und die Tickets dürfen auch nicht viel kosten, sonst fahren viele nicht mit dem ÖPNV. In Luxemburg wird auf Grund der katastrophalen Verkehrssituation deshalb jetzt die Nutzung des gesamten ÖPNV kostenlos angeboten. Die Kosten zahlt die öffentliche Hand und sie werden über Steuern und Abgaben auf alle umgelegt. Aber ist das wirklich die optimale Lösung für die Zukunft?

Sinnvollerweise müssen wir den Verkehr drastisch reduzieren. Allerdings nicht nach der Devise "Wir müssen sparen, koste es, was es wolle", sondern durch Vermeidung von nicht notwendigem und die Optimierung des notwendigen Verkehrs. Hier könnte uns der technische Fortschritt ganz neue Möglichkeiten eröffnen.

Alle großen Autofirmen arbeiten derzeit an autonomen Fahrzeugen, die ohne Fahrer völlig selbstständig fahren. Prinzipiell gibt es schon heute Autos, die dazu in der Lage sind (Tesla), allerdings reicht die Sicherheit und Zuverlässigkeit der Systeme noch nicht für eine allgemeine Zulassung im Straßenverkehr aus.

Außerdem sind auch noch juristische und Haftungsfragen, die sich aus dem fahrerlosen Betrieb solcher Fahrzeuge ergeben, ungeklärt. Aber alle sind sich einig, dass das autonome Fahren kommt, wenn diese Probleme und Kinderkrankheiten beseitigt sind. Und das eröffnet uns beim ÖPNV möglicherweise ganz neue Möglichkeiten.

Derzeit sind PKW im innerstädtischen Verkehr im Durchschnitt nur mit 1,3 Personen besetzt. Wenn man diese Besetzung auf durchschnittlich 4 Personen erhöhen könnte, würde man nur 1/3 der Fahrten für die gleiche Transportleistung benötigen. Mit den derzeitigen Fahrzeugen nicht machbar, mit autonomen ÖPNV-Fahrzeugen und einer Art Uber-System schon.

In einem solchen System würde der Fahrgast mittels Smartphone ein Fahrzeug für die Fahrt von A nach B für sich und evtl. seine Begleiter rufen. Der Zentralcomputer kennt den momentanen Standort, das Ziel und die Auslastung jedes Fahrzeugs im System und schickt das nächste, in der Gegend verfügbare Fahrzeug, das in die gewünschte Richtung fährt und noch genügend freie Plätze hat, vorbei.

Dieses Fahrzeug bringt den Fahrgast dann als automatisches Taxi an sein Ziel. Dabei werden natürlich auch kleine Umwege gefahren, um andere Fahrgäste aufzunehmen oder abzusetzen, aber durch die Optimierung der Fahrten im Zentralcomputer sind diese zusätzlichen Strecken gering und fallen durch die viel bessere Auslastung der Fahrzeuge überhaupt nicht ins Gewicht.

Außerdem ist durch die verringerte Verkehrsdichte ein zügigeres Fahren möglich, was die Fahrzeiten verkürzt. Allerdings kann ein solches System nur funktionieren, wenn genügend Fahrzeuge von Anfang an teilnehmen, so dass der Computer zeitnah ein geeignetes Fahrzeug vorbei schicken kann. Bei zu wenigen Fahrzeugen ergeben sich längere Wartezeiten und schlechter optimierte Wege, also mehr Verkehr. Und die Benutzung des Systems müsste kostenlos sein, damit es auch von allen genutzt wird (siehe Luxemburg).

Wenn aber ein solches System in den Städten und Ballungszentren eingeführt würde, könnten damit gleich mehrere Probleme entschärft werden. Nicht nur, das die Verkehrsdichte drastisch reduziert würde, auch das Parkplatzproblem würde entfallen, weil niemand sich dann noch ein eigenes Auto vor's Haus stellt.

Dadurch könnten die jetzt zugeparkten Standstreifen dann zu Radwegen bzw. Grünstreifen umfunktioniert werden. Und wenn es sich bei den Fahrzeugen um E-Autos handelt, sollte sich auch die Luftqualität im innerstädtischen Bereich stark verbessern. Und das Ganze kann ohne zusätzliche Verbote realisiert werden, es läuft auf freiwilliger Basis ohne Zwang.

ÖPNV-Konzept mit autonomen Sharingcars für Berlin

Ich habe mal ein ÖPNV-Konzept mit autonomen Sharingcars für Berlin erstellt. Berlin hat derzeit rund 3,5 Millionen Einwohner, davon 1,9 Millionen Erwerbstätige. In Berlin sind derzeit rund 1,2 Millionen PKW zugelassen, d.h. auf 3 Erwerbstätige Berliner kommen 2 PKW bzw. 1 PKW auf 3 Berliner.

Es gibt Berechnungen, dass ein autonomes Sharingfahrzeug 18 PKW ersetzen kann und dabei 8 Stunden täglich effektiv genutzt wird. Mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 30 km/h (im Stadtverkehr realistisch) ergibt sich eine tägliche Fahrleistung von 240 km pro Fahrzeug. Im Jahr sind das knapp 90 000 km.

Bei 15 kWh Verbrauch pro 100 km werden 36 kWh Strom täglich verbraucht. Bei einem Strompreis von 30 ct/kWh sind das 10,80 € tägliche Kosten also rund 4000 Euro pro Jahr und Fahrzeug. Das ist natürlich worst case gerechnet, denn wenn man Peakstrom tankt, wird man ihn vermutlich für 10- 15 ct/kWh bekommen. Aber rechnen wir lieber mit 30 ct, dann sind wir immer auf der sicheren Seite.

Ich würde bei der Hochrechnung auch den Ersatz von 18 PKW nicht voll ausreizen und setze deshalb einfach mal 100 000 Sharingfahrzeuge für Berlin an. Der Preis der Zukunftsfahrzeuge ist natürlich nicht bekannt, aber ich denke, dass ein E-Van mit einer Reichweite von 300-400 km und vollautonomen Fahrsystem dann für einen Großabnehmer nicht mehr als 40 000 € kosten sollte (Heutige Preise ohne Inflation).

Die Frage ist, wie lange er in dem geplanten Betrieb durchhält und welche Reparatur- und Wartungskosten anfallen?

Ich nehme mal an, das der Wagen 450 000 km schafft (Tesla rechnet angeblich mit Fahrleistungen von 800 000 km für E-Autos, die Frage ist aber, ob das real ist oder nur PR, das Gleiche gilt für die berühmten 100 €/kWh Batteriekapazität). 450 000 km bedeuten 5 Jahre Nutzungsdauer, also lineare Abschreibung von 20% jährlich.

100 000 Fahrzeuge a 40 000 Euro ergibt ein Investitionsvolumen von 4 Milliarden Euro. Daraus resultieren 800 Millionen Abschreibungen jährlich. Dazu kommen 400 Millionen Stromkosten jährlich. Wenn das Konzept funktionieren soll, muss die Nutzung der Verkehrsmittel komplett kostenlos sein.

Wenn man pro erwerbstätigen Einwohner Berlins eine monatliche Mobilitätspauschale von 100 € erhebt, sind das rund zwei Milliarden Euro im Jahr.

Es bleiben dann also 800 Millionen jährlich für Wartung, Reparaturen Zinsen und andere Verkehrsmittel übrig. Reicht das?

In dem Konzept wird angenommen, dass ein Sharingfahrzeug durch bessere Auslastung 12 PKW ersetzt. Dazu muss aber Ridesharing betrieben werden und das Fahrzeug muss 8 h täglich laufen. Das ist leicht zu realisieren und zu optimieren, wenn es darum geht Personen von A nach B zu bringen.

Aber was ist, wenn Sonnabend vormittags 200 000 Familien gleichzeitig den großen Wocheneinkauf machen wollen? Durch 3 verschiedene Supermärkte und 2 Malls. Und zwischendurch noch Essen im Restaurant.

Heute ist das kein Problem. Die Einkäufe werden im Auto gesammelt und erst Zuhause ausgeladen. Aber dadurch wird das Auto für die gesamte Zeit des Einkaufs blockiert. Reichen die Reserven unseres Systems mit 100 000 Fahrzeugen dafür aus?

Außerdem braucht man für die 100 000 Fahrzeuge dann auch noch die entsprechende Ladeinfrastruktur.

Wenn die Fahrzeuge täglich ca. 36 kWh Strom verbrauchen und schnell geladen werden sollen, müssen sie einen Akku mit einer Kapazität von ca. 60 kWh haben. Dieser kann bis ca. 15% entladen werden (Lebensdauer). Er kann dann in etwa 100 min mit 21 kW auf 80% aufgeladen werden (danach muss die Ladegeschwindigkeit stark reduziert werden). 21 kW lassen sich mit 3x400V, 25 A Drehstrom, realisieren, d.h. man könnte auf das vorhandene Niederspannungsnetz aufbauen.

Allerdings müssen wir aus Kostengründen und wegen der Netzsteuerung mit Peakstrom laden. Dieser steht aber nur 2-3 Stunden am Tag zur Verfügung. Daraus ergibt sich, dass wir mindestens 50 000 Ladesäulen, verteilt über das ganze Stadtgebiet, benötigen, die alle zur gleichen Zeit mit 21 kW betrieben werden. Insgesamt über 1000 MW zusätzliche Leistung. Ob das existierende Niederspannungsnetz das verkraftet, weiß ich nicht.

Vermutlich muss es dafür an einigen Stellen ganz gehörig ausgebaut werden.

Und natürlich müssen dann entsprechende Kapazitäten zur regenerativen Stromerzeugung zugebaut werden, damit der Mehrverbrauch an Strom nicht die Braunkohleverstromung auf Jahre hinaus zementiert. Der Jahresverbrauch für die 100 000 Fahrzeuge wird ungefähr 500 GWh betragen.

Leider existiert die Gefahr, dass der gesamte Personenverkehr, der heute vom ÖPNV mit Bussen und Bahnen realisiert wird, dann auf die E-Autos verlagert wird, weil es viel bequemer ist, mit dem automatischen Taxi von Tür zu Tür zu fahren, als zur Bushaltestelle oder zum Bahnhof zu laufen, dort auf einen Bus oder Zug zu warten, evtl. noch umzusteigen und dann die letzten Meter wieder zu laufen.

Wenn das passiert, brauchen wir in der Rushour mindestens die doppelte Zahl an automatischen Fahrzeugen und haben die gleiche Verkehrsdichte wie heute. Inclusive Stau und Stopp and Go.

Und ein Robotertaxisystem ist auch nur in Städten und dicht besiedelten Ballungszentren sinnvoll, weil nur dort eine Optimierung von Ridesharingrouten wirklich Vorteile bringt. Wenn in einem dünnbesiedelten Gebiet nur eine Person von A nach B will, funktioniert Ridesharing nicht.

Ich würde abschätzen, das wir am Ende der Verkehrswende bundesweit ca. 1-2 Millionen automatische Sharingfahrzeuge in den Ballungszentren und 8-10 Mio Plug-in-Hybriden im suburbanen Raum, den kleineren Städten und auf dem Land benötigen.

Die Plug-in-Hybriden sind aus zwei Gründen extrem wichtig.

Verkehrswende

Erstens muss die Verkehrswende sofort beginnen, denn das Wasser steht uns beim Klimaschutz bis Oberkante Unterlippe. Und da wir gegenwärtig einfach nicht genügend Akkus produzieren können, ist das die effektivste Art, möglichst viel Treibstoff durch Strom zu ersetzen und gleichzeitig möglichst viel Regelenergie für den Netzumbau zur Verfügung zu stellen.

Zweitens brauchen wir unbedingt die Notstromaggregatfähigkeit der Hybridfahrzeuge als back up, um das zukünftige Netz störsicher zu machen. Mit reinen Notstromaggregaten ist das aus Kostengründen völlig unmöglich und auch den Einsatz von Gasturbinenkraftwerken sehe ich für diesen Zweck skeptisch.

Die brauchen wir in einer Übergangsphase noch zur Erzeugung von Regelenergie, aber für ein flächendeckendes back up wird die Kapazität nie ausreichen. Außerdem laufen diese Geräte mit Erdgas. Das Erdgasnetz wird aber im Zuge der Energiewende ebenfalls überflüssig und ich bezweifle, dass man es nur als stand by-Reserve auf Dauer weiter funktionsfähig halten wird. Sobald man die Gasturbinenkraftwerke nicht mehr zur Regelenergieerzeugung benötigt, kommen garantiert irgendwelche Schlaumeier und rationalisieren das ganze Teilsystem aus Kostengründen weg.

Wenn wir dagegen bundesweit 8 Millionen Hybridfahrzeuge mit je 15 kW Leistung haben, sind das 120 GWh Reserveleistung, von denen etwa die Hälfte immer in Minuten abrufbar ist. Die Fahrzeuge lassen sich auch im Winter in kürzester Zeit auf volle Leistung fahren. Und sie sind als kleine Einheiten flächendeckend über das ganze Land verteilt, ideal für die Störsicherheit. Dazu entstehen außer dem eingelagerten Kraftstoff keinerlei Zusatzkosten für das System.

Natürlich muss auch gefragt werden "Was wird aus den Bus- und Taxifahrer/innen"?

Und hier müssen auch noch einige Personengruppen mehr bedacht werden. Z.B. können die Autohäuser dann alle schließen, ebenso die meisten Tankstellen und 90% der KFZ-Werkstätten.

Das heißt Arbeitslose und Steuerausfälle ohne Ende.

Womit wir wieder bei den verdrängten und totgeschwiegenen Problemen von Industrie 4.0 angelangt wären.

Ich denke, dass es nicht reicht, das Verkehrs- oder Energiesystem zu verändern, sondern dass wir gezwungen sind, unsere gesamte Gesellschaft umzubauen. Und das ist sehr viel schwieriger.